Viel Platz für kulinarische Banalitäten, wenig Platz für einen journalistischen Skandal

Ich muss mit einem Lob beginnen, und zwar für einen Text in der Süddeutschen Zeitung, den ich zuerst kaum gefunden habe. Er hat erst einmal mit der Gourmandise nichts zu tun, auf den zweiten Blick aber in gewisser Weise schon, weil schlechte Prioritäten gesetzt werden. Der Text hat die Überschrift „Geld stinkt doch“ und stammt aus der Süddeutschen von Montag, dem 7.9.2020. Ich habe ihn als Ausriss beigefügt. Es geht darum, dass es zwei bekannte „Damen der Gesellschaft“ namens Friede Springer und Liz Mohn gibt, die viel auf ihr Ansehen und auf Kultur achten, aber sehr viel Geld damit verdienen, dass ihnen gehörende Medien unsägliche journalistische Methoden anwenden. Zitat aus dem Text von Detlef Esslinger:

„Es ist eine Art von Missbrauch, den Bild und RTL nach dem Familiendrama in Solingen begangen haben. Beide Medien veröffentlichen Handy-Nachrichten, die der überlebende Junge nach dem Tod seiner fünf Geschwister an Freunde geschickt hat.“

Lesen Sie bitte den Kommentar des Autors im Original.

Was mich sofort gestört hat ist, dass der Text im Blatt quasi versteckt ist, ganz links unten in der Ecke der Seite „Meinung“, klein und unauffällig und kurz, obwohl man ihn weit umfangreicher hätte gestalten können oder sogar müssen. Er hätte eine weitaus bessere Platzierung verdient, vielleicht sogar bebildert, um den ganzen, krassen Gegensatz zwischen Anspruch und Realität bei großen Medien zu zeigen.

Wenig Platz für Wichtiges, aber viel Platz für kulinarisch-populistischen Unsinn
Mir war bei der Lektüre sofort eingefallen, dass am Samstag im Stil-Teil der Süddeutschen Zeitung in der Kolumne “Eigener Herd“ wieder einmal kulinarische Banalitäten veröffentlicht worden waren. Mir ist vor allem aufgefallen, dass man für diesen Blödsinn etwa den vierfachen Platz im Vergleich zur Größe des oben genannten Textes freigemacht hat. Ursprünglich wollte ich mich zu dem Text eines Autors namens Titus Arnu nicht äußern, um nicht wieder Anmerkungen darüber zu provozieren, dass ich „schon wieder“ die „Süddeutsche Zeitung“ kulinarisch attackiere. Weil mir aber die Proportionen aufgefallen sind, mache ich es doch.

Noch vor wenigen Tagen habe ich Jamie Olivers „bestes Huhn“ in der „Welt“ kritisiert und darauf hingewiesen, wie absurd grob und produktfern seine Zubereitung ist, und dass man eine solche Küche aus vielerlei Gründen nicht gut finden und eben auch nicht in überregionalen Medien so intensiv verbreiten sollte. Was der SZ-Autor hier allerdings präsentiert, hat das Niveau von 1950er Jahre Kochen mit Gewürz-Käse-Ecken und sollte heutzutage nie und nimmer mehr als Vorbild und Empfehlung in einer Zeitung auftauchen, die sich allgemein und bei anderen Wissensgebieten für ihren Qualitätsjournalismus feiern lässt.

Unter der Überschrift „Die Schärfe des Lebens“ gibt es den Untertitel „Seine Körner kommen aus Kanada, hergestellt wird er in Düsseldorf oder Paris und stehen sollte er in jeder Küche: Dijon-Senf ist ein Muss. Etwa für das beste Hühnchen der Welt.“ Es geht also – wieder einmal, siehe oben – um das beste Hühnerrezept. Das hat wohl eine Tante seiner Mutter einmal aus Dijon mitgebracht – was durchaus nicht per se eine Empfehlung ist. Es komme, geht es weiter, „wie bei den meisten vermeintlich einfachen Gerichten“ auf die „Qualität der Zutaten und ein paar Feinheiten an“. Daran hat man schon bei der Zutatenliste große Zweifel, weil neben 200 g Crème fraîche auch 100 g Gruyère, 2 EL Dijon-Senf, Maisstärke und Butter eine Rolle spielen. Es wird in Butter scharf angebraten (als ob das nicht problematisch wäre), „mit Öl geht es auch, aber es schmeckt dann nicht ganz so gut“ (welches Öl? Wie ist das mit einer wesentlich temperaturstabileren Butter-Olivenöl-Mischung?). Das von misslichen Noten verbrannter Butter beschädigte Huhn wird sodann mit Sahne, Käse und Senf malträtiert, weit jenseits aller denkbaren Proportionen und weit jenseits der Chance, das Huhn auch nur irgendwie zu optimieren. Es bleibt nach Zugabe von Maisstärke eine klebrig-dickliche Sauce, die jedes Fleischstück mit einem fettig-käsig-senfigen Aroma überzieht. „Das Ergebnis, man muss es so sagen, schmeckt sensationell“, schreibt der Autor dazu. Ich weiß nicht, woher er seine Maßstäbe passiert. Aber – da hat jemand ein Problem mit der Wahrnehmung von Intensitäten und sollte sich vielleicht bei kulinarischen Einlassungen etwas zurückhalten.

Es mag ja sein, dass das Ergebnis dem Autor und seiner Familie sensationell schmeckt. Auch die Freunde des Kochens mit Schmelzkäseecken schwören darauf, dass so etwas grandios schmeckt, vielleicht gibt es ja sogar welche, die noch mit etwas Himbeermarmelade abrunden und über alles Sojasauce geben. In dieser Kolumne der Süddeutschen Zeitung scheint mit alles möglich, nur nicht ein sensibler, für Finesse werbender Umgang mit den wunderbaren Produkten, die uns die Natur und Manufakturen aller Art zur Verfügung stellen. Es ist noch nicht lange her, da stand das klassische Tatar im Mittelpunkt einer Kolumne und es gab nicht eine einzige Bemerkung dahingehend, dass das klassische Tatar-Rezept mit all den Zutaten oft eine schiere Katastrophe produktferner Bastelei ist und ganz weit hinten auf die Müllhalde von Rezepturen gehört, bei denen man auch gleich Kunstnahrung zu sich nehmen kann. Das große Kunststück von Kochkunst ist es, den Produkten in ihrer Art, mit allem Respekt vor ihnen und ganz nah bei sich zu Glanz zu verhelfen und sie in etwas zu verwandeln, das jeden Esser erfreut – egal ob Feinschmecker oder „ganz normaler“ Gerneesser.

Es ist kein großes Kunststück, ein Huhn durch solche Zubereitungen quasi ein zweites Mal zu töten. Und es ist nicht richtig, für einen solchen Unsinn auch noch viel Platz zu reservieren, während man große Themen der Gesellschaft nur am Rande streift. Vielleicht ist der kritische Text von David Esslinger einfach unserem „Gourmet Watch“ zu ähnlich: Kritik an der eigenen Fraktion. Das mögen nicht alle, auch bei der Süddeutschen nicht.

6 Gedanken zu „Viel Platz für kulinarische Banalitäten, wenig Platz für einen journalistischen Skandal“

  1. Ich danke Ihnen für Ihre Beiträge, die ich – wie immer – aufmerksam gelesen habe. Es gehört zu meinen Prinzipien, jede andere Meinung zu Wort kommen zu lassen und sie auch dann nicht „weg zu diskutieren“, wenn ich mir sicher bin, dass sie nicht gut begründet ist. Ich bitte also um Verständnis, wenn ich nur sporadisch weiter diskutiere.
    Mit den besten Grüßen
    Jürgen Dollase

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  2. ich finde das hühnerrezept bemerkenswert und Ihren artikel darüber sehr wichtig, weil sich mehrere entscheidende frage aufdrängen: wenn fleisch für ein gericht verwendet wird, sollte das gericht dann nicht nach fleisch, also hier nach huhn schmecken? ist es vertretbar und sinnvoll, tiere zu töten für gerichte, die genauso mit reiswaffeln realisiert werden könnten, weil der geschmack des tiers in dieser vorgeschlagenen zubereitung komplett ausgelöscht wird? ist fleisch letztendlich nur trägermasse für eine penetrante aromatik? man kann über dieses absurde hobbykoch-gewese schmunzeln, für mich entstehen hier schon bei vorsichtiger nachfrage sehr grosse probleme.

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  3. Ich kann mich der Kritik von E.Egger nur anschließen.
    Es mutet sehr merkwürdig an, wie Sie SZ-Artikel und -Autoren in wiederholter Weise attackieren, fast möchte man den Eindruck gewinnen, als wäre das die Revanche für eine vor langer Zeit erlittene Schmähung.
    Der Beginn des Artikels „Ich möchte mit dem einem Lob für die SZ beginnen“ wendet sich dann sehr rasch wieder in das übliche „ursprünglich wollte ich mich nicht dazu äußern, aber jetzt bleibt mir halt doch nichts anderes übrig“. Und dann eine Kritik über ein (zugegeben mittelmäßiges) Huhn-Rezept? Ernsthaft?
    Es gibt so dermaßen viele schlechte Texte über Kulinarik, es wird mir für immer schleierhaft bleiben, warum Sie gerade SZ-Artikel und -Autoren durch den Kakao ziehen müssen – Artikel, die übrigens in Summe wahrhaft nicht so schlecht sind, wie Sie immer behaupten.
    Besonders fragwürdig ist auch der von E.Egger angemerkte Aspekt – woher nehmen Sie die Expertise, welcher Artikel welchen Stellenwert in einer überregionalen Zeitung bekommen sollte? Dass an besagtem Tag anderen Themen ein höherer Stellenwert eingeräumt wurde, sollte eigentlich einleuchten.
    Bedenklich ist dieser Aspekt auch in folgender Hinsicht: Immer wieder tendieren gewisse Experten dazu, ihre (anerkannte) Expertise plötzlich auf andere Gebiete ausdehnen zu müssen (und dies auch öffentlich kund zu tun), von denen sie keine Ahnung haben.
    In diesem Sinne darf ich Ihnen den (gut gemeinten) Hinweis geben: bleiben Sie bei den Themen, bei denen Sie sich auskennen und versuchen Sie keine Zusammenhänge zu beurteilen, die nicht ihre Kernexpertise betreffen.

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  4. Sehr geehrter Herr Dollase,

    Ihre unterhaltsamen Zeilen zeigen in erster Linie, dass Sie sich etwas schwer damit tun, journalistische Zusammenhänge zu bewerten. Natürlich ist Herrn Esslingers Kommentar auf der Meinungsseite absolut am richtigen Platz. Die Größe erschließt sich daraus, dass Esslinger im Zusammenhang mit der Bildberichterstattung nur einen kleinen Aspekt herausnimmt. Der Komplex ist in den Tagen zuvor ausgiebig und in größerer Aufmachung in der SZ zu Ehren gekommen.

    Dass Sie nun durch den banalen Beitrag in der Wochenendbeilage von Arnu einen Beleg für die falsche Gewichtung der Themen sehen, ist im besten Falle merkwürdig. Denn die Beilage dient erklärtermaßen der Unterhaltung, es darf leicht zugehen, geschwätzig – und ja, tatsächlich auch banal. Ihre Kritik am Rezept, das nichts weiter als die persönliche Spiegelung einer kulinarischen Erinnerung darstellt, ist daher weit überzogen. Es liest sich, als ob ein ernsthafter Kritiker völlig ironiefrei versucht, das Speiseangebot auf einem Kindergeburtstag zu beurteilen.

    Damit haben Sie an dieser Stelle schlicht das Thema verfehlt, was Ihrer Empörung die Grundlage entzieht.

    Beste Grüße

    E. Egger

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    • Nein, nein Herr Egger. Es geht hier um Gewichtung. Und die ist tatsächlich immer öfter im Ungleichgewicht. Da helfen Ihnen auch Ihre geschwätzigen und ebenso banalen Kommentare nicht. Jedenfalls bei mir nicht. Das Rezept ist nämlich nicht banal, unterhaltsam oder lustig…. es ist einfach nur dumm! Für dumme Leser dann?

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      • Werter Herr Schläpfer,

        Zeitungen versuchen innerhalb ihrer Struktur den verschiedenen Leserwünschen gerecht zu werden. Dafür haben Verlage Seitenköpfe erfunden. Da steht dann oben ganz groß drauf, um was es grundsätzlich geht. Zum Beispiel „Politik“, „Meinung“, „Panorama“ oder eben „Wochenende“. Würde besagter Kommentar zu Bild riesig groß im Wochenendteil gestanden haben, dann wäre er da natürlich vollkommen fehl am Platz – egal ob groß oder klein.

        Und über das Rezept – so dumm, banal oder unlustig es auch sein mag – lässt sich nur dann nicht streiten, wenn man neben der Weisheit auch alles andere schon mit Löffeln gefressen hat.

        Das maße ich mir aber nicht an – in dieser selbstgerechten Rolle gefallen sich schon andere.

        Beste Grüße

        E. Egger

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