Die besten Kochbücher der letzten 30 Jahre. Folge 5

Michael Hoffmann: Kräuter. Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2007. 256 S., geb., Hardcover. (gebraucht erhältlich, ab ca. 50 Euro)

Michael Hoffmann, der genialen Gemüsekoch vom ehemaligen „Margaux“ in Berlin, hat uns leider nur eine begrenzte Zeit mit seinen Spezialitäten erfreuen können. Wie auch bei diversen anderen Köchen aus der Kreativabteilung (z.B. Gerald Zogbaum, Daniel Achilles) stellte sich nach Ablauf von Pachtverträgen die Frage, ob man weitermacht oder nicht. Und da gab es eben bei Hoffmann leider die Entscheidung (2014), sich nicht weitere zehn Jahre an eine Immobilie zu binden. Es gab diese Entscheidung allerdings auch deshalb, weil die Akzeptanz bei den Medien nie wirklich so gut wurde, wie es nötig gewesen wäre. Man könnte es auch strenger formulieren: Michael Hoffmann gehörte wegen seiner kreativen Gemüseküche, mit der er zu den echten, großen Kreativen nicht nur dieses Landes gehörte, zu den Köchen, die immer auch Feinde hatten. Von manchen wurde er übersehen, lange Zeit übersehen oder sogar regelrecht gemobt. Vielleicht hätte er mit einem zweiten oder einem ohne weiteres denkbaren dritten Stern weitermachen können und weitergemacht. Mir haben jedenfalls mehrere seiner Kollegen mit drei Sternen gesagt, dass sie ihn für einen der besten deutschen Köche halten und der Meinung sind, er müsse nicht nur zwei, sondern drei Sterne bekommen. Es gibt diese Fälle, und sie sollten wirklich nicht vorkommen.

Als repräsentatives Buch liegt von Michael Hoffmann nur das große „Kräuter“–Buch vor und keines mit seiner exzellenten Gemüseküche. Obwohl ich hier dieses Kräuterbuch analysiere, möchte ich doch nicht versäumen, etwas von einem Höhepunkt seines Schaffens zu zitieren. Es sind Gerichte der „FAZ-Gourmetvision Spezial Gemüse“ aus dem Jahre 2010. Es war bereits die zweite Gourmetvision, die ich mit Hoffmann gemacht habe, die erste gab es bereits im Jahr 2004. Hier also die Gerichte:

– Russisches Ei, Rote Bete & Kümmelkaramell, Polnische Vinaigrette

– Toast Mimosa (Meerrettichgelee, Wachtelei, Petersilie)

– Berliner Löffelerbsen (Reischip, gelbe Erbsencreme, getrocknete Erbsenschalen, Melisse)

– Gegrillte Wassermelone (mit Sauerampfer und Ingwer)

– Gebundener Radieschensaft & Knäckebrot (Raviolo von Radieschensaft, Gurkentatar, kandierte Zitrone, Radieschen, Jus von Apfel, Meerrettich und Liebstöckel)

– Salat Escabeche und Vogelmiere (Gelee von geschmorter und geräucherter Paprika, auf Meersalz gegarte Schalotten, Bohnenstreifen, Bohnenkraut Emulsion von der Vogelmiere, Eis von der Vogelmiere

– Havelland (Kohlrabi-Rollen, Fichtensprossen, Kohlrabiwürfel, Spitzen von Beelitzer Spargel, Rhabarberscheiben, Hefecreme)

– Mispeln, Algen & getrocknete Schafsmilch

– Frühlingsgemüse – Texturen, Bouillon & Gemüsebrot (fünfzehn Gemüsesorten)

– Aubergine, Koriander & Topinambur

– Kartoffelsandwich, Kohlasche und Rübenfond

– Fenchelblüten, Sellerie & Holunder

– Tomaten-Schaumbrot mit kandiertem Gemüse und Parmesan

Alles hat exzellent geschmeckt und war natürlich ein großer Erfolg. Man muss einfach daran erinnern.

Das Buch
Dieses Werk aus der Reihe der großformatig-quadratischen Bände des Tre Torri-Verlags mit dem weitsichtigen Ralf Frenzel als Chef, ist ein „no-nonsense“ – Kochbuch, das sich quasi ausschließlich und ohne Umschweife der Arbeit mit Kräutern in der Küche von Michael Hoffmann widmet. Die Aufteilung geht alphabetisch entlang von rund 50 Kräutern von Ackersenf bis Zitronenverbene, unter Berücksichtigung auch seltenerer Exemplare wie Beinwell, Fette Henne, Hirtentäschl, Moschus-Malve, Purpurrote Taubnessel, Spitzwegerich oder weißer Melisse. Es gibt eine Seite über jedes Kraut nebst Eignungs-Empfehlungen, eine Seite mit einem großen Bild des Krauts, eine Seite mit dem Beispielrezept und eine Seite mit dem Rezept. Dabei fällt sofort auf, das Hoffmann eben ein „richtiger“ Koch ist und nicht irgendein Kräuterspezialist, der Mühe hat, ein paar annehmbare Rezepte zusammenzubekommen. Es gibt zum Beispiel das „Poulet de Bresse Mieral, gedünstet und als Terrine gepresst, mit Beinwell, knusprigem Sot-l’y-laisse und Jus froid“, „Creme von Chinesischem Senf, gedämpfte fette Henne und Kartoffelcroutons“, „Glaciertes Saisongemüse mit Hirtentäschel“ (und dem wunderbaren „Pain Printanier“), „Gedämpfter Glattbutt mit Badoit-Gelee, geeistem Olivenöl und kleinem Wiesenknopf“ (was für eine Sensorik!), „Consommé in 6 Texturen (klassische Consommé, Schnittlauchbrot, mariniertes Suppenfleisch mit Sauerampfer, Schaumbrot von Liebstöckel, Croustillant von Wurzelgemüse mit Petersilie, Crostini von der Milz), „Schweinebauch und Löwenzahn in drei Texturen“, „Gebundener Kalbsfond mit Meerrettich und Portulak“ oder auch ein „Boeuf escabeche“ mit diversen Kräutern.

Im Anhang zeigt sich auf einer Seite mit der Überschrift „Der geschmackliche Aufbau eines Salats“, wie präzise Michael Hoffmann seine Arbeit durchdacht hat. Es geht um die Grundzubereitung, die Erweiterung 1: Volumen, die Erweiterung 2: Frische, die Erweiterung 3: Textur, die Erweiterung 4: Sensorik und die Erweiterung 5: geeist. Der Logik folgen Beispiele zu Salaten, dann noch verschiedene Kräutermischungen, verschiedene Buttermischungen und Grundzubereitungen. Alles hier ist übersichtlich entwickelt und hat eine große Logik und geschmackliche Stimmigkeit. Das sich Leute über so etwas wie sein sensorisch geniales „Badoit-Gelee“ aufgeregt haben, fällt mittlerweile gottseidank nur noch auf deren beschränkten Horizont zurück. Hoffmann hat eine Unmenge von Zubereitungen entwickelt und bestätigt sich mit diesem Buch als ein genuin kreativer Kopf, dem immer zu Allem etwas einfällt.

Eines Tages werde ich vielleicht auch noch das veröffentlichen, was ich zur Vorbereitung der Gourmetvision alles probiert habe. Es war etwa die doppelte Anzahl von Gerichten, darunter auch sehr experimentelle, die wir dann nicht in das Menü genommen haben.

Fazit
Speziell mit der Verbindung von Spitzenküche und kreativen Erweiterungen war Michael Hoffmann eigentlich so etwas wie ein Großmeister der kreativen, französischen Küche. Ich habe immer gesagt, dass er in Frankreich sehr viel höher eingeschätzt worden wäre als bei uns (was dann auch zum Teil der Fall war. Hoffmann hat wichtige Einladungen erhalten), weil er perfekt die französische Form der weitergeführten Kreativität exekutierte. Im Vergleich zu Alain Passard ist er scheinbar manchmal nicht so spekulativ-spektakulär (Passard weiß, was französische Zeitschriften wünschen), sondern immer wesentlich stärker auf die Stimmigkeit der Kreation konzentriert. Es bleibt dabei: trotz seiner – gerade bei Michelin – absurd niedrigen Bewertung gehört Michael Hoffmann zu unseren ganz großen Köchen und sein Kräuterbuch hat nur einen Fehler: sein Zwilling fehlt, also die Ergänzung durch ein Gemüsebuch.

Fotos: Tre Torri Verlag

3 Gedanken zu „Die besten Kochbücher der letzten 30 Jahre. Folge 5“

  1. Danke für diesen tollen Blog. Mit dem Kochen selbst habe ich fast nie Probleme. Doch mit der Garnierung gibt es sehr große Defiziete….schmeckt immer sehr gut doch sieht es nicht wirklich so wie in den Büchern aus?

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