Daniel Humm: Eleven Madison Park. The Next Chapter. Matthaes-Verlag, Stuttgart 2019. 384 S., geb., Ganzleinen, 79.50 Euro

Passend zu seinem Auftritt auf dem „CHEF-SACHE“ Kongress in Düsseldorf ist nun auch da aktuelle Buch von Daniel Humm in deutscher Übersetzung erschienen. Das amerikanische Original stammt aus dem Jahr 2017. Der 1976 geborene Schweizer und schon Fast-Amerikaner ist einerseits Chef des „Eleven Madison Park“ in New York (Nummer 1 in den Top 50 im Jahre 2017). Andererseits ist er vielleicht der nächste Koch, der ein gastronomisches Imperium ganz nach amerikanischer Art aufbaut – also in die Fußstapfen von Jean-Georges Vongerichten, Wolfgang Puck und Co. tritt. Humm kam im Jahre 2006 aus Kalifornien nach New York ins „Eleven Madison Park“ und erhielt im Jahre 2011 den dritten Michelinstern.

Sein aktuelles Buch ist eines der seltenen Kochbücher, das nicht nur Rezeptinformationen enthält, sondern quasi zu gleichen Teilen auch Gedanken des Autors zu den Rezepten, zu Produkten und zu seiner Arbeit insgesamt. Das macht dieses Buch über die Rezepturen hinaus ausgesprochen interessant und nützlich. Hier gibt es wirklich viel zu lesen. Es erinnert insofern an eines der besten Kochbücher aus der Hand eines in Amerika arbeitenden Kochs, Thomas Kellers „French Laundry Cookbook“ aus dem Jahre 1999, ein Buch, das heute noch wegen der präzisen Begründung der Rezepte und der genauen Reflektion der eigenen Arbeit äußerst lesenswert ist.

Das Buch
Daniel Humm geht dieses Buch in vielerlei Hinsicht etwas anders als üblich an. Er kommt sozusagen direkt zur Sache und bleibt auch dabei. Es gibt also keine großen Fotostrecken mit Porträts oder Szenen aus dem Restaurant oder Szenen aus New York. Dafür gibt es gleich nach den „Grundlagen“ ein Bild des US-Jazztrompeters Miles Davis und das Zitat: „Manchmal muss man sehr lange spielen, bis man endlich so klingt wie man selbst.“ Vorher breitet Humm auf zwei Seiten seine „Grundlagen“ aus. Darin heißt es u.a.: „Es dauerte fast meine gesamte berufliche Laufbahn, zu lernen, zu wachsen und mir das Selbstvertrauen zu verschaffen, mich selbst auszudrücken. Und jetzt, nach all den Jahren, möchte ich – nein, ich muss es – in Worte fassen. Es folgen die vier Anforderungen an ein Gericht, Es hat „exquisit“, „schön“, „kreativ“ und „bewusst“ zu sein. „Exquisit“ im Sinne einer unmittelbaren Überzeugungskraft als ein exquisites Objekt, „schön“ in einem weiten, nicht nur optischen Sinne, „kreativ“ um immer wieder zu überraschen, und „bewusst“ in der Art, dass es einen Sinn hat und Sinn macht. Dann geht es schon los – grob nach den Jahreszeiten geordnet.

Jedes Rezept beginnt mit einer unterschiedlich langen Einleitung von Humm, in der er meist allgemein-kulinarische Inhalte oder Eindrücke und Erlebnisse seines kulinarischen Lebens mit den Produkten und Zubereitungen des Rezeptes verbindet. Dazu gibt es auf der gegenüberliegenden Seite eine Illustration/ein Aquarell von Janice Barnes. Es folgt die Rezeptur und gegenüber das Foto des Rezeptes. Und weil die Gerichte fast immer sehr minimalistisch aussehen, sind auch die Aquarelle eher minimalistisch. Was allerdings sofort auffällt, ist die Diskrepanz zwischen minimalistischem Gericht und der meist aufwändigen Rezeptur. Das wiederum liegt ganz auf der Linie Humms, der im Interview auf der „CHEF-SACHE“ deutlich gemacht hat, das er jedes Element eines Gerichtes wirklich perfektionieren will und im übrigen immer danach strebt, eine größtmögliche Klarheit mit möglichst wenig Elementen zu erreichen.

Es gibt zum Beispiel „Kabeljau – inspiriert von der Farbe grün“, mit sehr präzisen Angaben zur Garung, dann einem Relish aus grünen Tomaten, Favabohnen und Kichererbsen, Gurkenkaviar, Schinkenglasur von der Haxe und einer ganzen Anzahl von Kräutern. Die „Honigglasierte Ente mit Zwiebel und Daikon-Rettich“ (siehe Abbildung) hat einen Zitrusansatz, eine Zitrus-Entenglasur, Zwiebelblätter, Rettich-Bändern, Rhabarberrelish, geräuchertes Entenfett, die honigglasierte Ente mit Lavendel und Gewürzen, gebräunte Butter und Zwiebelblüten. Es gibt „Rindfleisch – trocken gereift und mit Aubergine gegrillt, ein „Reh – Wellington mit Herbsttrompeten und Foie gras“, eine Adaption eines Klassikers, wie man im Prinzip aktuell bei einigen der besten Köche der Welt findet (siehe Abbildung). Die Originalität ist oft hoch, etwa bei der Jakobsmuschel – Variationen mit Brot und Butter“ mit einem „Gebratenen Jakobsmuschelansatz“, „Gebratener Jakobsmuschelglasur“, „Gebratener Jakobsmuschelbutter“, „Gebratener Jakobsmuschelbrühe“, „Kombu-Zitronen-Vinaigrette, „Eingelegten Apfelscheiben“ und allerlei exquisiten Zutaten zum Servieren. Trotz der scheinbaren Knappheit der Gerichte ist das Buch ein Ausbund an interessanten Akkorden und Zubereitungsarten von einem durchgehend individualisierten Geschmacksbild. So soll es sein auf diesem Niveau.

Die Texte von Daniel Humm würden eine eigene Betrachtung verdienen, weil sie in ihrer ganzen Offenheit und Natürlichkeit und Sachkenntnis eine sehr hohe Qualität haben und ein Denken verraten, das geeignet ist, viele Köche nicht nur zu inspirieren, sondern vielleicht auch dazu zu bringen, ihre eigene Arbeit ganzheitlicher zu durchdenken und zu strukturieren. Dazu zwei kleine Stellen. Es geht in einem Text um „teure Gerätschaften“ in der Küche, die er sehr einfach beantwortet. Man braucht eine gute Kasserole, ein gutes Messer und… einen Metallspieß um die Gartemperatur zu überprüfen… Und dann: „Um ein besserer Koch zu werden, muss man Grundprinzipien verstehen… das Verhältnis von Temperatur und Garzustand… ein Metallspieß kostet etwa 85 Cent und kann ausschlaggebend dafür sein, ob der wilde Heilbutt einfach nur göttlich oder ein zerkochtes, trockenes Stück Fisch ist…“

Die zweite Stelle: „Ich koche seit mehr als fünfundzwanzig Jahren und erst seit Kurzem habe ich verstanden, wie kraftvoll und unverzichtbar Umami ist. Es hat lange gedauert, bis ich diesen Geschmack erkundet und meine Erkenntnisse umgesetzt hatte, wie man am besten die Balance eines Rezeptes, den Geschmack, das Mundgefühl, die Würze manipuliert…“. Die Texte von Humm sind sagenhaft informativ und praxisnah und durchdacht. Man kann das Buch allein wegen dieser Texte komplett durchlesen.

Fazit
Daniel Humm hat ein hervorragendes kulinarisches Buch geschrieben – nicht nur ein hervorragendes Kochbuch. In beiden Teilen gehört der Band in die absolute Spitzenklasse der internationalen Kochbücher, und das nicht zuletzt deshalb, weil hier nicht mit extrem lokalen Produkten und Traditionen gearbeitet wird, sondern eine Küche und eine Denkweise dargestellt ist, die sozusagen mitten in der kulinarischen Welt steht. Das Buch gehört schlicht und einfach in jede kulinarische Bibliothek – selbst in kleine Bibliotheken, in denen darauf geachtet wird, dass sich die Investition in ein Buch auch wirklich lohnt. Aus diesem Band werden die größten Profis und Azubis gleichermaßen lernen können.

Das Buch erhält 3 grüne BBB

Schreibe einen Kommentar