Das französische Durcheinander: Wie seriös ist es, wenn Michelin und Gault Millau weit voneinander abweichen?

Bei der Lektüre des französischen Gault Millau für 2020 fallen eine ganze Reihe von Dingen auf. Es ist zuerst einmal müßig darüber nachzudenken, wer denn nun der Besitzer ist und wie die Politik des Hauses aktuell und in Zukunft ausfällt. Dass jetzt ein gewisser Vladislav Skvortsov, russischer Finanzmann und Freund der französischen Küche, Besitzer des Gault Millau ist, ist die eine Sache. Mit Marc Esquerré steht an der Spitze der Redaktion jedenfalls kein Unbekannter.

Zehn Restaurants „außer Konkurrenz“? Unmöglich
Man hat beim französischen Gault Millau das Problem mit den Altmeistern auf eine Art aus der Welt geschafft, die glatt am Kunden vorbeigeht. Man könnte auch sagen: die Redaktion drückt sich vor einer Bewertung. Zehn der bekanntesten französischen Spitzenrestaurants bekommen 5 golden Hauben, aber keine Punktbewertung mehr. Man nennt sie jetzt „Mitglieder der Akademie“. Festgemacht wird diese Ausnahmestellung an einigen Kriterien, die vor allem etwas mit der allgemeinen Bedeutung und Langlebigkeit der Arbeit der verantwortlichen Küchenchefs zu tun haben. Die zehn Köche sind: Georges Blanc, Alain Ducasse, Pierre Gagnaire, Michel Guérard, Marc Haeberlin, Régis Marcon, Alain Passard, Guy Savoy, Michel Trama und Marc Veyrat. Ihre Küche wird im Führer besprochen, aber – sagen wir: grundsätzlich sehr „gepuffert“. Die Verdienste werden ausführlich erwähnt, auch mal die Noten, die es hier schon einmal gab usw. usf.

So sehr ich die Erwähnung von „Institutionen“ gut und wichtig finde und für eine zusätzlich Markierung solcher Häuser in den Restaurantführern bin, so sehr finde ich den Verzicht auf eine bewertende Kritik unsinnig. Ein Restaurantführer ist dazu da, interessierte Kunden mit den ihren Erwartungen entsprechenden Restaurants zusammenzubringen und ihnen dabei klare qualitative Orientierungen zu geben. Punkt. Und dazu gehört bei allen Restaurants ohne jede Ausnahme, dass man sich präzise und transparent mit den realen Leistungen befasst. Man wird gegebenenfalls traditionellere Spitzenküchen gegen die Meinung von Leuten verteidigen müssen, die die Kochkunst einfach nicht überblicken und bestimmte Leistungen nicht einordnen können (was übrigens auch in Richtung Moderne/Avantgarde gilt). Man wird aber in jedem Falle ihre aktuellen Leistungen bewerten müssen. Ruhm und Ehre kann man nicht schmecken. Das gerade gegessene Gericht zählt. Ohne Bonuspunkte, aber mit dem vollen Verständnis der Kochkunst bewertet. Und das ist eben nicht so einfach…

Die großen Diskrepanzen zwischen Michelin und Gault Millau
Was mindestens genauso stark auffällt wie die Liste der „vergoldeten“ Restaurants, sind die unterschiedlichen Bewertungen zwischen den aktuellen Führern von Michelin und Gault Millau in Frankreich. Hier eine kleine Liste von Drei-Sterne-Restaurants und ihre Punkte bei Gault Millau:

La Bouitte von René und Maxime Meilleur in Saint-Martin-de-Belleville (17)

Kei Kobayashi in Paris, gerade eben erst zu drei Sternen gekommen (15)

Lameloise in Chagny (17,5)

Le Clos de Sens von Laurent Petit in Annecy (17,5)

Das beste Restaurant der Welt bei den Top 50, das Mirazur in Menton (18)

Oustau de Baumaniere in Les Baux en Provence, gerade eben zu drei Sternen gekommen (18)

Gerard Passedat in Marseille (18)

Christian Coutanceau in La Rochelle, gerade eben zu drei Sternen gekommen (17)

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, auch bei Restaurants mit zwei oder einem Stern. Speziell im Vergleich zu den jeweiligen Bewertungen anderer Restaurants wird klar, dass hier sehr, sehr merkwürdig wahrgenommen wird. 15 Punkte etwa, also die Bewertung von Kei Kobayashi, finden sich auch schon bei wahrlich eher unauffälligen Qualitäten…

Je besser die Tester, desto ähnlicher die Ergebnisse
Sind solche Abweichungen möglich? Einerseits: natürlich. Wir leben in einer freien Gesellschaft, und da kann jeder so viel Unsinn erzählen, wie er will – salopp gesprochen. Bei der Bewertung von Essen ist natürlich Manches von einer gewissen kulinarischen Politik geprägt, wobei man ja gerne dem Gault Millau die Moderne zuordnet. Diese Zeiten sind allerdings vorbei und das vor allem auch durch eine veränderte Bewertung bei Michelin, wo man eindeutig auch sehr modernen Küchen hohe Bewertungen gibt. Woher also die Unterschiede?

Es liegt wohl an schwachen Testern. Ich bin ganz dezidiert der Meinung, dass exzellent ausgebildete Tester bei allen Restaurants zu ganz ähnlichen Ergebnissen bei der Bewertung kommen müssten. Das setzt allerdings voraus, dass sie wirklich über eine exzellente Ausbildung verfügen, also zum Beispiel die klassische Küche ebenso zuverlässig bewerten können wie ganz moderne und nie gegessene kreative Ansätze. Wird das dann alles auch noch in einem guten Zusammenhang mit der Kochkunst gesehen, und „sine ira et studio“ mit einem klaren Willen zu einer gut funktionierenden Serviceleistung beschrieben, müßten die Einschätzungen eigentlich ähnlich sein. Bräuchte man dann überhaupt mehrere Führer? Nein, im Prinzip nicht. Man bräuchte einen sehr, sehr guten, dessen Qualität sich im Laufe der Jahre vielleicht dadurch minimal schwankend zeigt, dass die Qualität der Tester oder Cheftester schwankt.

So gesehen bin ich also der Meinung, dass es keine Führer mit unterschiedlichen Ansichten (was immer man darunter versteht…) gibt, sondern nur Führer mit qualitativ unterschiedlicher Besetzung ihrer Tester-Riege. „Unterschiedliche Ansichten“ entpuppen sich oft als fachliche Mängel und durchaus nicht so ohne weiteres als begründet unterschiedliche Meinungen. Wenn man gemeinsam mit hervorragenden Köchen Essen analysiert, kann man fast immer mit ähnlichen Ergebnissen rechnen. Der Guide Michelin hatte früher ein Ansehen, dass in gewisser Weise alternativlos war, weil man unterstellte, dass die Tester über maximale Qualitäten verfügen. Dass er diesen Status – egal ob er je begründet war oder nicht – zu einem beträchtlichen Teil verloren hat, muss man in eben diesen Zusammenhängen sehen.

Das Fazit
Wer ist dann also in Frankreich im Recht, wer der bessere Führer? Niemand. Sie haben beiden ihre Macken, beide immer wieder auch kaum nachvollziehbaren Bewertungen und zeigen sich über die Jahre ausgesprochen unsicher in ihrer Linie. Dass sie teilweise so weit voneinander abweichen, ist kein Zeichen des Profils, sondern mangelnder Professionalität.

6 Gedanken zu „Das französische Durcheinander: Wie seriös ist es, wenn Michelin und Gault Millau weit voneinander abweichen?“

  1. Zumindest in der Theorie bietet der Michelin genau das: Wertung der Küche: Sterne, Wertung des Service: Bestecke,
    Wertung einer einfacheren, aber guten Küche: Bip. Hervorhebung in Rot.
    Keine Punkteangabe, die eine nicht erreichbare Präzision vortäuscht (und Küchenleistung mit sonstiger Leistung vermischt)
    Die Angabe von drei Spezialitäten ist heute für viele Spitzenrestaurants nicht mehr anwendbar, da man sie nicht aufsuchen kann, um bestimmte und berühmte („signature“ Gerichte) zu bestellen.
    Küchenstil und spezielles Ambiente wurden früher kurz und prägnant angeführt (und ebenfalls fallweise in Rot hervorgehoben).
    Die jetzt verwendete Beschreibung in wenigen Zeilen — meist Stehsätze, die wenig aussagen — leistet nicht mehr (sogar manchmal weniger), sondern nimmt nur mehr Platz ein, und macht die Führer unnötig dick und schwer.

    (Daß auch manches andere nützliche — Umgebungspläne, u.a. — in den Michelinführern nicht mehr vorhanden ist, hat mit den Restaurantwertungen nichts zu tun.)

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  2. interessanter beitrag, der viele wichtige aspekte anspricht; rausgreifen möchte ich die sache mit den altmeistern. die aus der aktuellen bewertung rauszunehmen, heisst leider auch, keinen unterschied zu machen, zwischen denen, die seit jahren kulinarisch scheintot sind, wo also in deren lokales nichts neues, spannendes mehr passiert und denjenigen, die noch in der lage sind, bei aktuellen debatten mitzumischen wie zb Alain Ducasse. wer neu in die szene eintaucht, gerade anfängt sich für hochküche zu interessieren, dürfte es so schwer haben, sich anhand des guides einen seriösen überblick zu verschaffen.

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    • Falsch verstanden!
      ich versuche es nochmal .

      Einordnen statt bewerten!!!!

      Kann man das Erlebnis in einem Restaurant von Küche und Service vergleichbar Und gerecht Messen?
      Beim Sprinter ist der Sekundenzeiger und die Ziellinie entscheidend für den Sieg klar messbar!

      Jeder Gast zahlt den selben Preis egal ob er zum Mittagessen oder zum Abendessen kommt Montag oder Sonntag, immer kostet der Steinbutt 44. € somit hat er auch das recht ihn in einer guten bis sehr guten Qualität zu bekommen, Egal ob der Koch einen gute schlechten Tag hat!
      Jedoch empfindet jeder es nun einmal anders wie der Steinbutt gebraten ist , auch wenn er vom Koch exakt immer gleich zubereitet ist, das können wir heute besser den je aufgrund des fortgeschritten in der Küche.
      Die Vielfalt und Qualität die es heute gibt an Küchen, Restaurants, unterschiedliche Konzepte wie soll das gemessen werden vergleichbar und gerecht mit dem Hintergrund das gerade die zwei großen Restaurantführer selbst einen Wirtschaftlichen Druck haben und diesen in die Gastronomie drücken aufgrund ihrer Bewertungen, es ist nicht ein Mangel an Professionalität und Qualität der Tester fest zu machen, sondern vielmehr variablen die unterschiedliche Ergebnisse hervorrufen.

      Deshalb ist es noch zeitgemäß das 2 große Restaurantführer über gute und schlechte Restaurants entscheiden, überblicken Sie überhaupt noch gerecht, die vielen Restaurants und haben Sie die finanziellen Kapazitäten das zu entscheiden?
      Oder drückt sich in den unterschiedlichen Bewertungen schon der Konkurrenzkampf aus und die Bedeutung die ein Restaurantführer noch hat als Werbemittel für Restaurants.
      Viele Restaurants und Gastronomen suchen sich doch schon andere Wege oder kehren den 2 großen den Rücken weil sie sich ungerecht behandelt fühlen oder nicht mehr in diese Kategorien passen die Sie abbilden.
      Michelin hat doch mit dem Bib Gourmand schon eine Art der Unterscheidung vorgenommen die dem Gast hilft eine Entscheidung zu treffen wohin ich Essen gehen möchte und vor allem nicht mit einer Bewertung sondern eher einer Einordnung von Qualität der Speisen.

      Fakt ist das ein Restaurantbesuch nicht aufgrund der Qualität und des Fachwissens eines Testers, oder Professionalität eines Restaurantführes , zu unterschiedlichen Bewertungen kommt sondern eine Vielzahl von Einflüssen gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst zustande kommt.

      Deshalb ist es nicht Zeit die Frage zu stellen ob es noch zeitgemäß ist , anhand der heutigen Vielfalt an gut und sehr guten Restaurants Deutschland und Weltweit eine gerechte Bewertung herbeiführen die messbar und vergleichbar ist.
      Oder sollte man sich nicht lieber spezialisieren und dann einordnen, um eine Vergleichbarkeit und Gerechtigkeit wieder herzustellen?
      In den 80 und 90 war das ja mit diesen einfachen Kategorien 1-3 Sterne oder 13-20 Punkte möglich die Vielfalt war doch nicht so groß und breit. Es is doch nahezu logisch bei den heutigen unterschiedlichen Konzepten und allein der Anzahl der Restaurants, nicht mehr möglich gleiche Bewertungen abzugeben.

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  3. Die andere Seite der Bewertung und warum ich sage nicht bewerten sondern einordnen !

    Wie finden sie die Vorstellung Ihr Kind wird in der Schule anhand eines einzigen Tages , eines einzigen Diktates die Leistung des ganzen Schuljahres bewertet?!

    Das wird Jahr für Jahr mit gastronomischen Betrieben gemacht !

    So ist es verständlich das unterschiedliche Ergebnisse und Bewertungen entstehen, da Tester mit und ohne Fachwissen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, einer kommt Donnerstag´s Mittag ohne das er erkannt wird ! der Postenchef ist krank der etwas unerfahrene Stellvertreter kocht . Ein anderer Tester kommt Samstag Abend 19 Uhr alle Mitarbeiter sind am Posten und sind hoch motiviert da das Restaurant ausgebucht ist!
    Und nun kommt Herr …. bekannt , und alles ist frischer als frisch und der Küchenchef legt selbst Hand an, denn keiner möchte eine schlechte Bewertung!

    Leistung und Qualität eines Restaurants aufgrund 1 Situationen für ein ganzes Jahr zu bewerten ist wie Lotto Spielen, egal wie ausgebildet oder Stumpfsinnig ein Tester ist.

    Und bitte Herr Dollase wenn Sie ein Restaurant betreten meinen Sie, Sie bekommen ein wahrhaftes Bild des Restaurants oder vielmehr ein Bild wie das Restaurant das Sie gerade besuchen gerne sein möchte? Stellen Sie diese Tatsache nicht infrage bleiben Sie glaubwürdig!

    Es gibt noch mehr Gründe für die Sinnlosigkeit der Bewertung eines einzigen Besuches eines Restaurants, aber ich denke das Ihnen selbst bekannt sind.

    Wie Sie beschreiben ist es wichtig das es Restaurantsführer gibt als Bindeglied zwischen Gastronomie und Gast das diese in sinnvoller weise zusammengebracht werden um Enttäuschungen beiderseitig zu vermeiden.

    Sie haben viele tolle Idee und ansetzte für gerechtere Bewertung gemacht und sehr ausführliche dargelegt, die Kriterien die ein Restaurantführer festlegt sind da doch entscheidender denn in diesen Kriterienrahmen bewegt sich der jeweilige Tester .

    Die Vielfältigkeit der einzelnen Restaurants sollte im Restaurantführer abgebildet sein, das der Gast in der Stadt in der er sich befindet, das Restaurant findet was zu ihm passt , ich esse gern klassische französische Küche, wo finde ich die.
    Diese Aufgabe wird nur noch neben bei erfüllt, wenn Restaurantführer A das selbe Restaurant empfiehlt wie Restaurantführer B warum soll ich beide kaufen?
    Ist es vielleicht sinnvoller, wirtschaftlicher, aus Sicht des Gastes und des Restaurantsführes sich zu spezialisierten? Ist hier nicht die Konkurrenz in der sich die Restaurantführer befinden mit Ursache der unterschiedlichen Bewertung?

    Wird dieses System auf Dauer Bestand haben wenn Köche und Service keine Lust mehr haben jedes Jahr Zeugnise zu bekommen die ungerecht erscheinen, die Branche ist im Wandel ?!

    Viele Kriterien die für Gäste heute wichtiger geworden sind werden von den großen Restaurantsführen nicht abgebildet, dann suche ich als Gastronom andere Kanäle um meine Zielgruppe anzusprechen!

    Mein Fazit, Ihre These ist zu verkürzt, obwohl Sie es besser Wissen!

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  4. Diese Abweichungen (die es übrigens auch in Deutschland gibt) verwundern mich auch immer wieder, wobei ich 18 Punkte noch äquivalent zu 3 Sternen sehe. Aber Ihre These, dass die Bewertungen eigentlich identisch sein müssten, zeigt ja vor allem, dass hier der große Unterschied zu den traditionellen Künsten liegt: Bei Literatur, Musik, Bildender Kunst, Bühne und Film gibt es ja praktisch immer gegenläufige Meinungen zu einzelnen Werken – und zwar gerade auch von ausgewiesenen Experten. Oftmals sind die diversen Positionen auch valide und sogar dann nachvollziehbar, wenn man selbst es anders sieht (das zuzugeben braucht natürlich eine gewisse Souveränität). Teils wandeln sich die Einschätzungen auch im Lauf der Jahre, rückblickend. Vermutlich hängt das damit zusammen, dass es in besagten Bereichen -anders als bei der Kulinarik- erst in zweiter Linie um eindeutig Messbares wie Technik und Handwerk geht. Was der eine komplex oder kunstvoll zugespitzt findet, findet der andere affektiert oder manieristisch – spreche ich hier jetzt von Schreibstil, Schauspiel oder Kochstil? Vielleicht ist die Sache mit den Guides doch nicht so einfach…

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    • Sehr geehrter Herr Dolase,

      Ihre Einschätzungen in diesem „Artikel“ strotzen nur so vor Selbstbewusstsein.
      Ihr Artikel wirft für mich einige Fragen.

      Wie definieren Sie einen gut ausgebildeten Tester?

      Zu Ihrem Zweifel an unregelmäßigkeit in den Bewertungen möchte ich Sie folgendes Fragen. 10 Köche erhalten 1 Rezept, wie viele unterschiedliche Gerichte werden Ihnen serviert?

      Wie stehen Sie zu Herr Spaniers Meinung? Spielt Tagesform und die Gesamtsituation keine Rolle in Ihrem Bewertungen?

      Wie M. Spanier bereits schilderte

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