Der Koch und ich – Kapitel 18 Voyage Voyage – Vieux Sinzig on tour

Ich bin ein zufriedener Mensch, denn zu meinen Freunden gehören Colette und Jean-Marie Dumaine und deren Kinder Nicolas und Alexandra. Alex leitet die Manufaktur. Alle Säulen des Vieux Sinzig. Aber Vieux Sinzig steht auf mehreren Säulen, eine weitere ist das Team, die Equipe, bestehend aus den Chefs de partie, den Spülern, Auszubildenden und Helfern, die alles können müssen: bedienen, beraten, Kräuter sammeln, eindecken, schleppen, schreiben, kochen, fegen, wischen, reparieren, einkaufen, servieren, verkosten, produzieren, kassieren, tranchieren, filetieren, vacuumieren, telefonieren, chauffieren, frittieren, aligotieren, kokettieren, fotografieren, verkaufen und tolerieren. Es ist eine Auswahl der Fähigkeiten, die jemand mitbringen oder erlernen muss, um zum Vieux-Team zu gehören. Acht Stunden Typen mit zwei Stunden Mittagspause sind hier fehl am Platz. Niemand kann ohne einen Teil des Ganzen auskommen, keine gespülten Teller, kein Service, ohne Sommelier kein passender Wein, ohne Service keine Arbeit für die Spülküche.

Ich bin auch deshalb ein zufriedener Mensch, da ich als kooptiertes Mitglied des Teams, gelegentlich tätig sein darf. Es ist immer, anstrengend. Ich schwöre nach jeder Veranstaltung, inside oder outside: Das wars , das reicht, nicht mit mir, niemals wieder. Aber nach kurzer Zeit plagen mich Entzugserscheinungen. Was machen die jetzt ohne mich? Die kommen nicht zurecht, es droht die Katastrophe, ja der Untergang, also los, ab ins Vieux Sinzig, die Rettung naht, Frank kommt. Was höre ich, sobald ich durch die hintere Küchentür trete? „Hallo Fränk, ah, guten Tag Frank, alles klar Frank? Nimm einen Kaffee Frank, Bonjour Fronck. Also, es läuft alles auch ohne mich, reibungslos, souverän, ruhig und gelassen. Und das macht mich wiederum noch zufriedener. Es macht mich Spaß, im Strudel eines normalen Vieux Sinzig Tages verwirbelt zu werden, sich mitreißen zu lassen, ist ein Geschenk und kein schlimmes Schicksal. Vieux Sinzig schwimmt wie ein Schiff, still in den Wogen der Haute Cuisine. Ich bin da jemand, der schon mal mitrudert, aber nicht Kurs halten muss. Das alles hatte ich nachgedacht als ich eingeladen wurde, mit in die Normandie zu fahren. Mal wieder in die Heimat der Dumaines, der Dumainerie, der Dynastie, aber fern von allem Herrschergehabe, geprägt von Bescheidenheit, Ehrfurcht und Herzlichkeit. Die Vorstellung des Buches Ma cuisine des plantes sauvages in Frankreich stand auf dem Programm des größten Außenevents, das das Team mal wieder bewältigen musste. Eine Fahrt nach Tinchebray, auf Deutsch Stiefelbrei. In das Herz des Departements Orne. Das forderte eine Logistik, die, unter meiner Planung, nur eine Konsequenz gehabt hätte: Mich erschießen! Ein Menü für zweihundert Gäste musste flexibel vorbereitet und transportfähig geplant werden. Eine logistische Meisterleistung, die nur im Team bewältigt werden kann. Es begann für mich am Tage Null. Ich sollte die Fahrerin des Busses, der für die Reise gechartert war, vom Vieux zur Fähre Kripp-Linz fahren. Der Reisebus war also schon mal da. Es konnte am Vorabend bereits mit dem Beladen begonnen werden. Kühlboxen, Weinkartons, Gemüsekisten, Töpfe, Gasflaschen, Geschirrcontainer etc. Nun gut, meine nächste Aufgabe war am Tag Eins das Abholen der Busfahrerin um 6:45 Uhr an der Fähre in Kripp. Sie und ich waren superpünktlich und mir war sehr schnell klar, dass ihre äußere Erscheinung sehr mit den sanften Hügeln und runden Tälern der normannischen Landschaft harmonieren würde. Die Equipe war bereits dabei, auch noch die letzte Kühlbox in dem riesigen Bauch des Busses zu verstauen, er war knallevoll, das eigentliche Gepäck mußte im Passagierraum Platz finde. Keine Problem, denn wir hatten einen Bus für 56 Passagiere zur Verfügung, waren aber nur 24 Reiselustige. Und so ging es um 7:20 Uhr endlich los über die Autobahn in Richtung Aachen und in ruhiger Fahrt durch Belgien. Es wurde gepokert, gedöst, im Laptop geblättert, gelesen oder einfach die Landschaft genossen. Der landschaftlich architektonische Höhepunkt war Pont de Normandie die auszeichnungsbeladene Schrägseilbrücke von Michel Virlogeux, ein technisches Meisterwerk, das Le Havre mit Honfleur verbindet. Die Digicams hatten Hochbetrieb, aber wir hatten noch ein gewaltiges Stück Weges vor uns, und deshalb verzichteten wir auf eine Zwischenrast. Jeder und Jede versuchten das Schlafdefizit zu verringen, bis Jean-Marie auf die Idee kam, mitgebrachte Videos aus früheren Zeiten der Technik vorzuführen, unter anderen ein Machwerk von Mister Bean, der ja eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm hat, oder auch umgekehrt. Nach elf Stunden ereichten wir dann die Mehrzweckhalle von Tinchebray, in der in den nächsten beiden Tagen der Kräuterbär brummen sollte. Der Bürgermeister Jérôme Nury und Peggy die Organisatorin des gesamten Events begrüßten uns, der Auslade- und Einräummarathon begann, unser Verkaufsstand und die Brasserie wurde aufgebaut, und wir stärkten uns anschließend am Buffet, das der örtliche Metzger lieferte. Es gab Couscous mit sehr scharfer Tomatensoße, Lamm und Gemüsevariationen. Ich sprach dem leckeren Rotwein zu, der neben Saarriesling gereicht wurde, d.h, man konnte ihn sich selber reichen und einige Turbulenzen im Kopf wurden erklärlich, als ich auf das Label schaute. Die Traubensorte war Optima, ein guter Ahrwein, allerdings mit 13,5 % Alloholgehalt, hicks. Weiter gings mit dem Riesenbus durch die engen Landstraßen ohne Seitenbegrenzungen nach St. Jean des Bois. Dort war der Großteil der Gruppe in Chambres d`hôtes untergebracht. Jean-Marie, Colette, Hildegard, die Chauffeuse, und ich fuhren Richtung St. Cornier des Landes, das Domizil Le Houx der Duchênes, Colettes Eltern. Ich hatte ja bereits von einem früheren Besuch berichtet. Mir war unklar, wie man es durch diese engen Kurven unfallfrei schaffen konnte. Der Bus wurde einfach am Straßenrand geparkt, bis zum Haus waren es noch zweihundert Meter. Noch ein kleines Bier und ich versuchte mit dem fremden Bett zurecht zu kommen, was mir einigermaßen gelang. Eine rote Sonne weckte mich und ich konnte erst an diesem Morgen den Park rund um das Haus bewundern, das Plätschern der Wasserspiele genießen und darauf warten, bis alle am Frühstückstisch saßen. Der Garten hatte sich sehr verändert, es waren aber auch über zwanzig Jahre vergangen als ich ihn gesehen hatte. Das französische Frühstück kommt, wie früher schon bemerkt, ohne die dekadenten Frühstücksteller aus, wie sie in Allemagne üblich sind. Meine Erinnerungen glitten zurück in das Restaurant Tonquedec zu den früheren Genüssen. Die Schweinepaté war höchster Genuss und der Honig einmalig, nur noch übertroffen durch die Pflaumenmarmelade. Als der Treiber, wie die Busfahrerin mich bezeichnete, drängte ich auf zeitigen Aufbruch, legte Jean-Marie in Handschellen und führte ihn zum Bus, in welchem ich ihm erst die Augenbinde abnahm, insgesamt alles Maßnahmen um eine ausgedehnte private Sortie botanique zu verhindern. Denn der Sauerampfer winkte verlockend am Wegesrand aber die Zeit war immer knapp. Wir mussten jeden Tag die Mann – und Frauschaft abholen, denn diese wartete bereits an der Behausung. Samstag sollte der härteste und längste Tag werden. In der Halle war zunächst wenig Betrieb, verschiedene Stände mit Kräutern, Honig, Bier und Gartengeräten richteten sich ein und warteten auf den Ansturm der Kaufwilligen. Susanne, Heiko Vanselow und ich vervollständigten den Vieux-Stand, ordneten Gläser und Getränke für die kommenden Verkostungen. Ein Moderator redete sich den Wolf, aber seine Worte wurden fast nur von den Akteuren vernommen, die die Halle präparierten. Er übte seine Texte für den Nachmittag. Ich erwarb mir zwei gut verarbeitete Gartenschürzen mit Tinchebray-Aufschrift. Die benutze ich freudig noch heute. Dann starteten die Kräuterwanderungen, deren Teilnehmerzahlen immer größer wurden, dasselbe galt für die sich anschließenden Kochvorführungen, die, mit Hilfe verschiedener Gastköche, Geschmackssensationen hervorbrachten. Gegen achtzehn Uhr wurden die Tische für das Festessen am Abend gerichtet. Das Vieux Sinzig hatte fast alles mitgebracht, was aufgetischt werden sollte. Die Zeit drängte, aber es war keine Nervosität zu erkennen. Achtzehn Tische mit je zwölf Gedecken wurden vorbereitet. Eine gigantische Herausforderung für Service, Küche und Keller. Ein ausgezeichneter Pianist begleitete den Abend und erhielt viel Applaus. Mit von der Partie war damals auch Jaspreet Dhaliwal-Wilmes, der inzwischen die Kölner Spitzenastronomie rockt. Sein Restaurant Der vierte König ist auf dem Weg zur Sterneküche.  https://derviertekoenig.com/
Das Menü war excellent.

Dorade marinée au glechoma, gambas à la tanaisie, asperges vertes et blanches confites, pommes à l’origan

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Crépinette de jarret de porc crème de berce aux lapins fleurs de moutarde,

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Sorbet à la fleur de pissenlit, „Fleur de Pomme“ distillation de J.F. Guillouet-Huard

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Cuissot de veau de lait « Perrette » cuit dans un foin d’herbes, sauce aux câpres de fleurs de robinier, morilles du printemps, égopode en épinards, aligot aux orties

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Buffet de fromages de Normandie au lait cru et affinés

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Compote de fraises, mousse à l’aspérule amandes de courges caramélisés

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Dessert aux pousses de sapin: Terrine de pousses de sapin au yaourt, Sorbet de pousses de sapin, Espuma de pousses de sapin à la framboise

Das anschließende Défilé der Equipe wurde unfreiwillig von mir angeführt, denn Jean-Marie eröffnete mir zwischenzeitlich, dass der Tagesmoderator die Beschallungsanlage einfach ausgeschaltet hatte und nach Hause gegangen war. Ich verschwand hinter der Bühne und versuchte den Kabelsalat zu durchschauen und die Funkmikrophone zu sortieren und zuzuordnen, was aber rechtzeitig gelang. Die Vorstellung des Teams wurde mit nicht enden wollendem Beifall bedacht. Ich wurde als Technicen vorgestellt. Davon wusste ich gar nichts. Die anschließende Fahrt zu unseren Ruhestätten war wortkarg, alle waren platt, sogar Jean-Marie brachte nur noch ein paar Dankesworte heraus. Es war nebelig, wir mussten den Weg zum Haus mit Taschenlampen ausleuchten, der Bus wurde einfach wieder an der benachbarten Kreuzung in die Landschaft gestellt. In Deutschland unmöglich. Der anstrengende Abend endete erst um halb drei Uhr und ich hatte noch ein Bein außerhalb des Bettes als ich schon eingeschlafen war. Eigentlich komisch, hatte ich doch nur das Menu genossen und einige Fotos geschossen. Essen und Trinken macht müde, aber es verbindet Deutsche und Franzosen inzwischen auf eine charmante Art und Weise, die in der dunklen Zeit der gemeinsamen Geschichte immer wieder zerrüttet wurden. Ich hatte an diesem Abend das Gefühl, dass wir alle ein Stück zusammengerückt waren, nicht nur Deutsche und Franzosen, unser Team hatte damals viele Nationalitäten: Japan, Thailand, Türkei, Italien, Kosovo, Korea, USA, Indien, Frankreich und Kripp. Der Sonntag begann etwas zäh, ich hätte mir eine Sonnenbrille gewünscht, damit meine Ringe unter den Augen nicht so deutlich zu sehen waren. Ich war ohnehin Herr der Ringe, denn auch um die Hüften herum waren sie wieder gewachsen. Der Verkaufstand wurde wieder reloaded das Publikumsinteresse war deutlich größer als am Tag vorher. Die Kräuterwanderung waren teilweise mit 50 Teilnehmern leicht überbucht. Irgendwann machten Susanne und ich eine viertel Stunde Pause im kalten Küstenwind, dann ging es weiter mit immer besser werdenden französichen Floskeln, meistens sagten wir: oui. Wir verkauften die Kräuterkreationen mit viel Mut zur Lücke, was die Beherrschung der französischen Sprache anbetraf. Ich übersetzte mutig Waldmeister (Aspérule odorante) mit Maître de Forêt. Unterstützt wurden wir wieder vom Pilgerküchenverkoster Heiko Vanselow, der darauf aufmerksam machte, dass der Jakobsweg praktisch am Hause vorbei führte. Er trug allerdings keine Pilgerkluft, sondern Anzug und Cravate, très chic. Die Lautstärke im Saal stieg, die Kochdemonstrationen fanden riesiges Interesse, der Verkauf brummte, der Schädel auch. Um 18 Uhr war es geschafft. Alle vorhandenen neuen Kräuterbücher waren verkauft und etwa die doppelte Menge als Bon de commande reserviert und bezahlt. Um 23.15 Uhr brachen wir auf, vorher gab es noch als Personalessen leckere Lammkeule und Couscous mit Krabbenfleisch und Kaviar. Der Wein wirkte, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass in dem Ferienhaus, in dem das Team wohnte, noch die Post abgehen würde. Dieses wurde mir am Montag bestätigt. Einige blasse Nasen, aber insgesamt gute Stimmung. Unser Ziel war der Mont St. Michel. Vorher eine Calvadosdegustation, aber Hallo. Der in dieser Destillerie produzierte Birnencidre, Poiré, ist ein Gedicht, mild, fruchtig, voll Aroma. Über den Mont St. Michel müsste ich einen eigenen Bericht schreiben. Ich hatte ihn in seinem Außenbereich bereits vor über fünfunddreißig Jahren besucht, und er wirkte unverändert seit dieser Zeit. Alte, private Bilder belegen aber, dass ich mich, im Vergleich zu damals, seinen Ausmaßen leicht angenähert habe. Wir haben bei einem Gastwirt, einem Freund der Dumaines, das berühmte St. Michel-Omlette genossen, ein schaumiges Erlebnis dazu einige Moules und Huitres. Ich war zum ersten Mal im Innern dieses architektonischen Wunders und erfuhr viel über die Geschichte dieses Massivs. Die Rückfahrt endete, nach Supermarktbesuch, in den Gärten der Eltern von Colette mit schaumige prickelnden Gaumenschmeichlern. Wir fuhren über den Weiler Beauchêne, ein eigentlich verschlafenes Nest, das aber zur Weihnachtszeit eine phantastische Illumination auffährt und Tausende von Besuchern anlockt, die es sich bei Glühwein und Crêpes gut gehen lassen. Der Abend endete in der kleinen Ortschaft Ger, in einem Restaurant ohne Namen. Jean-Marie hatte zu einem Trick gegriffen. Es gelang ihm, angesichts der servierten Speisen, alle daran zu erinnern welch hoher Status im Vieux Sinzig gepflegt wird. 

Wir mussten pünktlich abfahren, denn die resolute Busfahrerin hatte uns deutlich gemacht, dass die morgendliche Abreise von dem abendlichen Ende abhängen würde, und sie ließ keinen Zweifel zu, dass sie dieses auch konsequent befolgen würde. Ich fand das korrekt, denn ich wollte sicher nach Hause kommen. Die Reise war war ein großer Gewinn für Alle, und ich freute mich, dass ich etwas dazu beigetragen hatte.. Ich wurde jedenfalls in meinem Gefühl bestätigt, dass ich ein zufriedener Mensch bin. Und Corona schaffen wir auch noch. Dann auf zu neuen Events.

Frank-Krajewsk
Foto © Claus Kuhlen

 

Freuen Sie sich nächsten Sonntag auf ein weiteres, neues Kapitel aus dem spannenden kulinarischem Leben von Frank Krajewski.

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