Bild und sensorische Struktur, Folge 3: Der „Saumon Soufflé“ der Familie Haeberlin als dekonstruierter „Lachs im Blätterteig“

Der berühmte „Saumon Soufflé“ von Paul Haeberlin von der „Auberge de l’Ill“ in Illhäusern im Elsaß ist ein Klassiker des Hauses, von dem man nicht ohne weiteres weiß, dass er einen der größten Klassiker der Kochkunst als Vorbild hat. Die Art und Weise, wie Paul Haeberlin diesen Klassiker analysiert und modernisiert hat, hat sehr viel mit einem klaren sensorischen Verständnis zu tun, das man im Grunde als Dekonstruktion verstehen kann. Und was sein Sohn Marc heute daraus gemacht hat, ist noch einmal eine Veränderung und Optimierung aus einem – sagen wir: neuen Schub an entwickeltem sensorischen Verständnis.

 

Heinz Winkler: Lachs in Blätterteig mit Estragonsauce

(Aus dem Buch: Heinz Winkler: Drei Sterne-Küche für zu Hause. Heyne, München 1984. Foto: Reinhart Wolf)

 

 

Der Lachs im Blätterteig ist ein uralter Klassiker, von dem es Unmengen an Varianten gibt. Warum ich eine Fassung von Heinz Winkler genommen habe, liegt an den Bestandteilen der Komposition. Wir sehen ganz deutlich den Lachs, die Farce und die Teighülle, dazu eine klassisch aufgebaute Sauce und – hier als „Garnitur“ beschrieben – zerhackte Tomaten. Die Fischfarce kommt von Hechtfleisch (das in vielen klassischen Zubereitungen wie etwa den „Quenelles de Brochet“ ebenfalls genutzt wird), die Sauce hat neben den üblichen Elementen auch Noilly Prat und neben Estragonblättern auch Estragonessig, also eine Art Erweiterung/Modifizierung des Säureanteils. An den Tomaten ist quasi nichts gemacht. Die Garung des Lachses liegt der Optik nach über ca. 41°, was einem bestimmten, eher traditionellen Verständnis entspricht. Gegenüber Garungen von unter 40° schmeckt er in dieser knapp durchgegarten Form deutlich anders. Dennoch ist hier alles so aufgebaut, dass der Fisch schonend gegart wird und seine Saftigkeit nicht verliert.

Bei einer der Galas zur Ehrung der „Lieblinge des Jahres“ der FAZ/FAS hat Winkler einmal seinen Lachs im Blätterteig präsentiert – ähnlich wie hier und übrigens zur großen Freude der Gäste.

 

Paul Haeberlin: Saumon Soufflé „Auberge de l’Ill“

(Aus dem Buch: Paul und Jean-Pierre Haeberlin: Meisterküche im Elsaß. Diie Auberge de l’IIll. Econ Verlag, Düsseldorf 1981. Foto: Johann Willsberger)

Man könnte die Beschreibung so ähnlich wie bei Heinz Winkler beginnen. Es gibt Lachs, eine Farce von Hechtfleisch, Blätterteig, eine klassische Sahnesauce und Tomaten. Statt Estragonessig spielt elsässer Riesling eine Rolle, ein weiteres prägnantes Aroma wie der Estragon kommt nicht ins Spiel. Die Elemente sind also sehr ähnlich. Was kann Paul Haeberlin aber bewogen haben, den Klassiker so deutlich umzubauen? Man darf annehmen, dass er einerseits die einzelnen Produkte deutlicher in den Mittelpunkt stellen wollte und andererseits das Spiel zwischen den einzelnen Elementen potentiell als sehr viel interessanter, differenzierter und feiner ansah, als das bei der klassischen Terrine der Fall ist. Dort gibt es einen süffigen Akkord, bei dem fast bei jedem Schnitt/Bissen alle Elemente beteiligt sind. In diesem Akkord ist der Lachs in einer eher schwachen Position, er ist mehr Teil des Ganzen und wird speziell von der Blätterteigkruste sensorisch schnell überlagert.

Bei Paul Haeberlin in dieser im Grunde dekonstruierten Fassung bekommen wir den Lachs nur mit der soufflierten Farce, also deutlich konzentrierter. Das „Päckchen“ liegt in der Sauce, die man bei jedem Bissen unweigerlich mit aufnimmt. Da die Sauce aromatisch kein Konkurrenzaroma enthält (siehe oben bei Heinz Winkler), wirkt sie eher wie eine ausweitende Würze für Fisch und soufflierte Farce. Dieser Akkord ist dennoch recht eng und erinnert wegen der geringen Texturkontraste (vulgo: es matscht schnell zusammen) schnell an die ähnlich funktionierenden Quenelles de Brochet mit Sauce Nantua. Die Blätterteigkruste wird eher zitiert und ist zu einem Fleuron geschrumpft. Dennoch wollte Paul Haeberlin auf etwas Texturwirkung von der Blätterteigkruste nicht verzichten. In dieser Form ist naheliegend, dass der Esser etwas davon zum Akkord dazunimmt und eine feine, leicht raschelnde/knirschende Textur bekommt, die aber weit davon entfernt ist, Lachs und Farce aromatisch zu bedrängen. Die Tomaten werden weiter quasi nicht behandelt. Ihre Dosierung verrät, dass sie ähnlich wie das Blätterteigelement nur für eine kleine Abwechslung gedacht sind.

Und trotzdem ist Marc Haeberlin hingegangen und hat diesen Klassiker – gerade unter sensorischen Aspekten – noch einmal dezent, aber wirkungsvoll überarbeitet, so dass man ihn auch heute noch, also in einer Zeit, wo große Sahnefluten verpönt sind, ganz entspannt essen kann.

 

 

Marc Haeberlin: Saumon Soufflé 2019

 Ich hatte die Möglichkeit, mit Marc Haeberlin über seine Fassung zu reden. Er hat meine Beobachtungen bestätigt. Wenn man die Fassung von Paul Haeberlin ansieht, stellt man ein fast monströs wirkendes Gebilde fest, eine wirklich große Portion, die mich bei meinem ersten Essen dort auch wegen der überaus sahnigen Sauce mächtig gefüllt hat. Außerdem waren die Proportionen zwischen Lachs und Farce so, dass man eine Unmenge an Farce bekam, der Lachs also nicht wirklich gefeatured wurde. Natürlich habe ich damals alles aufgegessen, weil man schließlich solche Kostbarkeiten nicht liegenlässt.

Marc Haeberlin hat das erkannt und in allen Teilen für mehr Leichtigkeit und andere Proportionen gesorgt. – Der Lachs mit der Farce hat eine präzise austarierte Proportion, die speziell dafür sorgt, dass der Lachs in seiner ganzen Frische und Präsenz, die er bei einer Kerntemperatur von knapp unter 40° hat (er ist dann schon warm hat aber noch weitgehend seine natürliche Farbe), wahrgenommen werden kann. Die Sauce ist aromatisch keinen Deut schwächer als bei Paul Haeberlin, hat aber durch reduzierte Fette und das Aufschlagen einen klar weniger massiven Charakter. Die feine Säure ist dafür sehr viel exakter ausgearbeitet, so dass das Ganze im Prinzip sogar „leicht“ und elegant wirkt. Der Fettgehalt der Sauce wird übrigens mit Teilen Vollmilch reguliert. Das Blätterteig-Element ist sehr leicht, nicht so buttrig wie bei Paul und hat zum Lachs eine klar andere Proportione. Das Bewusstsein für etwas mehr Textur ist bei Marc Haeberlin eben deutlich ausgeprägter, er weiß, dass der Lachs etwas mehr fein-krosse Textur verträgt. Ebenfalls deutlich verändert ist die Nocke Tomatenzubereitung. Während Winkler und Paul Haeberlin den Tomaten eher wenig Aufmerksamkeit schenkten, gibt es nun eine Tomatenzubereitung als Nocke – angereichert und deutlich würziger. Sie bringt eine klare Frischenote in die Komposition und passt mit ihrer verstärkten Tomaten-Würze ganz ausgezeichnet in das Bild eines auf den Stand der Dinge gebrachten Klassikers. Die Süffigkeit auch dieser Fassung ist und bleibt gleichwohl enorm.

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