Attila Hildmann 2014

Vorbemerkung:
In den Jahren 2009 bis 2015 habe ich für die Frankfurter Allgemeine eine wöchentliche Online-Kolumne mit Rezensionen nationaler und internationaler kulinarischer Bücher geschrieben. Es wurden insgesamt 301 Folgen mit etwa 350 Büchern. Die hier aus aktuellem Anlass abgedruckte Folge war die Nr. 246 und stammt aus dem Dezember 2014. Damals war Attila Hildmann „nur“ ein Autor veganer Bücher. Sein Buch hat mich aber – obwohl ich mich ausschließlich auf den kulinarischen Bereich konzentriert habe – in vielerlei Hinsicht auch und gerade ideologisch misstrauisch gemacht. Außerdem fand ich die Rezepte einfach schwach. Aber – lesen Sie selber. Ich habe an dem Originaltext kein Wort geändert.

Attila Hildmann: VEGAN TO GO. Schnell, einfach, lecker. Becker Joest Volk Verlag, Hilden 2014. 264 S., geb., 29,95 Euro

Das Szenario rund um die vegane Küche hat eine Entwicklung genommen, die typisch für Kommerzialisierung auf allen Ebenen ist. Es ist noch gar nicht so lange her, da umwehte selbst die Vegetarier noch ein Hauch von Alternativkultur. „Vegan“ war bestenfalls esoterisch. Wie konnte es dazu kommen, dass diese Ernährungsweise mitten in der Gesellschaft gelandet ist – zumindest wenn man eine massenhafte mediale Präsenz und das Vordringen veganer Produkte selbst in die Supermärkte und Discounter als einen Weg in die Normalität sieht? Vor allem musste man von einem sektiererischen Image wegkommen, das etwas mit Leuten zu tun hat, die – in den Augen vieler „Normalbürger“ – irgendwie mit sich und der Welt nicht zurechtkommen. Das Vordringen der veganen Szene in die großstädtische Alternativ-Schickeria war da sicherlich ein erster Schritt. Die Masse wurde aber erst erreicht, nachdem man sozusagen den weltanschaulichen Hintergrund weitgehend abgebaut hatte und statt dessen in Richtung Fitness und Gesundheit ging. Und weil das auch noch nicht ganz reicht, muss man in Richtung Superfitness und zu einem Image gehen, das bei Attila Hildmann in manchen Fotos in diesem Buch schon aussieht wie Science Fiction aus einem Land von lauter glücklich lächelnden, fitten Menschen, mit Bildern vor Hollywood-Schriftzug und solchen mit Skateboard. „Survival of the Vittest“ (tatsächlich so geschrieben) statt irgendwelchen Gewissensbissen gegenüber der Mitgeschöpflichkeit der Tiere eben.

Eines der ersten Kapitel ist überschrieben: „Von wegen Askese. Erst fragst du, was du noch essen kannst, später hat sich dein Küchenstil revolutioniert.“ Und gleich danach kommt eine „kleine Liste von Dingen, die von deinem veganen Essverhalten beeinflusst werden“. Statt vielleicht eines Gefühls, mit sich und der Welt ein wenig besser ins Reine gekommen zu sein, wird nun berichtet, dass „die Verdauung besser wird“, „die Haut reiner“ und „Mund- und Körpergeruch verschwinden“. Solche „Heilsversprechen“ lassen sich natürlich dann viel besser verkaufen als nur ein paar dröge Rezepte. Ganz allgemein fällt auch in diesem Buch ein kleiner Nebeneffekt auf, den ich das „Vegane Paradoxon“ nennen möchte. Gemeint ist der immer wieder zu beobachtende Versuch, Fleischgerichte möglichst genau ohne Fleisch zu kopieren. Ist das eine Lösung? Im assoziativen Bereich immer noch wenigstens ein wenig in der Fleischwelt zu bleiben? Per „Gemüsedöner“, „Eiersalat-Brote“, “Mettbrötchen“ (!) oder „To-Go-Brötchen mit italienischer Hackfüllung“ (!)?

Attila Hildmann zieht es sehr ins globale Fach. Die Kapitel des Buches lauten „New Beginning“, „Daily Delights“, „Snack Attack“, „Sandwich Superstars“, „Salad Power“, „Fabulous Drinks“ und „Sweet Sensation“. Dazu paßt dann auch nur noch eklektizistische Weltküche aus dem großen touristisch-weltläufigen Mischmasch, also „Tacos mit Texmex-Tofum Pico de Gallo und Guacamole“, „Frühlingsrollen mit Crunch-Gemüse und Sweet-Chili-Sauce“, „Wraps‚ Venice Beach’“ oder „Sobanudelsalat mit Erbsen, Paprika, Avocado und Sesam-Ingwer-Dressing“. Wer schon ein paar vegane oder vegetarische Bücher zu Hause hat, wird ahnen, wie es weitergeht. Der Originalitätsgrad ist gering, und von daher besteht kein Grund, sich so etwas zu kaufen. Yotam Ottolenghi („Vegetarische Köstlichkeiten“) und natürlich viele Köche aus der kreativen Spitzenküche (z.B. Andree Köthe und Yves Ollech vom Nürnberger „Essigbrätlein“) sind da schon ganz woanders angekommen. Außerdem wirken die Rezepte durch die Bank mittlerweile altmodisch, vor allem auch deshalb, weil sie die Mittel einer erweiterten Gemüseküche mit ihrer neuen Sensibilität gegenüber allen Teilen der Pflanze (eigentlich eine adäquate Parallelentwicklung zum veganen Gedanken…) überhaupt nicht berücksichtigen. In vielen Fällen sucht Hildmann die Flucht in viele Elemente und ein heillos gewürzlastiges bis überwürztes Geschmacksbild. Auch dort mangelt es also an Sensibilität und dem Vertrauen in die Kraft von Gemüse und Co., vermutlich auch ganz einfach an kochtechnischen Fähigkeiten.

Was das Buch aber in erster Linie so bedenklich erscheinen lässt, ist dieser neue sektiererische Zug (der Leser wird übrigens auch ständig mit „du“ angeredet). Man denkt eben unweigerlich an das Jahr 1932 und ein Buch von Aldous Huxley mit dem Titel „Brave new world“, „Schöne neue Welt“, siehe oben.

Das Buch bekommt keinen FAZ-Stern.

3 Gedanken zu „Attila Hildmann 2014“

  1. Was mich zutiefst verärgert ist, daß Hildmann in den Medien ständig als „Koch“ bezeichnet wird. Koch ist ein Lehrberuf, man kann auch einen Meistertitel erwerben. Hildmann ist abgebrochener Student. Er betreibt einen Schnellimbiß in Berlin. Er wurde eine Zeit lang durch alle Talkshows gereicht, was schließlich zu dem Hype um die vegane Ernährung beigetragen hat.

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  2. Lieber Herr Dollase,
    Dieser Artikel ist sehr interessant aus einer allgemeinen Sichtweise.
    Aber wo bleibt die Ethik??? Es gibt wirklich Menschen, die aus reiner Empathie zu ihren gequälten Mitgeschöpfen eine vegetarische/vegane Ernährung gewählt haben.
    Die Küche stellt diese Menschen vor Herausforderungen, wenn sie frisch und regional sein soll, jenseits von Industrieprodukten. Und ohne Kochbücher eigene Rezepte zu entwickeln und neue Zutaten in der Natur zu finden, das ist doch kreativ, oder?

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    • Ihre Kritik | Frage | Bewertung | Botschaft an die Massen ist völlig ohne Sinn. Da es nicht zum Thema gemacht wurde Vegane Küche als nicht gut oder als unwichtig zu beschreiben. Es steht die Qualität und die Kochkunst in der Kritik nicht die Vegane Küche im Allgemeinen.

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