Der Koch und ich – Kapitel 4 Bretagne, mon amour oder Soupe jaune

Bretagne, mon amour oder Soupe jaune
Das Studentenleben bot genügend Gelegenheit zur üppigen Lebensgestaltung.Die ersten Reise in die Bretagne Anfang der 70er war wohl eine Schicksalsbegegnung. Eine von vielen. Hier traf ich auf die lockere, französische Lebensart.

Wir landeten nach unendlich langer Fahrt von Bonn aus im kleinen Ort St. Benoit des Ondes und zwar in der Bar Tonquedec. Ich war hundemüde und sah am Straßenrand Personen und Dinge, die gar nicht existierten. Und so stammelten wir einfach in dieser Bar nach einem Zimmer, das draußen als „Tout confort“ avisiert wurde. In der Bar wallte ein eigentümlicher Geruch nach Fisch und Gitanes Mais. Die Patronin, Madam Tonquedec, zeigte uns einen Raum, der eine Tapete hatte, die aussah wie mein Schlafanzug und meinte, so übersetzte ich jedenfalls, dass der Zimmerpreis die Halbpension einschließe. Bad und Klo wären im Flur und für alle Gäste, verstand ich. Wir wischten ein paar Müdigkeitestränen von den Wangen und nahmen die Brillen ab, damit wir die offenen Tapetenstöße und ein paar Motten auf der Fensterbank nicht sehen mussten. Also das war eines der Chambres tout confort?! Wir hielten uns nicht lange im Komfortzimmer auf, sondern nahmen zuerst mal einen Ruusch ordinär am Tresen. Ich verstand, dass Madam für ein Glas Dö Frong verlangte, unglubliche sechsundsechzig Pfennige. Oder galt der Preis für beide Gläser? Unsere müden Minen hellten sich etwas auf, und wir begaben uns in den Nebenraum, den Sallamongschä, um uns unseren ersten kulinarischen Weihen hinzugeben. Die Patronin und ihre Cousine brachten die Vorspeise hinein, für jeden der drei Tische eine ganze Terrine. Grong serviss adö meinte die blau bekittelte Inhaberin des Etablissements. Mein Schulfranzösisch erwachte nur langsam. Es gab eine gelbe Suppe mit Brot-Croutons, die man selbst hinein geben konnte, genau wie die frisch gehackte Petersilie und den schwarzen Pfeffer, der aus einer messingfarbenen Mühle rieselte. Dass das grobe Salz in der kleinen Schale Fleur de Sel war wußte ich damals noch nicht. Die Stimmung besserte sich. Am Nachbartisch saßen einige Belgier, genauer gesagt zwei Ehepaare, so nahmen wir an. Jede der Damen hatte einen kleinen Hund auf dem Schoß. Vor dem Essen zelebrierten sie eine Schnapsdegustation, die normalerweise ein opulentes Essen abschließt. Sie erhoben sich von ihren Stühlen, nachdem sie die Tölen auf den Boden gesetzt hatten und prosteten sich zu, ich glaubte sie sagten: A tuss kie song mor de swaff. Wer kein Belgisch beherscht, der Satz bedeutet etwa: Im Gedenken an alle, die verdurstet sind o.ä. Wir verrührten die Haut, die sich auf der Supp de juhrgebildet hatte mit den Blechlöffeln und führten sie beherzt zu Munde. Ohlala, das hatten wir nicht erwartet. Grundlage wohl gelbe Karotten, oder Kürbis? Egal. Sehr feiner Geschmack nach legiertem Ei unter der Griesdosage. Der frische Pfeffer machte die gelbe Supp sürpriese zu einem unerwarteten Genuss. Der zweite Gang: Muhl en väng blong mit Selleriestreifen und vielen halbweichen Zwiebeln.

Die Belgier am Nebentisch bestellten sich die zweite Runde Schnaps, dessen Duft sich im Raum ausbreitete und kürzten die Zeromonie ab indem sie einfach zu prostend. „mor de swaff“ murmelten. Die ersten Muscheln in meinem Leben waren eine Offenbarung. Sehr groß, aber nicht labberig, sehr kräftig gewürzt, eine Qualität, die, wie ich heute weiß, selten zu finden ist, aber schließlich waren wir in der Nähe von Cancale in der Bucht des Mont St. Michel abgestiegen.

Unsere Stimmung besserte sich. Wir hatten die erste Karaffe des einfachen Weines bereits kosumiert und entschlossen uns, vor dem Dessert, einem Apfelkuchen, ebenfalls einen Schnaps zu bestellen. Uhi, das war einer. Madam hatte ihn an den Tisch gebracht und mit den Worten: „Dö Kalvadooos sill wu plä“ abgestellt, wobei die doos- Betonung unüberhörbar war. Welch ein Aroma, nichts kratziges im Hals. Der stille Milde. Den zweiten, nach dem Dessert und anschließend den an der Bar, hätten wir uns schenken sollen, stattdessen schenkte ihn uns Frau Denise. Wir lallten die Treppe hinauf zu unser Luxussuite.  Der Schlaf kam schnell. Das Rauschen der Wellen begleitete die Ruhe.

Der nächste Morgen begann nicht, wie erwartet, mit Brummschädel und diesen bekämpfenden Brausetabletten, sondern mit frischem Baguette, weicher Salzbutter und Aprikosenkonfitüre. Wir hatten Kaffee olä bestellt und ein junges Mädchen brachte uns zwei Riesentassen, halb voll mit dunkler Brühe und eine tönerne Kanne mit heißer Milch, die in dieser dunklen Flüssigkeit schmandig ausflockte. Auch die Belgier erschienen schleppend und bestellten doch tatsächlich Calva, jeder einen, vor dem Frühstück. Dieselbe Zeremonie wie am Abend vorher. Kopf kurz nach hinten und weg. Mir wurde leicht schwindelig, wir wandten uns dem Frühstück zu und merkten, dass niemand im Saal einen Frühstücksteller vor sich hatte. Die Papiertischdecke war der Teller, die Papillon-Hunde sammelten penibel alle herunter fallenden Krümel auf, auch unsere.

Das Meer war verschwunden, am Horizont waren einige „One-horse-Karren“ zu erkennen, die französische Bezeichnung kannten wir nicht. Ein holländisches Pärchen, das den dritten Tisch im Speisesaal belegte erklärten uns in einer Mischung aus mehreren europäischen Sprachen, dass es Muscheln-und Austernfischer seien, die die grau-schwarzen Hartschaler abernteten. Sie begleiteten uns in die Ferne des Watts und wir erreichten nach einer halben Stunde Sandmarsch einen, mit Wathose bekleideten, Hünen.

Ich packte alle marginalen französichen Kenntnisse aus und der Pêcheur erklärte mir wortreich, was er hier machte. Dann nahm er eine Auster aus einer Kiste, brach sie auf und reichte sie mir zum Genießen. Jetzt auch noch meine erste Auster, ich unterdrückte das Würgegefühl und schmeckte das Meerwasser, dachte aber, dass Austern wahrscheinlich nicht zu meinen kulinarischen Favoriten gehören würden. Diese Annahme revidierte ich langsam aber stetig. Der Begleiter des Fischers brach eimerweise Muscheln von Holzpfosten, an denen sie sich angesiedelt hatte. Ich erkannte an der Höhe der Pfähle, welcher Wasserstand das Überleben der Muscheln sichern musste. Der Muschelernter gestikulierte plötzlich und machte uns klar, dass es besser wäre in Richtung Straße, die auch Uferpromenade war, zu gehen und zwar möglichst schnell. Wir ahnten nicht, wie schnell die Flut die Bucht füllte. Die nassen Klamotten hingen wir im Chambre tout Confort über die Fensterbank. Wir mussten also mehr wohl als übel in dem kleinen Ort verweilen. Der Mont St.Michel war rechts vorne zu erahnen, wenn man vor dem Gasthaus stand. Das aufkommende Kratzen im Hals bekämpften wir zusammen mit den Holländern Nele und Rengenier und dem apfeligen Milden.

Das Abendessen begann mit der gelben Suppe, die aber ganz anders schmeckte als am Abend zuvor. Statt Croutons schwammen einige Moules im undurchsichtigen Sud, man konnte sie kaum erkennen, sie waren so gelb wie die Suppe. Sehr schmackhaft! Von der Qualität der Muscheln hatten wir uns ja schon überzeugen können und sahen uns bestätigt. Es blieb nichts, aber auch gar nichts übrig. Wir hatten mit den sympatischen Belgiern bereits angestoßen und „mor de swaff“ gemurmelt zunächst mit einem Muscadet de Sêvre et Maine. Die Papillions machten Männchen oder Frauchen und alle waren zufrieden. Denise servierte als Hauptgericht Langoustines majonaise. Oh, Oh! die vielen Beine und die im Todeskampf wohl hervor gequollenen Augen.

Menhir Dol de Bretagne
Wir schauten uns einfach ab, wie die anderen Gäste, eben Holländer und Belgier, die essbaren Teile sezierten und waren völlig platt, wie fest die Hinterteile der toten Vielfüßer waren. Die Majonaise sah zwar so aus wie die Dessert-Vanillecreme beide waren für sich genossen extrem lecker. Der Abschluß war Calva, was sonst? Er war ziemlich preiswert, was mich irgendwann später in einem schönen Restaurant in Houlgateverleitete nach den üppigen Abendessen reichlich Calvados zu konsumieren. Ein beiläufiger Blick auf Karte präsentierte einen Preis von 27 Franc, 9 DM. Parbleu! Ich verzichtete spontan auf den Digstif. Ach ja  Houlgate liegt an der Côte Fleurie des Ärmelkanals am kleinen Fluss Drochon. Auch eine entspannende Gegend, allemal eine Reise wert.

Wir blieben einige Tage in der schönen Bucht des Mont Saint Michel und unternahmen Ausflüge nach Rennes, Dinard, Dinan, Granville, besichtigten den riesigen Obelix-Menhir in der Nähe von Dol de Bretagne und verliebten uns in die Landschaft, den Duft nach Tang und Fisch, wie Lale Andersen, das Mädchen aus Piräus, es einst besungen hatte. Wir stiegen in den folgenden Jahren noch zweimal, im gleichen Gasthof ab, sogar auf unserer Hochzeitsreise, wir waren also Stammgäste. Es gab jedes Mal wieder diese gelbe Suppe und bei jedem Mahl schmeckte sie anders aber immer formidable. Ich erinnere mich noch daran, dass 1977 ein Gast an der Theke wortreich berichtete, dass  ein Deutscher, nämlich Didiee Türo wohl eine Etappe der gerade stattfindenden Tour de France gewonnen hatte. Keine Ahnung, wen er meinte.

Frank-Krajewsk
Foto © Claus Kuhlen

Freuen Sie sich nächsten Sonntag auf ein weiteres, neues Kapitel aus dem spannenden kulinarischem Leben von Frank Krajewski.

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