Was hat dieses Buch, das andere Bücher nicht haben? Oder fehlt doch etwas?

Es gibt ein kulinarisches Buch, das mir in der letzten Zeit immer wieder begegnet. Eigentlich habe ich noch nie ein kulinarisches Buch so oft in den Schaufenstern kleiner wie großer Buchhandlungen gesehen. Warum ist das so? Wegen des Titels? Natürlich. – Es gibt einmal keinen grinsenden oder scheinlockeren oder wichtigtuerischen Fernsehkoch, sondern so etwas wie ein Comic mit fröhlich essenden oder kochenden Menschen und dazu schon im Titel den Verweis darauf, dass alle Menschen mit Essen zu tun haben, jeder auf seine Weise, rund um den Globus. Hier erst einmal der Titel:

Aleksandra und Daniel Mizielinscy, Natalia Baranowska: Alle Welt zu Tisch. Das grosse Buch vom Essen, Kochen & Schmecken. Moritz Verlag, Frankfurt 2021. 115 S., Großformat, geb., 29 Euro

 Das Buch stammt aus Polen, die Illustrationen (es sind also keine „Comics“) von dem im Titel genannten, polnischen Grafikerpaar.

 

 

Das Buch

Dem Titel nicht ganz entsprechend geht es im Prinzip um die Vorstellung um Essen in einer Reihe sehr unterschiedlicher Länder der Welt. Es geht also nicht nur um die großen kulinarischen Kulturnationen, die uns normalerweise einfallen, wenn es um solche Themen geht. Weil der Platz begrenzt war, hat man eine Auswahl getroffen, die aber nicht detailliert begründet wird. Der Eindruck ist der einer weltweiten Sicht, und das ist hier wohl auch das Wichtigste. Es geht zudem um eine Art Geschichte der Nahrungsmittel von den frühesten Anfängen bis zur „Astronautennahrung“.

Vertreten sind zum Beispiel die USA, Mexiko, Brasilien, Frankreich, Deutschland, Norwegen, Japan, China, Iran, Israel, Vietnam, Indien, Äthiopien, Nigeria Ägypten, Griechenland Italien usw. usf. (insgesamt 26 Länder, darunter diverse Länder Osteuropas). Nicht vertreten sind zum Beispiel Dänemark/Grönland, England, Irland, Österreich, Australien, Saudi-Arabien, Niederlande, Belgien usw.  Jedes Land wird auf vier Seiten vorgestellt, auf denen sich auch insgesamt 56 Rezepte finden. Den Anfang macht die Türkei, am Schluß gibt es das Kapitel über Äthiopien und ein „Chronologisches Inhaltsverzeichnis“ auf vier Seiten. Die Illustrationen überwiegen, die Texte erläutern, dominieren aber nie. Die Illustrationen haben einen kohärenten Stil, er ist geeignet, von Personen bis zu diversen Szenarien und den Lebensmitteln alle Dinge in gleicher Qualität darzustellen.

 

 

Um dem Inhalt etwas näher zu kommen, nimmt man am besten ein Beispiel, Deutschland. Auf der ersten Doppelseite gibt es oben eher mittelalterliche Szenen. Darunter geht es um „Bergeweise Klöße“, Roggenbrot inkl. Pumpernickel und ein Rezept mit Einzelbildern von Käsespätzle. Auf den Seiten 3 und 4 zeigt die obere Illustration Szenen aus dem aktuellen Deutschland, eindeutig multikulti, darunter auch ein Bild von zwei etwas jüngeren Köchen und der Überschrift „Berlin ist heute ein irrer Cocktail internationaler Geschmäcker“. Im unteren Teil findet sich ein Stück über „Fleisch im Darm“ (also Würste), über „grünen und weißen Sparge“l und über Kartoffelsalat. – Ich möchte das zunächst nicht weiter kommentieren.

Vielleicht ist Frankreich genauer dargestellt. Dort zeigt die große Quer-Illustration einen Mix aus großer Vielfalt von Essen, allerlei Höfisches und die Unterschrift „Die Wiege der Revolution“, was also im wesentlichen kulinarisch gemeint ist. Im unteren Teil geht es um Küchenchefs und Küchenbrigaden, um die Michelin-Sterne, um grundlegende Saucen (Béchamel und Co.), Zuckerbäckerei und als Rezept der Croque Monsieur. Auf den Seiten drei und vier gibt es als große Illustration diverse französische Spitzenköche von Escoffier bis Alain Passard, unten dann ein Millefeuille-Rezept, die Herstellung von Blätterteig, etwas über die französische Käsevielfalt und über die Pasteurisierung.

Das geht bei den anderen Ländern so weiter – mal hat man den Eindruck, die übersichtlichen kulinarischen Erfindungen mancher Ländern wären gut getroffen, mal sieht es nach einer eher klischeehaften Verkürzung aus. Mal gibt es Kommentare zum Geschmack, mal Banalitäten. Insgesamt bekommt ein Leser bei uns eher mehr Informationen über diverse andere Länder als er sie normalerweise haben wird, dafür wird er enttäuscht über die knappe Darstellung seines eigenen Kulturkreises sein. Ein klein wenig wirkt das dann so, als ob man Länder in den kulinarischen Fokus rücken möchte, die dort bisher nicht sind, aber von denen man meint, dass sie dort hingehören. Dass davon geredet wird, bei diesem Buch könnten Erwachsene genau so lernen wie Kinder, kann man verstehen, weil weder Erwachsene noch Kinder in der Regel über gute kulinarische Kenntnisse verfügen und schon gar nicht bei den Küchen der Welt. Ob dieses Buch überhaupt ein Kinderbuch ist, scheint mir nicht ganz sicher zu sein. Die Kinder werden vielleicht über die Bilder angesprochen werden, die Erwachsenen merken, dass sie da nicht so richtig viel wissen und viel lernen können

Das vermittelte kulinarische Weltbild

Bei der „Inhaltsanalyse“ von Texten (wie sie die wissenschaftliche Analyse von Texten kennt) spielt oft auch der Begriff des „vermittelten Weltbildes“ eine Rolle: Wie wird in einem Text die Welt dargestellt, oder -übertragen auf dieses Buch – wie wird die kulinarische Welt dargestellt? Und da stört mich ein ganz bestimmter Aspekt, nämlich der Mangel an Hierarchisierungen der Qualität (oder eben: der Mangel an Vermittlung von Qualitätsstufen). Während wir im täglichen Leben und in der öffentlichen Diskussion in allen möglichen Bereichen von der kreativen Spitzenküche bis zu Vegetarismus und Ökologie ständig kulinarische Werte diskutieren, bleibt die hier weitestgehend aus. Die Folge ist eine Parallelisierung der Küchen und Qualitäten aller Ländern nach dem Motto (salopp formuliert) „Du bist ok, ich bin ok“ (vorzugsweise eben auch die osteuropäischen Länder). Dass zu allen Zeiten inklusive der Jetztzeit große Probleme mit der Ernährung existiert haben und existieren, kommt nicht vor, es ist ein eher heiterer Bilderbogen, was man auf der Welt alles so an merkwürdigen Dingen macht. So schön und unterhaltsam die Bilder sind, so merkwürdig kann die im Wortsinn kritikfreie, unterscheidungsfreie Darstellung des Themas. In dem Moment, wo man die Information und nichts als die Information in den Mittelpunkt rückt, überwiegt das Positive.

 

 

Fazit

„Alle Welt zu Tisch“ ist ein unterhaltsames Buch mit schönen Illustrationen, einem nicht ganz stimmigen und tragfähigen Konzept und einer Informationsflut, die letztlich den Ausschlag zum Positiven gibt.

Ich habe es – bei aller Kritik – mit Interesse gelesen. Infotainment ist immer gut, aber man darf nie vergessen, dass viele andere Dinge, die sehr interessant wären, gar nicht erst erscheinen.

Das Buch bekommt ein grünes B

 

7 Gedanken zu „Was hat dieses Buch, das andere Bücher nicht haben? Oder fehlt doch etwas?“

  1. Man hat den Eindruck das sie dieses stimmige und tragfähige Sachbuch gar nicht verstehen, in erster linie ist es für Kinder gedacht und das buch ist super erklärt, sollte im Kindergarten oder Grundschule zur Ausstattung gehören, auch das buch alle welt super klasse!!

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    • Lieber Klaus Kenner, Sagen wir es einmal so: man hätte auch kritisieren können, dass die Autorin wegen der oft klischeehaften Verkürzungen überfordert war. Ich wollte das nicht, weil auch eine oberflächliche Rezeption bei diesem Buch einen guten Effekt haben kann. Kritik nimmt Dinge distanzierter wahr. Ich bin kein Buchverkäufer oder Verlagsangestellter. Gruß JD

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  2. Ich Kuss sagen, diese Rezension finde ich leicht überzogen und viel zu ernst.

    Ich benutze es mit meinem Sohn, 4 Jahre. Und es kommt mir sehr stark so vor, dass es sich vordergründig an Kinder richtet und ganz klar weniger an Erwachsene…Unvollkommenheit, Qualitatshierarchien?! Es will mir nicht einleuchten, wozu man dergleichen in dem Kontext braucht. Sie sagen es ja selbst – unglaublich viele Kinder haben einen derartig einseitigen Zugang zum Thema Essen, da finde ich es wirklich nur zu empfehlen, wenn hier (von mir aus auch stark verkürzt und unvollständig, aber für Kinder auf eine wimmelige, vergnügte, lustig illustrierte Weise) über die Vielfalt der, wie im Beispiel Deutschland angeführten „Wurstlandschaft“ unter der Überschrift FLEISCH IM DARM berichtet wird… Das erste, was mein Kind gesagt hat, war: „Oh, die will ich alle mal probieren“ und angefangen hat er mit der Blutwurst…

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  3. Ergänzend zur Einordnung auch der beschriebenen Darstellungsweise sei nur bemerkt, dass es sich um die Ergänzung des Bandes „Alle Welt“ handelt. Das ist ein Atlas, der sich klarer als dieses Buch an Kinder richtet. Das erklärt vielleicht ein wenig die dargestellte, gewissermaßen „geografische“ Darstellung auch dieses Themas.

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