Thomas Keller mit Susie Heller und Michael Ruhlmann / Fotos Deborah Jones: The French Laundry Cookbook. Artisan Books, New York 1999. 326 S., geb., ca. 43–45 Euro (in englischer Sprache)
Thomas Keller wird in diesem Jahr 65 und kann auf eine stramme Karriere zurückblicken. Als einem der ganz wenigen nicht-französischen Köche der Welt ist es ihm u.a. gelungen, gleich für zwei Restaurants 3 Michelin-Sterne zu bekommen – für seine „French Laundry“ in Yountville im kalifornischen Napa Valley und für sein „Per Se“ in New York. Trotz diverser Aktivitäten (vor allem mit einigen „Bouchon“-Restaurants) blieb er immer der Koch, der seine Spitzenrestaurants eher selten verließ. Dass Business um jeden Preis nicht sein Hauptanliegen ist, sondern er ein äußerst detailbesessener Koch ist, kann man vor allem an seinem exzellenten Buch aus dem Jahre 1999 ablesen – auch wenn er davon mittlerweile sage und schreibe 600.000 Exemplare verkauft hat. Wenn man auch nur eine einigermaßen seriöse Beteiligung zugrunde legt, braucht er dann auch nicht mehr so viel zu arbeiten, zumal seine weiteren Bücher ebenfalls gut verkauft worden sind. Wie dem auch sei: nach knapp über 20 Jahren wird im Herbst ein neues Kochbuch auf den Markt kommen, in dem es um die Küchen der „French Laundry“ und des „Per Se“ geht.
Ist „The French Laundry Cookbook“ das einzige echte Koch-Buch?
Natürlich geht es in diesem Buch um die Rezepte von einem der besten US-Köche. Aber – das ist nicht das eigentliche Ding, nicht der Kern dieser höchst detaillierten Arbeit. Was Keller tatsächlich geliefert hat, ist eine Anleitung zum Kochen auf höchstem Niveau für professionelle Köche wie für fortgeschrittene Privatköche und durchaus auch für Privatköche, die endlich einmal richtig erfahren und lernen wollen, wie Spitzenküche funktioniert. In dem großen, quadratischen Buch mit der ungewöhnlich kleinen Schrift sieht eine normale Rezeptseite so aus, dass oben die Zutaten stehen, und dann eine meist extrem umfangreiche Beschreibung dessen folgt, was er handwerklich damit angefangen hat und warum er dies gemacht hat. Thomas Keller hat buchstäblich jeden Handgriff beschrieben. Wer selber differenziert kochen kann, wird wissen, dass die Niederschrift eines Rezeptes in wirklich allen Details eine Sache ist, die nicht nur sehr komplex ist, sondern sich auch so gut wie nirgendwo findet. Mir fällt dazu gerade ein, wie ich bei Björn Frantzén in Stockholm an der „Theke“ saß und die Köche bei der Zubereitung seiner exzellenten Wachtel beobachtet habe. Wenn man die Unmengen von Handgriffen, die ich dort beobachten konnte, aufschreiben wollte, käme man auf ähnliche Textmengen. Es würde dann aber auch wirklich erkennbar, wie und warum dieser sagenhaft gute Geschmack entsteht.
Das Ziel ist nicht das Thema, sondern vor allem der Weg
Dass der Aufbau des Buches ein normales Menü mit „Canapes“, „First Course“, „Fish“, „Meat“, „Cheese“ und „Dessert“ beschreibt, spielt eigentlich kaum eine Rolle. Vorab gibt es erst einmal ein wenig zur Geschichte der „French Laundry“ und etwas über Thomas Keller. Schon bei einem der „Canapes“, einem gelierten Hummer-Consommé wird klar, wo es hier langgeht. Für die Beschreibung dieser Kleinigkeit braucht Keller zwei Seiten. Neben dem Bild gibt es auch einen grundsätzlichen Kommentar: „Um ein Consommé zu machen, braucht man einen sehr exakten Ablauf, aber das Resultat macht wirklich Freude. Das kräftige Hummer-Gelee schmilzt in deinem Mund und die Gemüsestückchen darin bringen einen subtilen Biss. Das Corail ist nicht nur für die Farbe da, sondern es bringt Salzigkeit zur Süße des Hummerfleisches. Die Säure in der Crème fraîche bringt all die Farben und Aromen und Texturen zum Glänzen.“ Das klingt also erst einmal nach einer sehr bewusst gestalteten Sensorik – wenn auch noch nicht auf dem Stand, den man heute haben kann. Aber – wir schreiben das Jahr 1999, und da war so etwas noch extrem ungewöhnlich.
Aus dem gleichen Rezept (wie gesagt: man könnte jedes andere Rezept nehmen) hier auch noch ein Zitat, das die Genauigkeit der Beschreibung der Arbeit illustriert: „Auf der Consommé wirst du – obenauf schwimmend – alles Fett sehen, das in der Consommé verblieben ist. Lege vorsichtig ein Papierhandtuch auf die Flüssigkeit und ziehe es zügig über die Oberfläche. Werfe das Papier weg und wiederhole den Vorgang bis keinerlei Fett mehr zu sehen ist (was die Consommé unklar machen könnte). Lege dann ein Tuch oder ein “Cheesecloth“ in ein Passiersieb und passiere die Consommé ein letztes Mal in einen Topf. Bringe die Flüssigkeit zum Simmern und reduziere sie auf ein Viertel.“ Man kann sich vorstellen, warum er für diese Kleinigkeit zwei eng beschriebene Seiten an Erklärungen braucht.
Wenig später unterbricht er – wie mehrfach in diesem Buch – die Rezeptbeschreibungen zu einem der generellen Exkurse zu bestimmten Themen. In diesem Falle geht es um die „Bedeutung der Hollandaise“. Keller beginnt die Beschreibung mit einem Ausflug in seine persönliche „Hollandaise-Geschichte“, also zurück in die Zeit, in der er zum ersten Mal die „Magie der Hollandaise“ erlebte. Diese Rückgriffe auf sich selber als Lernenden sind oft sehr amüsant und zeigen einen sehr wichtigen Weg zu kulinarischer Perfektion, der immer wieder unterschätzt wird: man lernt besonders gut, wenn man alle Fehler schon einmal selber gemacht und begriffen hat, wie etwas tatsächlich funktioniert. Wer auswendig lernt, aber nicht weiß, warum etwas so ist, wie es ist, wird immer irgendwann Probleme bekommen. Insofern schafft Thomas Keller auch in diesem Punkt genau den richtigen Ansatz, um wirklich gut zu lernen.
Auch für Profis oder zukünftige Profis gibt es eine Menge Material, vor allem zur Organisation einer Küche von hoher Qualität. Im Abschnitt „Fonds und Saucen“ etwa geht es nicht nur um die Herstellung, sondern auch um die Saucen und Fonds, die er in der Küche zu jedem Service vorrätig hat. Bei ihm sind das ein heller und ein dunkler Kalbsfond, ein Lammfond, ein Entenfond, ein Wildfond, ein Hühnerfond, ein Pilzfond und ein Gemüsefond. Auch hier ein Detail – aus gutem Grund vom Gemüsefond: „Bei einem Gemüsefond ist es wichtig zu verstehen, dass es da einen Punkt gibt, an dem die Gemüse alles an Aroma abgegeben haben, was sie haben und beginnen, sich aufzulösen, Flüssigkeit aufzusaugen und die Flüssigkeit zu trüben. Wenn wir zum Beispiel einen Pilzfond machen, zerkleinern wir die Pilze und kochen sie nur 45 Minuten.“ (Was sich natürlich auf die Angewohnheit vieler Küchen bezieht, Fonds von morgens bis abends vor sich hin kochen zu lassen).
Auch wenn ich hier nicht eigens auf die Rezepte eingehe, sind sie natürlich von hoher Qualität. Damals waren sie teilweise durchaus modern und lagen vielleicht ein wenig unterhalb des Niveaus der seinerzeit noch weltweit dominierenden französischen Kreativköche. Es gibt hin und wieder amerikanische Spezifitäten wie etwa sehr kräftige Röstnoten und frühe Surf and Turf – Gerichte. Am interessantesten finde ich die Adaptionen französischer Klassiker bei Terrinen, Garungen im Schweinenetz usw. usf. Sie bekommen mit großer Sorgfalt eine ganz erhebliche Präsenz.
Fazit
„The French Laundry Cookbook“ ist nicht nur eine Dokumentation der Arbeit des Spitzenkochs Thomas Keller in seinem Restaurant, sondern eines der besten Lehrbücher für die Küche, die es überhaupt gibt. Es ist Keller ganz entspannt gelungen, die Arbeitsschritte ohne sprachlich-küchenbürokratische Verrenkungen (wie man sie in den üblichen Lehrbüchern oft findet) in Worte zu fassen und den Leser ganz selbstverständlich in die Tiefen einer professionellen Arbeit mitzunehmen. Das hat heute noch seine Gültigkeit und war seiner Zeit in vielen sensorischen Aspekten weit voraus. Man darf gespannt sein, ob sein neues Buch ähnlich aufgebaut sein wird, und ob es die gewaltigen Entwicklungen der Kochtechnik in der Zwischenzeit ebenso detailliert reflektiert. In jedem Falle ist dies eines der wenigen Kochbücher, das man Wort für Wort studieren sollte.
Fotos © Deborah Jones, abfotografiert von Jürgen Dollase
Ich habe damals sogar bei Ingo Holland im Gewürzamt angerufen, weil ich nicht wusste, was „Kosher Salt“ ist……..
ich kann den nutzwert der kellerschen werke für die häusliche küche nur bestätigen; keller ist ein guter didaktiker und ich habe viel aus seinen büchern gelernt.