Bio hoch zwei? Der Sohn eines Bio-Bauern kocht die Küche seiner Eltern, lässt aber irgendwie auch an Ed Sheeran denken…

Marianus von Hörsten: Meine Hofküche – regional, saisonal und richtig lecker. Gräfe und Unzer, München 2019. 192 S., geb., Hardcover, 24.99 Euro

Die Eltern von Marianus von Hörsten betreiben einen Demeter-Hof. In diesem Zusammenhang hat es eine gewisse Logik, dass ihr Sohn eine Waldorf-Schule besuchte, kurz vor dem Abitur das Weite in Afrika suchte und auch sonst nicht so ganz in den üblichen Schienen fährt. Die Kochlehre im Restaurant „Stub’n“ im „Hof & Gut“ in Jesteburg trat er mehr aus Zufall an, schloss die Lehre aber frühzeitig ab. Dabei hat er wohl so viel Feuer gefangen, dass es zu Tim Raues „Sra Bua“ in Berlin ging, ins „Doc Cheng“ im Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg, zu „Brenners Park Hotel“ in Baden-Baden, zurück ins „Sra Bua“, dann zur Küchenmeisterprüfung und schließlich ins mobile Restaurant „Tabula Rasa“. Seit Mai 2019 ist von Hörsten Chef im Restaurant „Klinker“ in Hamburg.

Dass er dieses Buch bei einem routinierten kulinarischen Großverlag machen durfte, liegt wohl auch an seiner Leidenschaft für Koch-Wettbewerbe. Die mehr als 20 Teilnahmen haben ihm u.a. 2016 die Titel als „Jugendeuropameister“ in Prag, 2017 als „Jugendweltmeister“ bei der „Global Young Chef Challenge“ in Lyon 2017 und den „Next Chef Award“ bei der Internorga 2018 eingebracht. So etwas hilft vielleicht hier und da und bringt eine Aufmerksamkeit, die ansonsten schwierig herzustellen wäre. All das hat aber ein Ende, wenn es nur um die Sache geht und weder das Alter noch sonst etwas interessiert. Schließlich ist die Lage heute längst so, dass sich die Unmengen an Ehrungen und Wettbewerbe und Titeln gegenseitig entwerten. Salopp gesprochen: ein Koch, der nicht über eine ganze Anzahl von Ehrungen verfügt, muss eigentlich etwas grob falsch gemacht haben.

Das Buch
Mittlerweile sind natürlich auch Formulierungen wie „regional, saisonal und richtig lecker“ mega-out, weil sie so inflationär und oft so wenig zutreffend oder in einem oft so banalen Zusammenhang benutzt werden, dass sie keine Aufmerksamkeit mehr erregen. Außerdem hat das Buch nur begrenzt mit den Gerichten zu tun, die von Hörsten mittlerweile im „Klinker“ präsentiert. Die Gerichte dort zeigen eine größere Komplexität.
„Meine Hofküche“ ist anders gegliedert als die meisten Kochbücher, bleibt bei der Rezeptdarstellung aber konventionell. Der rote Faden ist die Präsentation des Kochs als bodenständig und naturverbunden, als im Bio-Sinne vernünftig, aber nicht dogmatisch, aktiv rund um die Rezepte der „Hofküche“, die nicht seine sei, „sondern die Küche meiner Eltern“. Es geht auch nicht um explizit Vegetarisches oder Veganes, sondern mehr darum, wie man in einer Familie aufwächst und sich entwickelt, die schon seit langer Zeit ein Verhältnis zur Ernährung hat, das heute zu einem so großen Thema geworden ist.

Nach einem Porträt von Marianus von Hörsten mit einem Interview zu einem seiner Wettbewerbsteilnahmen geht es an die Kapitel „Von der Weide“, „Von der Jagd und aus dem Wald“, „Aus See, Fluss, Meer“, Vom Feld“ und „Aus dem Obstgarten“. Die Kapitel beginnen jeweils mit einer sehr persönlich geschriebenen Einleitung. Zitat: „Und zu Schuhen gibt es im Flur der Hofküche eine Regel: Die dreckigen bleiben draußen. Und sind für alle da. Mal eben nach den Bienen sehen? Reingeschlüpft in ein paar Draußenschuhe.“ Das Ende dieser Einleitungen bildet übrigens eine Musikempfehlung, „Für die Playlist“ genannt. Bei „Von der Weide“ ist dies „Einfach sein“ von Fanta 4.

Die Rezepte sind einfach und folgen bei vielen Zubereitungen einer Art verkürzten, wenn man so will „purifizierten“ traditionellen Technik, haben aber auch in fast allen Fällen ein kleines Extra, das sie nicht unbedingt konventionell wirken lässt. Beim erste Rezept etwa „Blutwurst/Kartoffel/Apfel/Kohlrabi“ genannt, treffen ein klassisches Kartoffelpüree, Apfelspalten mit Zucker und Zwiebeln und eine straight gegarte Blutwurstscheibe auf einen Kohlrabisalat mit Dill und weißem Balsamico, was einen guten cru-cuit-Kontrast ergibt. Sensorische Ausweitungen und Auflockerungen gehören bei vielen Rezepten zum Programm. Die Wildente etwa wird mit einem roh marinierten Spitzkohl und Yuzu kombiniert, das Rindertatar mit kleinen, gegarten Rote Bete-Würfeln, Kartoffelchips, einem ganzen Eigelb und einer Creme von griechischer Joghurt mit Ei, Wasabipaste und frischem Meerrettich. Bei einem klassisch geschmorten Ragout von der Rehkeule plus ebenfalls klassisch zubereiteten Pfifferlingen sorgt dann kalter Kräuterschmand (mit Schnittlauch) für einen kleinen, aber wirksamen Kontrast. Der Spinat zum Felchenfilet mit einer klassischen Dill-Hollandaise ist nicht gegart oder „tombée“, sondern roh. Wenn es gut ist, wird das Geschmacksbild bodenständig-natürlich, wie etwa bei der Forelle mit Salatsuppe, Kopfsalat und Apfel, wenn es nicht so überzeugend ist, liegt dies meist an der Verwendung kulinarisch weniger reflektierter populärer Mainstream-Elemente wie bei der Kombination von Garnele mit Erdnuss und Chili. Solche Anleihen bei moderner Allerweltsküche wirken nach vielen Jahren mit Bergen solcher Rezepte bei jedem „populären“ TV-Koch und Unmengen von Autorinnen und Autoren heute nicht mehr locker, sondern überstrapaziert.

Fazit
Dieses Buch hat etwas von einem Schnellschuss, mit dem ein Verlag unter befürwortender Einflussnahme eines bekannten Kochs (Johann Lafer) den Preisträger eines Nachwuchswettbewerbs auch zu einem Nachwuchsstar des Gewerbes aufbauen will. Vielleicht stellt man sich ja eine Art kulinarischen Ed Sheeran vor, obwohl dessen Umsätze von einem Koch vermutlich nie zu erreichen sein werden…Das etwa gleiche Alter und einen Hauch von Ähnlichkeit beim Image hätten sie ja. Aber – im kulinarischen Bereich gibt es natürlich insofern große Hürden, als dort immer noch sehr intensive Qualitätsvorstellungen gelten. Diese Vorstellungen versucht die TV-Koch-Schiene zwar regelmäßig auszuhebeln, was aber dazu geführt hat, dass man die typischen Aktivisten dieser Szene nicht mehr ernst nimmt. Das Buch deutet an, sagt aber noch nicht sehr viel. In seinem Restaurant ist das schon deutlich anders (ich werde darüber berichten). Insofern findet man hier eine knapp formulierte Küche mit ein paar Auflockerungen, die für die Zukunft immerhin mehr erwarten lassen.

Das Buch bekommt 1 grünes B

Fotos © Gräfe und Unzer Verlag

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