Urlaub beim Kaiser
Es war Ende August 2006. Jean-Marie rief mich an und fragte ob ich mit zu Erich Stekovics fahren wolle. Erich sei Der Kaiser der Paradeiser und in Frauenkirchen am Neusiedler See zuhause. Wir sollten dort neue Rezepte mit Chili und Tomaten kreieren. Ich erinnerte mich, dass ich vor einiger Zeit einen Film auf ARTE gesehen hatte. Hauptakteur Erich Stekovics. Na gut, ich sagte zu, denn die österreichische Küche mochte ich auch. Nicht nur Wiener Schnitzel und Buchteln mit Vanillssoße. Ich hatte sie zu Bundeswehrzeiten schätzen gelernt, als ich mich mit einigen Kameraden von der Offiziersschule der Luftwaffe in Neubiberg regelmäßig an den Achensee absetzte. Die Bundeswehrzeit in den verschiedenen Standorten hatte mir etwa zwanzig Kilo mehr auf die Rippen gebracht. Die Schweinshaxen und das bayrische Bier, ja ja und die anderen Schmankerln auch. Die besten Haxn in der heutigen Zeit und hier am Mittelrhein, gibt’s für mich jedenfalls in Erpel gegenüber von Remagen. Restaurant Om Maat beim dicken Pitter. Immer am ersten Samstag im Monat. Tipp: auf alle Beilagen verzichten. Die Schwarte ist wie Chipknurspeln. Ein Sägemesser ist unnötig. Ohne Vorbestellung keine Chance. Es gibt eh nur 50 Stück. Ich hoffe nach Corona auch noch, also wenigstens eine für mich.
Dumaine holte mich also am 7. September morgens um kurz nach sechs Uhr von zuhause ab. Wir waren beide gut gelaunt und voll Tatendrang. Ich übernahm das Steuer des großen Transporters und fuhr die erste Teilstrecke bis Würzburg. Der Wagen war reichlich mir Kühlkisten beladen, in Kartons klirrten gefüllte Pastetengläser und Flaschen mit Walnusswein und Zuckerrübenessig. Der Motor mit seinen 1,9 Litern schnurrte geduldig dieselig und verzieh auch schon mal untertourige Schaltfehler. Da saß ich nun neben dem genialen Kopf und dem tiefen Herzen der Wildpflanzenküche und wir unternahmen eine Herrentour zu Erich, dem besessenen Tomatengenie. Ich ahnte nicht, dass mich eine Woche kulinarischer Aktivurlaub erwartete, denn Jean-Marie sprach lediglich von Rundfunkinterview und eben Rezepte ausprobieren. Der erste Teil der Fahrt verlief recht kurzweilig, wir plauderten über Garten, Kinder, Kindergarten, feuchtende Klimaanlage, heimische Pilze, sowie Regenwasser in der Rücklichtabdeckung. Er telefonierte mit dem Rest der Welt und vergaß, dass seiner Prepaidkarte im Handy finanzielle und megabitliche Grenzen gesetzt waren. Um dem Navi auf die Sprüche zu helfen, versuchte er Frauenkirchen, unseren Zielort, zu programmieren, was aber misslang, da das Gerät nur deutsche Gemeinden oder gerade noch welche im Grenzbereich kannte. Er tippte kurzerhand Wels ein, was uns später eine Orientierungsfahrt in der Peripherie der Stadt Wels einbrachte und mir ein Rezept für Welsfilet mit Backpflaumen an Paradeiserbrandade. Ich gab das Steuer für etwa eine Stunde ab, hatte aber immer das Gefühl, dass gedankliche Rezeptkreationen die lebenswichtige Aufmerksamkeit für Autobahnereignisse verringern könnte und regte an, den Rest des Weges selbst zu fahren. An der Grenze hatte der Maître eine Vignette gekauft und gab sich anschließend unruhigem Einnicken hin. Als ich mich dann, auf das Navigationsgerät verlassend, im Autobahnring um Wels verfuhr schreckte er hoch und fragte ob wir schon in Österreich seien. Mein Hinweis, dass er doch eine Vignette gekauft hätte bescherte mir ein weiteres Rezept für eine raffinierte Vinaigrette auf der Basis von Zückerübenessig ein. Das Navi hatten wir inzwischen auf Österreich umgestellt, und wir erreicheten Frauenkirchen gegen siebzehn Uhr. Nach einigen Rededuellen mit der Navistimme und freundlichen Dialogen mit der einheimischen Bevölkerung fanden wir auch Erich Stekovics, d.h. er fand uns, denn uns überholte ein blaues Fahrzeugmonster aus dem heraus ein Bärtiger winkte. Jean-Marie meinte das könne nicht Erich sein, denn der trüge keinen Bart. Nun gut, es war der berüchtig kratzige Dreitagebart, den ein Mann sich etwa 120 mal im Jahr sprießen lassen kann. Die lange Reise zeigte Wirkung und Erich uns, nach freudiger Begrüßung, das Hotel, das er leider nur für einen Tag buchen konnte, wir mussten Donnerstags wieder ausziehen. Fest reserviert waren die Zimmer erst wieder Freitags, eine kleine Panne, die uns eine Nacht in Erich`s Privatgemächern bescherte.
Das Restaurant Altes Brauhaus, ist ein sehr beeindruckendes Gebäude und man versorgte uns an diesem Abend mit der notwendigen Stärkung, hatten wir uns doch tagsüber mit Gänserillettes belegtem Baguette und Wasser über demselben gehalten. Immer auf Rastplätzen an der Autobahn. Sehr gut, aber ambientemäßig nicht zu vergleichen mit den Genüssen, die folgen sollten. Die Parikawirtin machte klar, dass wir uns in der Nähe von Ungarn aufhielten, es gab in der Speisekarte eine Seite ausschließlich mit Paprikaküche. Ich genoss eine Sauerkrautsuppe, dann gebackenen Karpfen mit Kartoffelsalat an einer sehr leichten schaumigen Majonaise. Der Welschriesling begleitete das Mahl aromareich. Der Fotograf und Musiker Peter Angerer berichtete über das geplante Paradeiserbuch, das er und Erich einige Jahre später heraus bringen sollten. Ich besitze es, mit netter Widmung. Ein Milchrahmstrudel mit warmer Vanillesauce schloss den Abend.
Ich war am nächsten Morgen der Erste am Frühstückstisch und die Hotelwirtin wollte mich für den Mittagsbetrieb in der Küche einsperren, ich nahm an zum Spülen. Sie bemerkte wohl meinen irritierten Blick und fragte: Jah sans nit der brühmte Kooch? Ich klärte sie verlegen auf und fragte mich, warum ich eigentlich nicht Koch geworden bin, einige Klischees erfülle ich doch, z.B. das des Wampattn. Na gut, wir verluden unsere Kofferln und Tascherln und ab ging es mit Erichs Auto nach Eisenstadt zu Radio Burgenland, wo um elf Uhr ein Interview in der Sendung Mahlzeit geplant war. Wir fuhren aber auf dem Weg dorthin zum Restaurant Blaue Gans in Weiden am See und verstauten die Kulinarien aus Deutschland in den Kühlräumen. Der Zweisterner Alain Weissgerber plauderte etwas aus der Küche., und ich fragte mich in Gedanken, ob Weiden am See oder in der Oberpfalz nicht ein perfektes Event für Rindviecher wäre. Das Interview, das Silvia Scherleitner mit Jean-Marie führte, zeigte, dass in der Hörerschaft großes Interesse am Thema Wildkräuter bestand, denn die Telefone des Senders kamen nicht mehr zu Ruhe, gab es doch drei Bücher Meine Wildpflanzenküche zu gewinnen. Spontan wurde von der Fernsehsparte der Sendeanstalt beschlossen, die kongeniale Aktion des gemeinsamen Menü´s von Weissgerber und Dumaine per Fernsehaufnahme festzuhalten. Die Rückfahrt von Eisenstadt bewegte sich gesprächsmäßig im Paradeiser-Wein und Kräutermilieu. Unser Appetit wurde wieder bei Ilona Püspök, im alten Brauhaus gestillt. Wir saßen diesmal im schönen Innenhof, in dem der Wind so manche Walnuss direkt vom Baum auf die Tische fallen ließ. Jean Marie nahm wieder eine Terrine Halászlé, ungarische Fischsuppe, dann Szegediner Gulasch. Ich vergnügte mich an ungarischem Saft Guylas, Erich am Grenadiermarsch, kein Musikstück, sondern ein leckeres Gericht der östereichischen und auch ungarischen Küche mit Kartoffeln Nudeln Zwiebeln und je nach Gusto auch Speck oder Wurst. Erich schaute später etwas angesäuert, weil der Kellner auf dem bestellten Eis Schlagobers vergessen hatte. Die sehenswerte Basilika auf der anderen Straßenseite bringt dem Brauhaus den Vorteil, dass sich ein gewisses Quantum der etwa dreihunderttausend Besucher pro Jahr in den Gasträumen kühlen oder wärmen wollen. Hier ein Link der heutigen Speisekarte (hoffentlich bald auch wieder in kulinarischem Einsatz) www.altesbrauhaus.at
Erich zeigte uns seine Gänseherde, die sich in den Marillengärten die Zeit vertrieb. Ich fragte den Hauptganter, ob er sich schon auf Weihnachten freue. Er schnatterte: „Na, geht so!“ Der Nachmittag im Schäferhof, Erichs Produktionsstätte, machte mir bewusst, wieviel Arbeit sich hinter den Rezepten für Tapenade aus grünen Walnüssen verbirgt. Wir stellten fünf Mischungen her, die aus getrockneten Paradeisern, schwarzen Johanninüssen, getrocknetem Chili, Knoblauch und Rapsöl bestanden. Ich notierte eifrig die verwendeten Komponeten mit Gewichtsangabe. Das Mischungsverhältnis variierte natürlich, aber alle Kreationen waren Neverstop-Eatings, göttlich, genial, wobei die Rezepturen keineswegs kompliziert waren. Die Zutaten waren eben von höchster Qualität. Ich hatte dummerweise mit der Hand in meinem Gesicht und anderswo herum gewischt, die ich auch für das Einfüllen der Chilis in den Fleischwolf gebraucht hatte. Es brannte überall, an der Nase, hinter der Brille auf der Stirn, am Hals und an anderen tiefer gelegenen Stellen ebenfalls.Ansonsten hätte ich im Stehen einschlafen können, allein der Duft der Paradeiser und Chili machte benommen. Aber auch das Aussehen der Früchte war nicht das, was ich aus Supermärkten gewohnt war, nämlich zu roten Kugeln gewordenes Wasser. Da gab es Früchte, die kurz vor dem Aufplatzen standen, also superreif, und das Hineinbeißen führte zu einer Geschmacksexplosion im Leckermaul.
Erich fuhr mit uns am Abend nach Illmitz zum Heurigen. Meine Chilihand versank in der Pranke von Herrn Krois, einem Hünen, der eigentlich in dieser Gegend die Post austrägt und uns in seiner Weinlaube willkommen hieß. Er servierte eine deftige Platte leckerer Produkte aus der Region auch ein hauchdünnes Carpaccio, nach Art des Hauses geräuchert. Ich probierte zum ersten Mal den weißen Speck von Mangalitza Schweinen, die hinter dem Haus in sogenannter Robusthaltung standen. Dieser Speck, schneeweiß, ist einfach nur köstlich. Diese Wollschweine sah ich später noch einmal, als ich mit Dieter Valnion in Budapest weilte. Federweißer, hier Sturm genannt, war vorzüglich, genau richtig, bereits weinig-herb und doch von leichter Süße, ein Genuss. Erich fuhr auf einem Wirtschaftsweg zurück nach Frauenkirchen. Das Licht des Vollmondes leuchtete die schmale Straße aus, obwohl der Erdschatten den oberen Bereich des Mondes verdeckte, eine partielle Mondfinsternis, für mich jedenfalls unerwartet und schön, für Astronomen erwartet und normal, nahm ich an. Die kleinen Teiche und Seen, die Salzlacken des Seewinkels schimmerten im Mondlicht, einige unvorsichtige Hasen, die über die Straße hoppelten hatten Glück. Jean-Marie bemerkte, dass angefahrene Tot-Hasen in Frankreich nie liegen gelassen werden. Sie erfüllen kulinarische Zwecke. Ok? Bon! Auf die folgende Nacht bereiteten wir uns mit einer edlen Trockenbeerenauslese von Lentsch vor. Der Beagle Abkömmling Chili erfreute uns mit Kunststückchen. Ich konnte es kaum glauben, dass ich im Computerzimmer des Kaiserpalastes übernachtete. Draußen zog eine Kaltfront heran. Der nächste Morgen begann mit starenfeindlicher Schreckakustik in den umliegenden Weingärten, das nächtliche Eulengeschrei verstummte. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit hart gekochten Haushuhn-gelegten, dickschaligen Eiern sowie Mieze-Schindler-Konfitüre ging es wieder zum Schäferhof, an die Quelle der Genüsse rund um Paradeiser, Chilis, Gurken und Marillen. Ich empfehle übrigens, in Ostösterreich nie Paradeiser als Tomaten zu bezeichnen. Jedes Gespräch am Tisch weicht dann bedrückender Stille. Das was jetzt geschah konnte ich nur unter Eingekocht zusammenfassen. Zunächst half ich, Knoblauchzehen zu schälen, die in Milchstraßenmenge auf dem Riesentisch lagen. Seitdem habe ich gehörigen Respekt vor jedem einzigen Glas dieser eingelegten Duftbomben. Meine Finger waren gegerbt ich schaffte nur ein Zehntel der Menge, die ungarische Helferhände flink entblätterten. Zwischendurch besuchten uns Stekovics-Dumaine-Fans aus Deutschland und deckten sich bis zum Achsenbruch mit Schäferhof Produkten ein. Wir kochten zusammen mit Erichs Schwester Erni Marillenkonfitüre ein, verfeinert mit Provencelavendel aus meinem Garten. Seitdem weiß ich, dass siebzig Lavendelähren etwa fünf Gramm wiegen. Ansonsten Gläser füllen, Rand abwischen, Gummiring und Deckel darauf, zwei Metallklammern, klick-klick. Stundenlang immer weiter, alles Handarbeit. Bei mir verlor sich das Gefühl für die Tageszeit, ich vergaß zu essen und dachte an Nichts. Irgendwann fuhr ich mit Jan, dem ungarischen Peperonifachmann aufs Feld, um die schärfsten Chilis der Welt zu ernten. Dann wieder Gläser füllen, zuklammern, in den Einkochkesel stellen und weiter im Takt. Um 19:30 Uhr sollte eine Vorbesprechung für das geplante Menü in der Blauen Gans stattfinden, es war aber bereits 20:30 Uhr. Ich wollte nicht mehr mitfahren und nahm den Müdigkeitsbonus des Pensionärs in Anspruch. Im Hotel machte sich der Festnahrungsmangel des Tages bemerkbar und ich bat die Wirtin um eine Kleinigkeit aus der Karte. Ich stürzte einen halben Liter Hirter Bier in mich hinein und fragte, angesichts der servierten Kalten Platte, wie diese wohl bestückt worden wäre, wenn ich größeren Hunger signalisiert hätte. Ich kämpfte tapfer und holte mir Hilfe bei einem weiteren Bier. Danach versank ich auf meinem Zimmer in Albtraum behafteten Schlaf. Ich hatte plötzlich selbst Knoblauchzehen, wehrte mich gegen Marillen- und Paradeisermonster, flüchtete vor Fleischwölfen aus denen gequetschte Früchte quollen, ging vor Riebislesalven in Deckung und verteidigte mich gegen Jean-Marie und Erich, die mich mit riesigen Holzlöfeln in den Einkochapparat schaufeln wollten. Endlich sah ich ein rettendes Licht, das sich als der Fernsehschirm entpuppte, den ich vergessen hatte, abzuschalten. Am folgenden Tag begann in Frauenkirchen das Fest: Der Beer ist los- vom Saubär zur Weinbär. Eine kulinarische Wanderung durch den Ort. Acht Betriebe beteiligten sich daran, außerdem das Vieux Sinzig mit vier Kräuterwanderungen, an denen großes Interesse bestand, denn insgesamt 140 Personen nahmen daran teil. Ich war rühriger Foodmaster. Zusammen mit Praktikanten vom Schäferhof bereitete ich für das Ende der Wanderungen Leckereien aus der Produktpalette des Vieux-Sinzig Restaurants vor. Pasteten vom Perlhuhn, Lamm und Reh, eingelegter Japanischer Knöterich, Bärlauchcréme, Rosinen- und Kapernsoße, Birnenbrot, Walnussaperitif und die neu entwickelte Chili-Walnusstapenade. Der Knaller an sich. Die Gäste wollten sie sofort erwerben und wurden fast böse, als ich ihnen sagen musste, dass wir nur fünf Gläser zum Verkosten produziert hatten. Diese Tapenade wird heute noch produziert und ist immer schnell ausverkauft. Die von Erich geführten Paradeiser- und Chiliwanderungen waren und sind reines kulinarisches Kabarett. Auf dem 7. Trüffelsymposium 2012 lieferte er wieder eine Kostprobe seiner Gießtherapie ab. Niemand, außer ihm und inzwischen viele seiner Fans, glauben, dass Tomaten, besser Paradeiser, so gut wie nie gegossen werden sollen. Für die Tomatenlover, die es nicht lassen können, hat Erich eben die Anti-Gießtherapie entwickelt, die Heilung verspricht. Wenn man Tomaten zu viel und falsch gießt würden sie genauso schwarz wie eine Trüffel. Eine Tomaten/Paradeiserpflanze entwickelt etwa 700 Meter Wurzelwerk, lt. Uni Insbruck. Sie sucht sich das Wasser selbst und „denkt“ „wenn der Krajewski schon wieder mit einer Kanne Wasser anrückt, brauche ich ja keins mehr zu suchen“. Wen wundert es, wenn im Herbst die Paradeiser nicht mehr ausreifen? Mich nicht. Meine Nachbarin schon, sie hat immer eine ganze Karre voll halbreifer Tomaten im Angebot für den Komposthaufen. Zum Glück gibt es hier in der Gegend einen berühmten Wildpflanzenkoch, der die Greenhorns noch kulinarisch verzaubert.
Es ist schwer für diese Exkursionen mit Steko überhaupt einen Platz zu ergattern, denn er begrenzt die Anzahl der Teilnehmer*innen strikt auf zwanzig Personen.
Aber weiter in der Story.
Am Sonntagnachmittag packten alle Verkaufsstände ihre Siebensachen zusammen und man reiste ab. Wir genossen noch einige Folienkartoffeln, die vom Vorabend übrig geblieben und, mit einer Knoblauch-Joghurt-Soße zusammen, sehr schmackhaft den Gaumen würzig schmeichelten.
Am nächsten Tag, also Montag, brachte Josef Umathum mehrere Kisten Wein. Wir verstauten sie im Wagen und fuhren mit Josef zur Blauen Gans, weitere Kochutensilien im Gepäck. Er definierte unterwegs unser Verhältnis mit den Worten: Ich bin der Sepp. Ich kenne inzwischen von einem weiteren Besuch die Weinkeller und die Fasslagerstätte, die einer Kirche gleicht. So etwas muss man gesehen haben. Er entführte uns in einen seiner Weinberge, und uns verschlug es die Sprache. Kerbelteppiche, wilder Estragon, blühender Buchweizen sowie Amaranth und das alles in einer unglaublich schönen Landschaft.
Der Weinberg auf Schiefergrund, neben benachbarten Kalkböden, der Neusiedler See leuchtete in der Morgensonne, unvergesslich. Zurück im Restaurant ging es ums Paradeiser häuten und alles war ziemlich klar, auch das wir den Bärlauchquark vergessen hatten. Dieser schlummerte noch in einem Kühlschrank im Schäferhof etwa 18 km entfernt. Also ab in den Transporter, Bärlauchquark und andere Kleinigkeiten heran schaffen. Mir wurde im Schäferhof ein weißer Eimer übergeben, ich wusste aber nicht, dass es sich inhaltlich um die tolle Knoblauchsoße vom vergangenen Abend handelte. Vor der Rückfahrt zur Blauen Gans vespeiste ich noch zwiebeligen Kartoffelsalat und übrig gebliebenden Kuchen. Beides sehr gut. Angekommen in Weiden bemerkten wir den Fehler, den eine Sicht- oder Geschacksprobe verhindert hätte. Ich machte mich also wieder auf in Richtung Frauenkirchen und fragte dort vergeblich nach drei Kilo Johannisbeeren, die Weißgerber telefonisch per Handy bei mir bestellt hatte. Er meinte die Minitomätchen Ribisle! Stachelbeeren auf österreichisch heißen übrigens Ogroseln. Inzwischen hatte ich mich im Hotel für das große Menü in den Anzug geworfen, feiner Zwirn mit Schlips, und ich hielt beim Eintreffen der Gäste einen Vortrag über die Kräuter, die der Service in großen Vasen sehr dekorativ platziert hatte. Den Einstieg in das einzigartige Menü war eine Frizzante mit Tomatolino, danach gab es Haussekt mit Paradeisermus, ähnlich in der Farbe, prickelnder auf der Zunge.
Als Amuses geules glänzten:
Eingelegter Knöterich (Rheinrhabarber) mit einer Kürbisroulade der Sorte „Blauer Ungar“
Das Menü begann:
Stekovics Paradeisersalat mit Liebstöckel und Calamari.
Der begleitende Wein war:
Roter & Gelber Traminer vom Weingut Umathum
Die kulinarische Fortsetzung:
Samtsuppe vom Kukuruz (Mais) mit Kerbel-Brennnessel-Chlorophyll-Ei
Als Wein wurde ausgeschenkt:
Riesling Volkom 2005 -Weingut Tschida Illmitz
Ein weiteres Hochlicht:
Lachs Brandarde mit Flusskrebsen und Rheintaler Kräutermilieu
Der dazu passende Wein war
Chardonnay „Altenberg“ 2004 Weingut Stiegelmar in Gols
Alle Gäste freuten sich auf:
Zander vom See (auf der Haut gebraten) mit Gelb vom Feld und Vogelmiere
Natürlich Wein und zwar:
Pannobile weiß 2002, Weingut Renner aus Gols
Alain hatte zubereitet:
Geschmorte Kalbshaxe und Rücken vom Jungkalb mit Wildkräuter-Remouillade
Amaranthpüree und Ofenparadeiser
Im Glas funkelte:
Pannobile rot 2004 Weingut Gernot & Heike Heinrich aus Gols
Den Abschluß gestaltete wieder Jean-Marie mit:
Tannenspitzencréme mit Schokoladenbisquit
Sorbet und knusperige Schokoblättchen an Himbeerschaum und würzigem Schokokaramell.
Der würdige Wein schmeckte als:
Auslese Cuvee 2003 Weingut Kracher, Illmitz
Da ich fahren musste oder wollte, habe ich an den Weinen leider nur nippen können. Nach vier Stunden Schlaf und sehr gutem Frühstück hieß es: Auto beladen, Abschied nehmen. Die A3 war bei Regensburg wegen Benedetto gesperrt und wir fuhren über den Münchener Raum. Jean-Marie ärgerte sich wieder, dass er nicht telefonieren konnte, hielt mir einen längeren Vortrag über Ungerechtigkeiten und Friktionen im bisherigen Leben und entwickelte mobil-telefonisch orientierte Konzepte, die in die Zukunft wiesen. Er erkannte in einer Raststätte an den klebrig-matschigen Rosinenschnecken, dass wir wieder in Deutschland waren. Eine Diskussion mit der Thekenbedienung verhinderte ich, in dem ich mit dem Autoschlüssel winkte und vorflunkerte, dass ich auf dem Rasen draußen seltene Pilze gesehen hätte. Wir erreichten Sinzig kurz nach einundzwanzig Uhr, fast zwölf Stunden Fahrt lagen hinter uns. Uns fiel auf, dass ich die ganze Zeit hinter dem Steuer gesessen hatte. Großes Hallo, Ich wurde von der wesentlich besseren Hälfte abgeholt. Wir genossen im Restaurant noch eine Kleinigkeit. Küchenchef Detlef Ueter hatte noch etwas zubereitet, nämlich Steinpilze mit winzigen Pellkartoffeln und getrüffelten Schnecken. Dazu gab es einen weißen Jolibert. Gerade richtig nach der langen Fahrt. Ich war etwas durch den Wind. Ich kann hier nicht alles beschreiben was ich kulinarisch und emotional während dieser Reise erlebt habe. Die Gastfreundschaft werde ich nie vergessen und ich fand sie bei einem weiteren Besuch am See bestätigt.* Und Erich hatte mir eine Erkenntnis geschenkt, die ich immer gerne weitergegeben habe nämlich: Geschmack erzählt in schönster Weise vom Himmel.
*Einige Bilder des 1. Besuches in Frauenkirchen sind leider verloren gegangen. Sie wurden durch neuere Aufnahmen ersetzt.
Freuen Sie sich nächsten Sonntag auf ein weiteres, neues Kapitel aus dem spannenden kulinarischem Leben von Frank Krajewski.