Zum Tod von Ingo Holland. Ein Nachruf

In der letzten Woche verstarb überraschend und im Alter von erst 64 Jahren Ingo Holland, der deutsche Gewürzspezialist schlechthin. Er war einer der ganz Großen der Szene – nicht nur als ein Spezialist für die Gewürzküche, sondern vor allem als Gewürzhändler und Schöpfer von Gewürzmischungen, die einen großen Einfluss auf die kreative Entwicklung fast aller guten Köche in Deutschland gehabt haben. Um ein Wort aus den Nachrufen von Politikern zu benutzen kann man sagen: Ingo Holland hat sich um die Kochkunst verdient gemacht.

Meinen ganz persönlichen Nachruf möchte ich an einige besondere Erlebnisse und wichtige Erfahrungen knüpfen.

 

Rund um das Buch „Meine Gewürze“

Von Ingo Holland ist im Jahr 2006 ein exzellentes Buch mit dem Titel „Meine Gewürze“ erschienen. Die Bilder zu diesem Text sind aus diesem Buch, sie wurden von Elissavet Patrikiou aufgenommen. Weil wir Beide im gleichen Verlag (Tre Torri) waren, ergab sich die Anregung, dass ich alle seine damals sehr innovativen Rezepte mit Gewürzen im Buch kommentiere. Insofern habe ich dann also alle Rezepte aus diesem Buch auch probieren und lange Gespräche über die Gewürzküche führen können. Das Buch und sein Inhalt haben über die Jahre nichts an Aktualität verloren. Der Grund liegt auf der Hand: es gibt Köche, die mit Gewürzen arbeiten, und es gibt Köche, die richtige Gewürzköche sind, also nicht nur ihre Arbeiten irgendwie aufpeppen wollen, sondern in den Gewürzen sozusagen mehrdimensionale aromatische Perspektiven sehen. Erst mit dieser Fähigkeit kommt man übrigens in die Lage, exzellente Mischungen herzustellen. Es gab in diesem Zusammenhang auch allerlei Diskussionen zwischen Ingo Holland und mir, die oft etwas mit der Intensität des. Gewürzeinsatzes zu tun hatten. Dazu muss man ein klein wenig ausholen…

 

 

Ingo Holland und Olivier Roellinger

Über 10 Jahre bevor Ingo Holland 2001 das „Alte Gewürzamt“ gründete, gab es Frankreich viel Wind um den Bretonen und späteren Drei Sterne-Koch Olivier Roellinger und Gerichte wie seinen „Saint Pierre Retour des Indes“, einen im grunde sehr puristisch gehaltenen Fisch mit u.a. Wirsing und einer kleinen Menge Jus mit der von Roellinger erfundenen Gewürzmischung „Retour des Indes“. Es ist heute kaum noch nachvollziehbar, wie viel Spott und Witze sich dieser exzellente Koch anhören musste. Es gab – wie bei vielen großen Neuerungen – eine ganz beträchtliche Fraktion von klassisch orientierten Köchen, die so etwas für Verrat an der Kochkunst hielten. Warum ich das hier zitiere liegt daran, dass ich es sehr bedauert habe, dass Ingo Holland nicht mehr weiter im Restaurant gekocht hat. Die Gewürzküche, wie er sie verstanden hat ist bis auf den heutigen Tag immer noch nicht so durchgesetzt, wie es eigentlich von Interesse wäre. Seine integrale Gewürznutzung ist nach wie vor etwas, wovon sehr viele Köche lernen könnten, seine Balance zwischen klassischen Grundlagen und ihrer intelligenten Erweiterung immer von höchstem Interesse. Er hätte über viele weitere Jahre nie wirklich Konkurrenz gehabt.

Und dann gab es da die Entwicklung von Ingo Holland und Olivier Roellinger. Ich persönlich war in den frühen 90er Jahren höchst fasziniert von den Gewürzen von Olivier Roellinger und habe später dann auch immer wieder über ihn geschrieben. Als ich die Gewürzmischungen von Ingo Holland bekam, habe ich natürlich verglichen. Ich war – sagen wir: unentschieden, ob er das Niveau von „Retour des Indes“ oder „Grande Caravan“ oder der Gewürzmischung für den spektakulären Grog erreichen könnte. Die Entwicklung nahm dann einen überraschenden Verlauf. Roellinger schien irgendwie die ganz große Inspiration auszugehen, während Ingo Holland immer besser wurde und eine Stilistik entwickelte, die ausgesprochen viel „Boden unter den Füssen“ hatte, also so professionell und sicher wirkte, wie das nur ein ganz großes Talent realisieren konnte. Später haben mich viele der neuen Entwicklungen bei Roellinger nicht mehr interessiert. Die von Ingo Holland immer. Beiden gemeinsam war das große Interesse für die Grundprodukte. Und da hat mir Ingo Holland einmal eine sagenhafte Degustation ermöglicht.

 

 

Die Vanille-Story für den „Feinschmecker“ (und andere)

Die Basis guter Gewürzmischungen sind gute „Einzelgewürze“. Es war und ist immer noch für viele Leute unverständlich, dass es quasi von allen Gewürzen normale, schlechte und exzellente Qualitäten gibt. Und es ist kein Geheimnis, dass die großen Gewürzmarken da eben so sehr auf die Preise achten, dass sie die guten Qualitäten erst gar nicht anbieten können – wenn sie sie denn kennen. Bei Ingo Holland wurde ein enormes Fachwissen in allen Details zur Grundlage seiner Arbeit. Als ich einmal für den „Feinschmecker“ und meine Serie „Küchengeheimnisse“ etwas über Vanille schreiben sollte, rief ich Ingo Holland an und bat ihn um Unterstützung. Ich bekam eine Sendung mit allen Sorten, die er vorrätig hatte, also nicht nur denen, die er verkaufte, sondern auch denen, die er zur Prüfung vorrätig hatte oder die zu seiner Sammlung gehörten. So etwas hatte ich in dieser Breite noch nie bekommen und erlebt. Es war sensationell festzustellen, dass die geschmackliche Spannweite der Vanillesorten gigantisch ist und man manchmal die eine kaum mit den anderen vergleichen kann. Sie alle haben natürlich ihren Anteil an Vanillin, aber der „Rest“ variiert enorm stark. Und – in jedem Gespräch hatte ich das Gefühl, mit einem der ganz Großen Kenner der Materie zu reden, einem der Gestalten, von denen wir alle nur lernen können. Vielen Dank dafür, so etwas ist wie ein Lebenselixier.

 

 

Eine Irritation und ein Ärgernis zuungunsten von Ingo Holland

Als Kritiker muss ich etwas dazu sagen, was der Erfolg von Ingo Holland verursacht hat. Irgendwann wurden sein Purple Curry, seine Molé-Fassung und ähnliche Dinge auch unter den besten Köchen so populär, dass ich landauf, landab ständig auf Saucen traf, die mit den Gewürzmischungen von Ingo Holland gemacht waren. Wie gesagt: seine Gewürzküche in aller Subtilität und Spezifität war die eine Sache, ihr oft plakativer und bisweilen auch wenig sinnvoller Einsatz die andere. Mit den Mischungen wurde er so erfolgreich, dass es schon fast etwas viel wurde… Über den Erfolg habe ich mich trotzdem immer gefreut.

Das Ärgernis hat etwas damit zu tun, dass ein deutscher Fernsehkoch beschlossen hatte, sich als Gewürzpapst zu inszenieren. Letztendlich hat das dem Erfolg von Ingo Holland nicht geschadet, weil die Qualitäten von Schuhbeck einfach zu sehr Mainstream waren. Trotzdem scheint es mir so, als ob man mit voller Absicht erkannt hätte, dass Ingo Holland zwar sehr gut und berühmt ist, die Medienmacht von Schuhbeck aber klar „darüberbügeln“ kann – ein wenig so, wie dann viele Leute Tim Mälzer für den besten deutschen Koch halten…

 

Persönlich

Ich fand die Treffen mit Ingo Holland immer hochinteressant. Er war ernsthaft und voller Wissen, gleichzeitig aber immer auf der Suche nach dem Kern der Dinge, er zweifelte, wollte wissen, wie ich bestimmte Mischungen fand, diskutierte kritisch die Arbeit Anderer, aber immer mit Blick auf eine überragende Qualität. Wenn man eine andere Meinung hatte, musste man sehr, sehr gute Gründe haben. Genau das fand ich immer sehr anregend, fordernd, weiterbringend. In den letzten Jahren haben wir seltener miteinander zu tun gehabt, für mich war er „durch“, ein Selbstläufer, er hatte es geschafft, er war eine Koryphäe, die Standing und Bestand hat.

Und dann sagt man immer, ja klar, wir kommen mal wieder vorbei…

7 Gedanken zu „Zum Tod von Ingo Holland. Ein Nachruf“

  1. Einen Kommentar, wie der von Herren Kowalki daher kommt, zu diesem Nachruf von Herrn Dollase abzugeben. Das empfinde ich als reine Frechheit.

    Ingo Holland war und ist eine Legende. Jürgen Dollase hat dies sehr gut verinnerlicht. Und ich sehe im Bereich Restaurantkritik und in der Kenntnis von Produkten momentan keine Alternative. Ich bitte um etwas mehr Respekt und erhoffe mir keine Kommentare mehr.

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  2. Ingo Holland war brillant in jeder Hinsicht! Ich vermisse ihn so sehr !!! Ein begnadeter Koch und Gewürzemeister ! Ein Mann der besonderen Art !Er liebte das Leben ! Unvergessen ! Isabell

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  3. Ich wüsste jetzt nicht das schuhbeck sich als Gewürz Papst bezeichnet hätte, genauso wenig das sich Tim Mälzer als der beste Koch bezeichnen würde, was andere oder die Medien daraus machen ist natürlich eine andere Sache,, genauso wie sie Herr Dollase von einigen wenigen als der beste Kritiker tituliert werden was sie natürlich nicht sind.

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  4. Danke, Mister. Ich bin froh über den Vergleich mit Roellinger, dessen Retour des Indes für mich (ich war jung) der Meilenstein überhaupt für ein Gericht war, dass mich faszinierte, ohne dass ich es genau verstand. Es waren die Aromen, die so präsent waren, ohne laut zu sein. Genau das habe ich bei Ingos Gewürzen immer wieder gemocht: subtile Unterstützung, ohne zu dominieren. Darin werden er und sein Unternehmen uneinholbar richtungsweisend sein.

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  5. Roellingers Retour des Indes war sehr subtil und stahl dem Fisch nicht die Show, was aus heutiger Sicht natürlich genau richtig war, doch ich war damals eher irritiert nach vielen Mahlzeiten bei angelsächsischen Indern. Seine Gewürze und die von Ingo Holland sind in der Tat die Marksteine mitteleuropäischer Gewürzkunst. Erfreulich ist, dass sich seitdem im gehobenen Preissektor einiges getan hat. Von Vanille mal abgesehen, die preislich exorbitant gestiegen ist, gibt es inzwischen auch woanders gute Qualitäten und tatsächlich sogar vereinzelt bessere. Wir mussten halt hier wie überall erst lernen, was Qualität ist. Wie bei Tee und Kaffee. Wir dürfen uns freuen, dass wir schon recht früh einen deutschen Lehrmeister im Gewürzbereich hatten, der viel mehr war als nur ein Vermarkter.

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