Was für ein Titel! Bernhard Reiser: Der Schickimicki-Koch. Einfach ganz normal. So is(s)t DER REISER!

Bernhard Reiser – Der Reiser Genussmanufaktur, Würzburg 2020. 223 S., geb., Pappeinband ohne Rücken, 35 Euro (Lieferung über www.der-reiser.de)

Da muss einem Koch der nicht aus der Welt zu schaffende „Schickimicki“-Vorwurf gegen die bessere Küche aber schwer auf die Nerven gegangen sein. Diese Art von Gastronomie sei „zu schick, zu teuer, zu wenig, nix für uns!“ – zitiert er auf dem Buchdeckel. Mittlerweile hat er den Spieß umgedreht und nennt sich und seine Leute das „Team Schickimicki“. Ob eine solche Reaktion dringend nötig ist, ist vielleicht die Frage. Jedenfalls hat ihm die Sache einen wirklich wunderbaren Buchtitel beschert, der auch in der gestalterischen Aufarbeitung mit Leuchtschrift auf Pappdeckel auffällig und gut gelungen ist.

Bernhard Reiser ist ein umtriebiger Koch, der in seinem Restaurant „Reisers am Stein“ früh neue Wege ging und schon vor vielen Jahren kleine Gänge zur Zusammenstellung eigener Menüs anbot. Aktuell kann man bei ihm aus einer Liste von Produkten diejenigen auswählen, die Grundlage der Gänge des Menüs werden sollen. Reiser hat auch eine sehr große Kochschule und ist ein großer, mehrfach ausgezeichneter Ausbildungsbetrieb. Am „Easy Monday“ etwa übernehmen seine 15 Azubis das Restaurant und kochen das Essen allein – unter Aufsicht, aber in eigener Verantwortung.

Für den „Schickimicki-Koch“ hat er ein Format gefunden, das seine selbstbewusste Eigenwilligkeit unterstützt. Da ist es nur logisch, dass er das Buch im Eigenverlag herausgebracht hat.

Das Buch
Natürlich fällt erst einmal das Cover auf, das vermutlich überall dazu führt, dass man das Buch in die Hand nimmt, um nachzusehen, was das denn eigentlich sei. Selbstverständlich ist der Titel nur eine Reaktion. Der Inhalt ist alles andere als „Schickimicki“, sondern zeigt vor allem einen Koch, der sich einen gut funktionierenden Betrieb mit diversen Aktivitäten aufgebaut hat und kulinarisch all diesen unterschiedlichen Anforderungen gerecht wird. Auch wenn sich viele Dinge um Bernhard Reiser als Person drehen, ist der Band dennoch keine überzogene Selbstbeweihräucherung mit kunstvoll arrangierten und beleuchteten Fotos eines bekannten Kochs. Er ist eher ein Dokument der Aktivitäten, bodenständig, manchmal kritisch, insgesamt freundlich und unprätentiös.

Der Aufbau entspricht also auch nicht dem mittlerweile oft sehr kargen „Rezept links – Foto rechts, und das von vorne bis hinten“ – Konzept vieler Verlage, das in seiner Ödheit und in seinem mangelnden Engagement, wirklich gute und schöne Bücher zu machen, oft kaum zu übertreffen ist. „Der Schickimicki-Koch“ beginnt mit „Reiser privat“, und auch gleich ein paar häuslichen Rezepten wie etwa die „Allgäuer Kässpätzle“ dazu. Dann folgt „25 Jahre – 25 Erinnerungen“ mit einer Reihe von privaten Fotos, bevor es an die Ausbildung und den oben genannten „Easy Monday“ geht – auch das mit Rezepten wie etwa „Surf and Turf auf hawaiianische Art“. „Reisers Meinung Teil 1“ (es gibt noch zwei weitere Teile) führt zu einigen Seiten über das Rind, dem ein Kapitel „Best of Franken“ folgt – auch das kurz mit Rezepten illustriert.

Und so geht es weiter. Der Bäcker wird vorgestellt, dann die Kochschule, eine Ärztin, Rezepte der Abteilung „Gute Ernährung“ („Fischstrudel mit Tomatensalat“) und – sehr schön – Rezepte für Kinder wie etwa „Wurst-Gemüse-Spieße mit Currysauce“. Dann kommt der Metzger und – mittlerweile auf Seite 165 – die „Sterneküche“ mit Rezepten. Dieser größte Block im Buch zeigt einen Koch zwischen Tradition und einem ausgeprägten Hang – nein, nicht zur Innovation, sondern zu einem entspannten Spiel mit Ideen. Da gibt es das „Kalbsfilet im Strudelteig, Kalbsbries, Apfelbeignets, Sellerie-Kaffeecreme, Wirsing, Cidrejus“, „Rote Bete, wilder Brokkoli, Karamell, Hafer, Himbeeren, Balsamico, geeister Ziegenfrischkäse“ oder die „Meeräsche mit Kalbszunge, Rote Bete und grüner Mayonnaise“. Es wird gefällig angerichtet, aber nicht bis ins letzte Detail konstruiert, und den Rezepten merkt man an, dass Reiser immer an einen allgemein verständlichen, guten, süffigen Geschmack denkt. Dass er so viele Auszubildende hat, ist unter diesen Umständen ein gutes Zeichen. Hier lernt man kochen, kann sich auch kreativ betätigen, bekommt dafür aber einen Rahmen, der etwas damit zu tun hat, dass man erfolgreich für Gäste arbeitet, die nicht nur Erlebnisse suchen, sondern auch einfach lecker essen wollen. So etwas ist als Basis einfach richtig und wichtig.

Fazit
Die Einordnung der Rezepturen in die Kategorien der Rezensionen auf www.eat-drink-think.de kann nicht dazu führen, dieses Buch mit mehr als einem Stern auszuzeichnen. Es ist eben weder eine Fundgrube für neue Ideen noch für neue oder besonders intensiv erarbeitete Kochtechniken.
Aber – es ist in seinem Ansatz und seiner Machart ein gutes Buch, weil es den Koch Bernhard Reiser in seinem ganzen Umfeld und mit seinen Beweggründen und seinen Aktivitäten zeigt. Man erfährt viel, wo es an anderer Stelle bei vielen Büchern gar nichts zu erfahren gibt – vielleicht auch deshalb, weil es mittlerweile Köche gibt, die außer den Bestelllisten ihrer Lieferanten kaum noch einen Kontakt zur Welt außerhalb der Küche haben. Es wäre schön, wenn sich der ein oder andere Verlag entkrampfen könnte und sich einmal ansehen würde, wie kurzweilig ein Buch wie das „Der Schickimicki-Koch“ ist, und wie viel Emphase in den Zeilen und zwischen den Zeilen steckt. Und so kann ich das Buch – unabhängig von seiner kulinarischen Einstufung – durchaus empfehlen.

Das Buch bekommt 1 grünes B

Fotos © Bernhard Reiser

1 Gedanke zu „Was für ein Titel! Bernhard Reiser: Der Schickimicki-Koch. Einfach ganz normal. So is(s)t DER REISER!“

  1. Lieber Herr Dollase,
    Herzlichen Dank für Ihre sorgfältige und tiefgreifende Auseinandersetzung mit unserem Buch.

    Wir – also das Gestaltungs-Team SCHICKIMICKI und Bernhard Reiser als Herausgeber freuen uns
    SEHR darüber – und auch die Equipe aus dem Restaurant REISERS am Stein ist stolz
    auf diese Besprechung von Ihnen.

    Es ist wertvoll für uns, so verstanden zu werden.

    DANKE

    Herzliche Grüße aus Franken,
    Kerstin Böhning

    – für das TEAM SCHICKIMICKI 😉

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