Der Koch und ich – Kapitel 1 Heidelbeeren und Gewitter

Foto © Claus Kuhlen
Liebe Leser,
jeden Sonntag aufs neue erfreut uns Frank Krajewski mit eine weiteren Folge seiner kulinarischen Biographie.
Auch wenn die Themen vielleicht nicht jedermanns Sache sind, so ist der Humor und der Duktus seiner Erzählungen durchaus geeignet in einer Reihenfolge oder auch in der Form der abgeschlossenen Kapitel nur einfach so wie sie kommen gelesen zu werden. Es bereichert jeden Leser in jeder Beziehung und wir wetten fast darauf, dass sie mit der Lektüre genau so viel Spaß haben werden wie wir.

Der Koch und ich

Kapitel 1 Heidelbeeren und Gewitter

Die mir nach gesagte Naturverbundenheit entspringt sicherlich dem Ereignis, das meine Welt überhaupt entstehen ließ. Meine zukünftigen Eltern wurden beim Blaubeerensuchen von einem Gewitter überrascht. Sie fanden gerade noch Zuflucht in einer einsamen Scheune und harrten der Dinge, die da kommen. Diese kamen auch, und sie verließen die Scheune erst, als das Grollen des Donners längst vorbei war. Vermutung: Ich war also mit meinem Vater in die Hütte hinein gegangen und mit meiner Mutter wieder heraus gekommen. Er hat mir diese Story irgendwann erzählt. Es war eben die schlechte Zeit, zwei Jahre nach Kriegsende das Hungerjahr und man war auf jede Gabe der Natur angewiesen, besonders wenn sie gratis war. Blaubeeren brachten die Beiden an diesem Tag im Juli nur wenige nach Hause und schoben alles auf das Gewitter, später auch mich. Nun ja, die schlechte Zeit wurde für mich zur guten Zeit und ich muss manchmal grinsen, wenn ich zum Frühstück Blaubeerkonfitüre auf mein Brötchen streiche. Eine seltsame Erinnerung, aber die Blaubeeren machten sie erst möglich. Als Kind habe ich das Blaubeersammeln immer gehasst, denn kurz bevor die verbeulte Milchkanne, die als Sammelgefäß diente, voll war, kippte sie um und ich schaffte es nie, alle wieder aus Gras und Moos auf zu klauben. Es gab von Oma dann immer ein Donnerwetter. Na wenn schon denn schon, denn nichts Schön`res gabs für Oma Witt als blaues Heidelbeerconfitt. Mein geschmackliches Urerlebnis fand sicher in den ersten Stunden nach meiner Geburt statt, nicht erinnerbar, aber wahrscheinlich prägend. Ich erwähne es später noch einmal, es war die Süße der Muttermilch, genossen im dunkelsten Ruhrpott, da wo Bottrop ist. Meine Mutter wollte ihren Mann besuchen, der dort im Bergwerk arbeitete und wahrscheinlich den ersten Förderverein gegründet hat. Es gab damals keinen Gynäkologen, der abgeraten hätte, eine Reise vom Lipperland inne Bottroper Ostring zu wagen, woll?! Und so kam es, wie Oma vorhersagte. Um zwei Uhr fünfzehn erschien ich. Kilomäßig stattlich. Mein Vater soll gesagt, dass bei dem Specknacken zwei Zentner als Endgewicht wahrscheinlich wären. Er unterschätzte mich. Undeutliche Erinnerungsfragmente gibt es an das erste bewusste Wahrnehmen von Essen und Genießen. Dieses fand auf einem Fuhrwerk statt, vermutlich Pferd gezogen. Aus einem orangefarbigen Brotkasten aus Blech wurde ein Stück frisches Brot nach hinten gereicht. Mein erstes Brot-Casting. Wir zogen um, von Welstorf nach Hörstmar. Ich schlief nach dem Genuss zufrieden ein und wurde erst wieder auf einem großen Bauernhof wach. Papa hatte dort eine Stellung als sog. Schweizer gefunden, also jemand der Kühe melkt, ein Melker halt. Wir hatten eine erbärmliche Unterkunft, ohne Licht und mit Klo quer über den Hof, bestimmt gefühlte dreihundert Meter weg, wahrscheinlich waren es zwanzig weniger. Das Leben war spannend. Es gab immer irgend etwas zu futtern und wir Kinder waren nicht zimperlich. Hauptgericht zwischendurch waren fette Herzkirschen von Opa Brenigs Baum und die gedämpften Kartoffeln, die auf den Hof als Schweinefuttersillage eingefahren wurden. Roher Weißkohl und rohe Eier waren das Steinzeitessen, das alle gedeihen ließ und jedes Medikament überflüssig machte. Wir amüsierten uns darüber, wer den längsten hatte, Furz, versteht sich, denn, nachdem wir sogar gebeizten Futterweizen gegessen hatten, wurde Karlsbader Salz gereicht und der Weizen war schnell wieder da. Aber da alles in der freien Natur stattfand war es ziemlich egal. Ach ja! Der alte Brotkasten steht heute in meinem Kellerregal und enthält Dokumente meiner Eltern, elende Arbeitsbücher, zerknitterte, armselige Rentenbescheide und vergilbte Fotos. Aber wenn ich ihn öffne, duftet mir frisches Brot entgegen. Und das kann nur ich erschnuppern.

Freuen Sie sich nächsten Sonntag auf ein weiteres, neues Kapitel aus dem spannenden kulinarischem Leben von Frank Krajewski.

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