Christophe Pelé: Le Clarence. Livre de Cuisine. Éditions Glénat, Grenoble 2019. 320 S., geb., 51,85 Euro (in französischer Sprache)

Christophe Pelé ist vielleicht dem ein oder anderen Leser noch als Chef von „La Bigarrade“ in Paris bekannt, mit dem er sich im Jahre 2007 selbständig gemacht hat. Pelé, der unter anderem im „Ledoyen“, im „Bristol“ und bei Pierre Gagnaire gearbeitet hat, verließ „La Bigarrade“ im Jahr 2011. Das Restaurant „Le Clarence“ liegt in einem teuren Viertel nahe der Avenue des Champs-Élysées und hat bereits eine kulinarische Geschichte. Das Haus stammt von 1894 und gehört der Domaine Clarence Dillon, der u.a. auch das Château Haut-Brion gehört. Erbe des Hauses ist Prinz Robert von Luxembourg, der die Immobilie edel umgebaut und 2015 als „Le Clarence“ eröffnet hat. Seit Herbst 2015 ist Christophe Pelé dort Chefkoch. In Deutschland haben wir so etwas eher selten – in Paris kommt es immer wieder einmal vor: Die Neugründung eines Restaurants, das sich ganz offensichtlich an Luxus und einer entsprechenden Kundschaft orientiert. Und – wenn man so will gibt es dazu auch eine passende Küche, die kreativ – aber nicht zu extrem – und vor allem auch nicht zu schwer ausfallen darf. Christophe Pelé jedenfalls hat zügig zwei Sterne für seine Leistungen bekommen.

Das Buch
Der Band wirkt trotz des relativ modernen Covers erst einmal ziemlich edel. Das Papier ist hochwertig, die Schrifttype suggeriert klassische Werte, es gibt mal wieder Blocksatz und insgesamt eine zurückhaltend-vornehme Gestaltung mit farblich eher kontrastarmen Fotos – von den Bildern des geradezu bunt gehaltenen Interieurs des „Clarence“ einmal abgesehen. Man ist hier vornehm, von Rock’n’Roll in der Küche ist also bei weitem nichts zu sehen. Dennoch ist die Küche von Pelé sehr modern und vor allem geradezu sehenswert minimalistisch. Hier wird in feinsten Nuancen gearbeitet und die Teller sehen manchmal ähnlich konzentriert aus wie zum Beispiel bei Alexandre Gauthier im „La Grenouillère“. Das klingt dann so: „Endivie, Vitello Tonnato, Thunfisch-Bottarga“. Oder – komplett minimalistisch: „Green Zebra-Tomate mit Maldon Sea Salt“. Oder: „Langustine, Weinbergpfirsich, Daikon“, „Tempura von Tintenfisch-Tentakeln, Auster, Ingwer“ und „Rebhuhn mit Schweineohr und Rosenkohl“. Es sieht dabei oft nicht so aus, wie man sich das vorstellen könnte. Die Rebhuhnbrust etwa hat eine durchgehende Körnerschicht, das Herz gibt es extra, das Schweineohr in Form eines Pressé (in ganz dünnen Lamellen) und den Rosenkohl als frittierte Blätter.

Wie zu vermuten ist, geht es bei Christophe Pelé um eine Kochtechnik, mit der ein solcher Minimalismus zu einem hervorragenden Geschmackserlebnis wird. Und da wird der Leser in diesem Buch ausgesprochen fündig werden, weil sich hier eine Technik zeigt, die eine sehr spezielle Balance zwischen französischen Traditionen, Avantgarde und Purismus hält. Von der Klassik kommen eine Reihe von Aromen, von der Avantgarde vor allem knappe Kochtechniken und von einem puristischen Verständnis ein immer wieder anzutreffende, mini-invasive Arbeitsweise. Ein Rezept wie „Sauerampfer, Mandelbutter, Hahnenkamm, Saint-Jacques“ wird in den Zutaten extrem knapp gehalten, bekommt aber sekundengenaue Zeitangaben für die Garungen. Die Sauerampferblätter etwa bekommen etwas Olivenöl und Salz und 4 Sekunden unter dem Salamander, um knapp zusammenzufallen. Oder: Es gibt ein Rezept namens „Rohe Steinpilze, Blätterteig, Parmesan, Gwell“. Es besteht aus einer genau bemessenen, etwas dickeren Schicht Blätterteig, den Pilzen in Scheiben und eine Sauce aus Gwell (ein Joghurt) mit Parmesan. Für solche Rezepte braucht man nicht nur sehr gute Produkte und eine überaus präzise Zubereitung, sondern auch ein sehr gutes Verständnis davon, was sich beim Essen bestimmter Kombinationen einstellt und ein Vertrauen darin, dass dieses Erlebnis gut genug ist.

So etwas führt natürlich schnell zu der Frage, was sich Christophe Pelé eigentlich bei dieser Küche denkt. Und – endlich einmal gibt es ein Buch, in dem solche Fragen beantwortet werden. Die Gerichte haben manchmal ein Rezept, manchmal auch nicht direkt, werden dann aber in einem Interview zu dem Gericht beschrieben. Diese Lösung entpuppt sich im Falle von Pelé als ausgesprochen sinnvoll. Trotz der manchmal geradezu dämlichen Fragen der Interviewerin (die hier schon öfter erwähnte Chihiro Masui) und den dann manchmal fast unwirschen Antworten des Kochs ergibt sich das hochinteressante Bild eines alle Details seiner Arbeit differenziert reflektierenden Kreativen. Hier weiß jemand, was er tut und er kann es erklären. Dabei stellt sich natürlich unweigerlich die Frage, ob diese Küche so speziell ist, weil sie so präzise reflektiert ist. Meine Vermutung ist: Ja, wer seine Küche auf diesem Niveau durchdenkt, erreicht Qualitäten, die andere nicht so ohne weiteres erreichen.

Das Buch wird beim Lesen immer spannender, weil es möglich wird, in die kulinarischen Gedanken eines hervorragenden Kochs einzudringen. „Auster, weißer Trüffel, Chlorophyll, Meerrettich und Vollkornbrot“ gehört leider nicht zu den Gerichten, die per Interview erläutert werden. Aber man versteht die Gedanken im Verlauf des Lesens immer besser und kann dann auch die Rezepte ohne Erläuterungen bestens nachvollziehen.

Fazit
Ein Fundstück von einem Buch, dem man auf den ersten Blick eine Menge, aber nicht alles ansieht. Die Rezepte sind oft sehr kreativ, und das in einer zurückhaltenden Form, die auf Anrichtemoden weitgehend verzichtet. Mit den Erläuterungen zu den Rezepten gibt es einen beträchtlichen Mehrwert, der das Buch zu einem ganz hervorragenden und hochinteressanten Werk macht. Speziell Köche und ambitionierte Privatköche werden das schnell merken. Wenn man einmal einen Vergleich anstreben will, so könnte man ein klein wenig an Jörg Wörther zu seinen besten Zeiten denken. Eine beeindruckende Vorstellung von einem Koch, von dem man bei uns eher selten etwas erfährt.

Das Buch bekommt 3 grüne BBB

Fotos © Éditions Glénat

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