Chihiro Masui/Richard Haughton: Jérôme Banctel. La Réserve Paris. Flammarion, Paris 2019, 320 S., geb., Hardcover im Schuber. 75 Euro (in französischer Sprache, bei Amazon erhältlich)

Nein, es ist nicht wie ein Gruß aus einer fernen Welt, auch wenn im Moment Frankreich nicht wirklich gut zugänglich ist. Auch in Paris gilt, was manche Gastronomen längst erkannt haben, dass nämlich gute Restaurants so ziemlich das einzige kulturelle Vergnügen von Rang sind, das den Menschen im Moment zugänglich ist. Viele Spitzenrestaurants sind sehr gut besucht oder sogar auf längere Zeit hin ausgebucht. Man kann sich dort sicherer als an manch einer anderen Stelle fühlen, weil zum Beispiel die Abstandsregeln eigentlich schon vor Corona eingehalten wurden und es ohnehin dort sehr zivilisiert zugeht. Da kommt einem der Satz von Guy Savoy wieder in den Sinn, der da schon vor vielen Jahren einmal gesagt hat: „Die guten Restaurants sind die letzten zivilisierten Plätze auf diesem Planeten.“ Das hat was, auch wenn die Eintrittspreise gerade in Paris nicht eben volkstümlich sind.

Das Buch kommt aus der Welt der Pariser Luxushotellerie, die sich schon seit Jahren dadurch auszeichnet, dass sie oft Köche mit einem eher minimalistischen Stil beschäftigt. Bei der Art von wohlhabenden Gästen aus aller Welt, die in diesen Restaurants isst, spielt der Preis oft kaum eine Rolle, Menge und Kaloriengehalt allerdings schon. Man möchte gepflegt und auf hohem Niveau essen, sich aber weder betrinken noch Mengen zu sich nehmen, die den nächsten Tag in irgendeiner Form beeinträchtigen. Für die Köche ist so etwas keine schlechte Schule, weil sie zu Konzentration „gezwungen“ werden und damit immer nahe an den wichtigsten Grundregeln der Kochkunst arbeiten müssen. Es geht vor allem um hervorragende Produktqualitäten und hervorragende Garungen, die in Konzepten präsentiert werden, die zwar „gourmet“, aber in gewisser Weise auch mehrheitsfähig sein müssen. Man kann kreativ sein, sollte sich aber nicht allzu weit zum Fenster hinauslehnen. Dafür sind dann eher die „reinen“ Gourmetrestaurants ohne Hotelanschluss zuständig.

Das Buch
Nein, bei diesem Buch kommen keine Missverständnisse auf. Der Einband ist goldfarben mit glänzend goldener Schrift, bei der man sich nicht wundern würde, wenn sie aus echtem Blattgold wäre. So etwas braucht natürlich einen Schuber und erst einmal einige Seiten mit Bildern aus dem luxuriösen Restaurant. Beim Vorwort kommt man dann schnell auf spezifischere, genuin kulinarische Gedanken. Es stammt von Bernard Pacaud, dem radikalen Luxus-Klassiker vom „L’Ambroisie“ in Paris, der es geschrieben hat, weil Koch Jérôme Banctel zehn Jahre an seiner Seite gearbeitet hat. Pacaud lobt Banctel für seine Konstanz und speziell seine Besessenheit im Detail, die aus ihm einen großartigen Techniker gemacht hätte. Außerdem wäre er ein sehr guter Teamplayer, der ausgezeichnet mit anderen Leuten zusammenarbeiten könne und deshalb natürlich alle Fähigkeiten besitzt, Präzision auch mit seiner Brigade umzusetzen. Banctel, so Pacaud weiter, habe lange bei ihm gearbeitet, und dann seine Palette ausgeweitet. Das Ergebnis könne man in diesem Buch betrachten.

So ist es, und damit hat dann der Pomp auch sein Ende, weil es im weiteren Verlauf sehr konzentriert um die Rezepte geht – wenn auch unter etwas ungewöhnlichen Überschriften. Kapitel 1 hat die Überschrift „Lebendigkeit“ im Sinne von Frische und Präsenz. Es gibt z.B. „Meerspinne mit Fenchelcreme und gekühlten Erbsen“ oder einen einseitig angebratenen Steinbutt mit Spinatgnocchi und einer Sabayon von Vin Jaune. Kapitel 2 hat die Überschrift „Sinnlichkeit“ und Rezepte wie „Spanische Muscheln, Reis nach japanischer Art, Manzanilla und Kresse“ oder „Lozère-Lamm mit konfierten Kartoffeln, schwarzem Knoblauch und Honig“. Kapitel 3 lautet „Zartheit“ mit Gerichten wie „Hummer mit Sauerampfer-Coulis, Ingwer und einer Vanille-Emulsion“ oder „Terre et Mer: Kaninchen ‚Rex‘ und Aal, Navets mit Miso und Orangensaft“. Kapitel 4 hat den Titel „Klarheit“ und Rezepte wie: „Jakobsmuscheln mit einer Zwiebel-Carbonara und Kaffeegewürzen“, (worunter hier Kaffeebohnen, Koriandersamen, Sesam und Anis verstanden werden) oder „‘Garten von Grüner Kartoffel‘, Green Zebra-Sorbet, Minze, Majoran und Muskatkraut“. Kapitel 5 lautet „Gegensätze“ mit Rezepten wie „Yuzu-Meringue, Taschenkrebs, Granny Smith und Zitronengel“ oder „Rinderschulter mit Saté-Sauce, Palmenherzen und Schnittlauch“. Kapitel 6 ist der „Sensibilität“ gewidmet und hat Rezepte wie „Morcheln, mit Mangold gefüllt, Bärlauch-Gnocchi“ oder „Kabeljau mit japanischem Curry, Koshihikari-Reis und Avocado mit grüner Zitrone“. Den Abschluss macht Kapitel 7, das den Signature-Techniken des Restaurants gewidmet ist, die – sagen wir: in einer Art verkürzten Step-by-Step Fotografie präsentiert werden.

Die Rezepte sehen optisch in der Regel äußerst präzise und knapp und eben oft regelrecht minimalistisch aus. Das bedeutet allerdings nicht, dass auch die Rezepturen entsprechend einfach sind. Tatsächlich sind die Beschreibungen oft umfangreich und sehr detailliert, was exakt zu der Grundkonzeption dieser Küche passt. Hier wird optimiert und an Details gearbeitet, hier geht es um Nuancen und perfekte Inszenierungen ohne jeden Kompromiss. Es scheint klar, dass der Aufbau dieser Küche auch ganz klar in Richtung von drei Sternen geht, weil dieser Typ von Koch in Pariser Luxushotels irgendwie immer ganz automatisch auch in diese Richtung denkt. Ob aus den zwei Sternen (die hier noch ziemlich neu sind) dann drei werden, hängt dann oft von der geschmacklichen Evidenz im täglichen Restaurantgeschäft ab. Die Fähigkeit ist jedenfalls vorhanden, auch eine schöne Breite der Konzepte, die dafür sorgt, dass der Gast eben nicht nur die Demonstration von Handwerk erlebt, sondern auch den Esprit von originellen Einfällen.

Fazit
Diese Art von Spitzenküchen-Kochbüchern ist längst eine eigene Gattung, bei der auch und immer die Spitzenküchen-Community bedient werden soll. Man will eben keine Laien beeindrucken, sondern in erster Linie den Gleichgesinnten zeigen, dass diese Küche Substanz, Perfektion und Ideenreichtum hat. Wenn also andere Spitzenköche so etwas lesen, sollen sie beeindruckt sein und daran interessiert, diese Küche einmal zu besuchen oder sich die Rezepte einmal ganz genau anzusehen. Daraus kann sich dann die Lage des Restaurants in der internationalen Community verbessern (oder es kann sich überhaupt erst einmal im Bewusstsein etablieren), was wiederum letzten Endes eine Auswirkung auf die Bewertungen hat. So einfach und gleichzeitig so kompliziert ist das nun einmal. Für interessierte Privatköche gehört dieses Buch dann wieder zu denen, die man sich nicht kaufen muss, aber vielleicht kaufen sollte. Es geht nicht revolutionär zu und der Input in das System hält sich in Grenzen. Aber Jérôme Banctel ist natürlich ein richtig guter Koch.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Fotos © Richard Haughton/Flammarion

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