Versagt die Dehoga-Führung in der gegenwärtigen Krise?

Ingrid Hartges © DEHOGA Bundesverband/Svea Pietschmann

Am 28.12.2020 habe ich in der Weihnachts- und Neujahrspause von www.eat-drink-think.de auf meinen Facebook-Accounts folgenden Text veröffentlicht:

Wir brauchen – vor allem für die Gastronomie – eine NEUBEWERTUNG DES INZIDENZWERTES. Wenn die 50 weiter der Maßstab für Wiedereröffnungen bleibt, sehen wir noch etlichen Monaten größter Probleme entgegen. Der Wert wurde im Frühjahr ohne große Erfahrungen mit der Risikobewertung eher willkürlich eingeführt. Heute brauchen wir eine BESSERE BALANCE zwischen den gesundheitlichen Risiken und denen für den Fortgang des gesellschaftlichen Lebens.

In der Gastronomie könnte eine besser austarierter Wert durch die Möglichkeit einer INDIVIDUALISIERUNG DER CORONA-SCHUTZMASSNAHMEN ergänzt werden. Es geht nicht an, dass überfüllte Eckkneipen und alle Restaurants mit gleichem Maß gemessen werden. Leitzahlen sollten nicht nur bei den Abständen, sondern mit einer Bewertung der Aerosol-Lage gewonnen werden.

Der Inzidenzwert von 50 wird wegen der kompletten Durchmischung mit dem Virus eine Fiktion bleiben. Vermutlich auch noch nach vielen Impfungen. DIE GASTRONOMIE BRAUCHT ZÜGIG NEUE, VERÄNDERTE KONZEPTE, sie braucht einen definierten Raum, in dem sie sich entfallen kann.

Das war also vor etwa drei Wochen. Der Text hat sich kräftig verbreitet und ist kräftig und bisweilen durchaus kontrovers kommentiert worden. Ich brauche – das werden Sie wissen – heute davon leider kein Wort zurückzunehmen. Die angesprochenen Zusammenhänge und Kritikpunkte sind in vielen TV-Sendungen bis hin zu den Nachrichten diskutiert worden. Man hat von vielen Seiten darauf hingewiesen, dass die 50 eine „nicht wissenschaftliche, sondern politische Zahl“ seien, dass die Risikobewertung und Risikoabwägung neu gemacht werden müsse und die Gefahr drohe, dass sonst die gesellschaftlichen Schäden viel zu groß würden. Man weiß immer noch nicht, woher eigentlich die Infektionen kommen und selbst so scheinbar einfache Parameter wie die Zusammenstellung der betroffenen Berufe gib es noch nicht. Kurz und grob: die Rolle, die unsere Experten spielen, wird zunehmend schwächer, und selbst das RKI sieht sich außerstande, größere Zusammenhänge zu benennen. Wohlgemerkt: es geht mir überhaupt nicht darum, Recht zu haben. Ich habe böseste Befürchtungen zu einer Zeit entwickelt, als der 10.1. noch der nächste Termin war. Nun haben wir den 14.2. als nächsten Termin, und Ostern ist auch nicht mehr weit. Werden wir wieder geduldig warten, um dann festzustellen, dass es nach wie vor nicht reicht?

Ein Hartges-Interview zum Fremdschämen
Am Samstag, den 16.1.2021 erschien in der Rheinischen Post ein großes Interview mit der Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Ingrid Hartges. Laut beigefügter Biographie ist Frau Hartges nach dem zweiten juristischen Staatsexamen 1989 zum Dehoga gekommen. Sie stammt also nicht aus der Gastronomie. Ich erwähne das, weil es im Zusammenhang mit der Kritik an ihren Äußerungen in diesem Interview m.E. eine Rolle spielt.

Das gesamte Interview ist im höchsten Maße unkonkret und lässt in keiner Weise erkennen, dass Frau Hartges über gastronomisches Herzblut verfügt und dass ihr die Situation so problematisch erscheint, dass sie wirklich mit Verve und der nötigen Aggressivität an der Arbeit ist. Die vielen Gastronomen, die längst ihren letzten Euro ausgegeben haben und händeringend darauf warten, dass sich endlich eine konkrete Möglichkeit zur Wiederaufnahme ihrer Arbeit ergibt, scheinen in diesem Funktionärs-Gerede ganz weit weg. Statt konkrete Vorschläge zu propagieren, die auch der breiten Bevölkerung plausibel erscheinen, hält sie sich vorwiegend im Allgemeinen auf.

Das klingt dann so:

„Die Bekämpfung der Pandemie stellt für uns alle, insbesondere auch für die Politik, eine nie gekannte Herausforderung dar. Die politisch Verantwortlichen müssen ihre Maßnahmen sorgfältig wie nachvollziehbar begründen und laufend überprüfen….. es muss besser erklärt werden… die Akzeptanz für notwendige Maßnahmen muss steigen…“

Man reibt sich die Augen. Ist dies ein Interview von April 2020? Ist es wirklich möglich, dass die Hauptgeschäftsführerin des wichtigsten Gastro-Verbandes nicht mehr kann, als solche absolut millionenfach benutzten Worthülsen abzusondern? Warum hat sie keine Vorschläge, was „die Politik“ überprüfen soll? Warum bringt sie die Sachen nicht auf den Punkt und fordert Konkretes? Wieso geht es darum, etwas „besser zu erklären“? Geht es nicht darum, die Maßnahmen zurückzunehmen, anzupassen, zu individualisieren usw. usf., damit nicht auch weiterhin alle Gastronomen über einen Kamm geschoren und pauschal an den Pranger gestellt werden? Als ob es nur darum ginge, die Maßnahmen der Politik gegenüber der Gastronomie richtig zu verkaufen, damit sie besser verstanden werden!

Frau Hartges verwaltet die Mängel (wie etwa die Auszahlung der stattlichen Hilfen), aber sie scheint keinerlei Idee und vor allem keinerlei Energie zu besitzen, die Zustände im Sinne ihrer Klientel zu ändern. Sie scheint in der Flut von Nachfragen nach Stellungnahmen völlig verloren zu sein und ihre eigentliche Aufgabe aus dem Blick verloren zu haben. Sie macht schlicht und einfach eine ganz schlechte Figur.

Gute Lobbyarbeit für die Gastronomie sähe vollkommen anders aus. Sie müsste Ideen in die Köpfe der Experten und Politiker pflanzen, sie müsste hartnäckig und durchaus auch einmal aggressiv und zugespitzt formulieren und vor allem eben immer wieder gute Ideen haben, um „der Politik“ Dinge in den Mund zu legen, die zum Vorteil der Gastronomie sind.

Man wird den Eindruck nicht los, als ob man es in Frau Hartges mit einer Funktionärin in Reinkultur zu tun hat, die weit entfernt von den konkreten Problemen mit oberflächlichem Gerede durch die Gegend segelt. Ich bin kein Gastronom, aber ich habe sehr viele Informationen, die zum Teil wirklich erschreckend und zutiefst deprimierend sind. Und ich bin – das darf man nicht vergessen – selber betroffen. Nach Jahrzehnten, in denen ich einer durchaus oft auch sehr anstrengenden Arbeit als Beobachter und Begleiter der Gastronomie nachgegangen bin, bin ich im letzten Jahr weitgehend ausgebremst worden. Deshalb mische ich mich auch in diesem Bereich ein und diskutiere seit März 2020 die Krise in allen Details.

Wir können nicht nur warten, aussitzen und die Mängel verwalten. Das ist für viele Beteiligte einfach zu riskant.

12 Gedanken zu „Versagt die Dehoga-Führung in der gegenwärtigen Krise?“

  1. Sehr geehrter Herr Dollase,

    ich begleite als Vorstand rund 100 mittelständische, meist familiengeführte Hotels, die oft eines oder mehrere Restaurant(s) betreiben, viele davon mit Sternen ausgezeichnet. Unsere Häuser sind direkt von dieser Krise betroffen, in der es vielfach um Existenzen geht. Lebenswerke und die Arbeit von Generationen stehen in Frage.

    In dieser Situation wissen wir aber, dass wir uns auf eines verlassen können – und das ist die Anwältin und Vertreterin unserer Branche in Berlin – Ingrid Hartges.

    Ich könnte eine lange Liste aufmachen, die aufzählt, was Frau Hartges in den letzten Jahrzehnten für Gastronomie und Hotellerie geleistet hat, bzw. welche Verschlechterungen im Vorfeld abgewendet wurden. Das würde hier den Rahmen sprengen.

    Auch wenn die Umsetzung durch die Politik oftmals noch katastrophal ist, sind viele Punkte im letzten Dreivierteljahr für die Branche durchgesetzt worden, um die uns andere Wirtschaftszweige beneiden. Vieles davon wäre, ohne den unermüdlichen Einsatz von Frau Hartges, die auf höchster Ebene in Berlin perfekt verdrahtet ist, nicht möglich gewesen.

    Sehr gerne erläutere ich Ihnen, sehr geehrter Herr Dollase, dies in einem persönlichen Gespräch im Detail. Ich schreibe Ihnen parallel eine Nachricht per Mail und freue mich auf einen Austausch.

    Man kann an einer Organisation wie dem DEHOGA, die von der Orts- bis zur Bundesebene agiert, sicherlich viel aussetzen. Auch wir sind vielerorts mit der Leistungsfähigkeit von Landes- oder Bezirksverbänden oder dem Verhalten einiger regionaler Repräsentanten nicht einverstanden und artikulieren dies auch deutlich.

    Was aber zählt, ist, dass die Branche sich in dieser Situation nicht auseinanderdividieren lässt. Wir müssen unsere berechtigten Anliegen geschlossen Vortragen. Nur dann werden wir erfolgreich sein.

    Herzliche Grüße
    Ihr
    Thomas Edelkamp
    Vorstandsvorsitzender der Romantik Hotels & Restaurants AG

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  2. Ich hatte vor langer, langer Zeit mal Gelegenheit, Verbandsvertretern nahezulegen, eine gemeinsame Buchungsplattform unter dem Schirm der Dehoga für Hotels einzurichten. Die Reaktion damals: Niemals sinnvoll, Hotelbucher wollen den persönlichen Kontakt, den komplexen (??) Buchungsvorgang könne man auf einer Website nicht abbilden. Na jut. Vor einem Jahr mit einem anderen Thema mal wieder mit an einem Tisch, erstes Thema (dem rund eine halbe Stunde gewidmet wurde): die Verbrecher, Raubritter, Piraten und Wucherer von Trivago, hotel.de, booking.com, hrs, tripadvisor und so weiter und so weiter. You made your bed,now lie in it.

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  3. Ich glaube, dass uns gerade jetzt bewusst wird, in welchem „Lobbyismusstaat“ wir leben und wie wenig Solidarität die Menschen in unserem Land aufbringen.
    Statt das Gesamtbild zu sehen, lese ich leider immer wieder „mir geht es gut, bei mir hat der Staat sofort reagiert“. Das mag möglich sein, aber es geht ja nicht nur um die getätigte oder fehlende finanzielle Hilfe. Es darum, dass die Gastronomie, der Tourismus, die Kunst, die Eventbranche, etc. pp. eine Perspektive brauchen.
    Ich sage seit März 2020, dass der DeHoGa auf ganzer Strecke versagt. Und das meine ich sehr ernst. Denn auch die Landesverbände müssten das Versagen des Bundesverbandes erkennen und reagieren.
    Ich fordere seit März 2020, dass sich die Politik, die Wissenschaft, die Arbeitgeber und die Verbände zusammen setzen und nach Möglichkeiten suchen und Konzepte erarbeitet. Stattdessen wird das Thema ausgesessen…

    Danke Jürgen Dollase für diesen Beitrag.

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    • Es geht hier nicht um Einzelne, sondern um das Gesamtbild. Mir ist bekannt, dass beispielsweise in Berlin die Verbände sehr gut reagieren. Aber es geht nicht darum, ob Einzelne ihre Auszahlung erhalten und wann. Es geht darum, dass eine ganz Branche zzgl. der Zulieferer sowie Tourismus, Kunst, etc. pp. sprichwörtlich „den Bach“ runter gehen.
      Ihre Antwort zeigt, wie kurz die Allgemeinheit denkt und hier setzt ein grosses Problem ein. Es ist gerade jetzt Solidarität gefragt…

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  4. Hallo,
    Es ist nur noch traurig zu sehen was geschieht.
    Der DEHOGA VERBAND reagiert auf nichts, ausser mit Arroganz und Überheblichkeit.
    Die Ausbildung, unser Nachwuchs wird der nächste “ Lockdown in der Gastro sein.
    Ich rechne in 2 Jahren damit. Spätestens.
    Das kümmert weder den Verband noch die IHK’s.
    Es ist an der Zeit Konzepte zu finden die das verhindern.
    Möglichkeiten gäbe es sicherlich.
    Durch meine Hände gehen jährlich zwischen 35 – 45 Erwachsene die sich mit sehr großem Erfolg auf die Externenprüfungen vorbereiten. Das reicht niemals.
    Eine Sparte die fast vergessen wird. Schade. Nicht einmal diese Möglichkeiten werden aufgegriffen.
    Hilfe und Unterstützung sollten kein Problem sein. Die Kosten dafür sind unterschiedlich, aber bezahlbar. Man muss nur nach Wegen suchen.
    Sorry. Sicherlich auch wieder eines der sinnlosen Schreiben, aber ich gebe ungern auf, aber alleine sehe ich keine Chance.

    Viele Grüße

    Matthias

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  5. Schon vor Corona haben wir das Gefühl gehabt, die DEHOGA verwaltet sich nur noch selbst und bei Problemen konnte uns nicht weiter geholfen werden.

    Zum Glück hat sich Anfang 2020 unabhängig und noch vor Corona in Köln die „IG Gastro Köln“ gegründet. Dieser Zusammenschluss von Gastronomen die im Ehrenamt agieren, haben viele Dinge in Köln in kürzester Zeit erreichen und umsetzen können.
    Von der DEHOGA hiess dann oft nur „Das haben wir doch auch gefordert“, aber richtig eingesetzt für die Gastro dann gefühlt vorher doch nicht.

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  6. Nur zwei kleine Anmerkungen:
    Lieber JD, „stattliche Hilfen“ ist hoffentlich ein Tippfehler und kein Euphemismus für die kümmerlichen Entschädigungen, die bisher geflossen sind.

    Ich bin vor Jahren aus dem DEHOGA ausgetreten, Gründe waren das Herumgeeiere mit dem Nichtraucherschutz und der unterirdische Umgang mit der Mehrwertsteuer im Gastgewerbe.

    Gründe sind: nicht nur im Bundesverband – siehe die Vita von Frau Hartges – sondern auch in den Landesverbänden sitzen fachfremde Juristen an den Schaltstellen. Die ehrenamtlichen Regionalfürsten sind mehr mit Vetterleswirtschaft und Machtkämpfen beschäftigt (Rheinland-Pfalz) als mit konstruktiver Verbandsarbeit.

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  7. Nicht nur der DEHOGA hat versagt, sondern auch die NGG, der Hotelverband usw. Es gibt ja viele, die sich Hoteliers und Manager nennen, Experten und Berater. Und ja, sehr viele von diesen Herrschaften beklatschen die Statements, die in den letzten Monaten von Verantwortlichen aller Verbände und Kollegen durch die Medien an die Öffentlichkeit getragen wurden und wahrscheinlich noch kommen werden. Wenn wir uns die Branchenmedien ansehen, so stellt man mal wieder fest, dass auch dort eher Verbandstreue Damen und Herren sitzen und von der Branche eher weniger Ahnung haben – die fehlende Kompetenz der verschiedenen Redaktionen und deren Leitungen habe und werde ich immer wieder thematisieren.

    Ich war zu Beginn der Pandemie einer der ersten (und ich werde für mich keinen festen Titel in beschlag nehmen, nur soviel muss erlaubt sein: Ja, ich habe sehr viel Ahnung von der Hotellerie und Gastronomie), die darauf hingewiesen haben, dass die HoGa eine der ersten sein wird, die schließen und eine der letzten sein wird, die wieder öffnen werden. Damals waren schon die Stellungnahmen von Verantwortlichen der DEHOGA (auch im TV, z.B. im ZDF bei Lanz) ein Schlag ins Gesicht aller Gastgeber und deren Mitarbeiter. Sehr zeitnah habe ich ebenfalls darauf hingewiesen, dass – und da hat Herr Dollase völlig recht mit dem Absatz „ ute Lobbyarbeit..“ – eine gemeinsame STIMME ins Leben gerufen werden muss, um Gemeinschaftlich und mit Power an die Politik heranzutreten und mit nem Fahrplan ausgestattet, die Situationen beschrieben und untermauert werden können. Stattdessen gab es und gibt es nur Forderungen und gleiche Inhalte.

    Geschehen ist nichts und zu allem Übel hat man auch noch die zweite Chance im Spätsommer versäumt, sich anders aufzustellen. Begründet wird das auch gerne (von sog. Experten), dass das alles auch bezahlt werden muss – also die Tätigkeit der Verbände – aber niemand auf die Idee kommt, Mitglieder zu werben, aktiv anzusprechen und vielleicht Zahlungen zu minimieren, auszusetzen & zu verschieben und/oder irgendwie quer zu finanzieren (es gibt da durchaus Möglichkeiten).

    Fakt ist – ist in vielen Branchen ja keine Seltenheit – dass niemand seinen Stuhl verlieren möchte und gerade in der Hotellerie viele Themen schlichtweg falsch angegangen und auch nach aussen hin falsch dargestellt werden, wie z.B. Fachkräfte-und Arbeitnehmermangel, Nachwuchs, Digitalisierung, Werte & Co. usw.).

    Ich wünsche mir, dass diese Pandemie in Zukunft für eines gut sein wird: Sie soll der Branche zeigen, wie es eben nicht funktioniert, dass ein stärkerer Zusammenhalt geformt und viel mehr Selbstbewusstsein demonstriert wird.

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