Die echten Professionals. Warum unsere besten Köche wesentlich mehr Achtung verdienen

Vergleiche sind manchmal wirklich so effektiv, dass sie eine Situation ganz klar machen. Ich habe schon häufiger darauf hingewiesen, dass es in Deutschland nur eine handvoll Zwei- und Drei-Sterne-Köche gibt, aber Tausende von Professoren. Vor allem die Drei-Sterne-Köche stellen eine echte, kleine Elite dar, wie es sie ansonsten in kaum einem Fach gibt. Wir haben zum Beispiel gerade bei den Corona-Diskussionen erlebt, wie viele Viren-Experten plötzlich an allen Ecken und Enden auftauchen. Professoren sind sie fast alle, aber das scheint nicht automatisch zu bedeuten, dass sie alle für das pure, reine Wissen stehen. Warum würden sie sich sonst so streiten? Dazu später noch mehr.

Ich möchte hier einmal ein paar Aspekte des Berufsbildes, der Professionalität, der Leistung und der Überprüfbarkeit von Leistungen von hervorragenden Köchen diskutieren. Es wird darum gehen, wie objektiv und gut ihre Leistungen sind, wie wenig viele andere Berufe da zu bieten haben, und dass die besten Köche eine sehr realistische Elite mit so belastbaren und vielfältig nutzbaren Kenntnissen sind, dass sie zu den Stützen der Gesellschaft gezählt werden müssten.

Primäre Leistungsmerkmale: Kochleistungen sind weitgehend messbar
In bestimmten Bereichen gibt es Professionals, die wirklich messbare Leistungen erbringen und deswegen unumstritten an der Spitzen ihres Faches stehen. Dazu gehören vor allem jene Sportler, die Messbares leisten wie zum Beispiel Leichtathleten. Wer als Mann die 100 Meter in 10,50 Sekunden schafft, mag zwar jemand sein, der sich als Sprinter betätigt, wird aber Probleme damit haben, sich als absolute Größe seines Faches darzustellen. Gleiches gilt analog für Matchplayer, die in ihren diversen Ligen oder sonstigen Wettbewerben unzweifelhaft die Spitze ihres Faches ermitteln. Ein Pianist, der sich regelmäßig verspielt, wird nicht zur Spitze gezählt werden, was auch auf alle anderen Professionals zutrifft, die in Bereichen arbeiten, die allgemein bekannten, transparenten Wertungssystemen unterworfen sind.

Obwohl beim Essen immer die Rede von der „Geschmackssache“ ist (also mit der Negierung anderer als individueller Wertigkeiten letztlich auch die Qualität des Herstellung des Essens relativiert wird), sind die Produkte gerade unserer besten Köche weitestgehend messbar. Wie kaum in einem anderen Beruf hat ein System von Bewertungen, ständiger Analyse und Kritik dazu geführt, dass sehr viele „Messbarkeiten“ entstanden sind. Was gute Garungen und Produkte sind, ist weitgehend bekannt und fließt in die Bewertungen der Führer ein. Was dann dort an der Spitze steht, ist in den meisten (wenn auch nicht allen) Fällen weitgehend unumstrittene Qualität. Dass es Fälle gibt (wie Redzepi und Co.), bei denen diese Messbarkeiten angeblich nicht in einem vergleichbaren Ausmaß bestehen, sollte in diesem Zusammenhang nicht überbewertet werden: die Qualitäten von extremeren Kreativen werden üblicherweise erst langsam in das System integriert.

Die Messbarkeit der Leistungen der kulinarischen Professionals hat zudem viel Bestand. In der Regel sind die am höchsten bewerteten Köche auch die besten Köche, also diejenigen, die das größte Wissen und die größte Vielfalt an handwerklichem Können vereinen. Ihr Wissen ist zudem im Prinzip geeignet, alle möglichen Aufgaben rund ums Essen zu lösen. Sie werden oft kopiert oder nachgeahmt, könnten Essen für jede Anforderung entwickeln und sich so gesellschaftlich ausgesprochen nützlich machen. Sie sind also Professionals mit nachvollziehbaren, „evidenten“ Kenntnissen. Bei ihnen trifft sich eine maximal entwickelte Kulturtechnik mit großer Evidenz, sie sind also das, was man wirklich Stützen der Gesellschaft nennen muss.

Sekundäre Leistungsmerkmale
Wenn man mit der nötigen Distanz andere Berufsbilder beobachtet, ergeben sich im Vergleich zu den Köchen ein paar interessante Abweichungen. Die Köche sind zum Beispiel Selfmade-Professionals, die ihren Aufstieg vielleicht der ein oder anderen glücklichen Fügung verdanken (also die Unterstützung von ihre Arbeit finanzierenden Gastronomen), im Grunde aber vor allem auf ihr überprüfbares Können bauen. Man kann sie nicht wählen, und es gibt keine Partei oder sonstige Gremien, die darüber befinden könnten, dass der Kandidat ab morgen ein großer Spitzenkoch ist.

Das ist bei vielen, durchaus angesehenen Berufsgruppen völlig anders. Um Minister zu werden, braucht man keine speziellen Qualifikationen im jeweiligen Fach. Wenn in Koalitionsvereinbarungen bestimmt wird, dass eine Partei das Kultusministerium besetzten soll, wird sie sich in den eigenen Reihen auf die Suche nach Kandidaten machen und kommt dann – ganz offensichtlich – oft bei Personen aus, die nicht gerade zu den Spitzen eines naheliegenden Faches gehören, sondern irgendwie schon einmal in dieser Richtung tätig waren. Da gibt es dann – sagen wir: Kultusminister, die in keinem der Kulturbereiche jemals Spitzenleistungen erbracht hätten, aber vielleicht ein dominantes Auftreten haben und sich gut „durchsetzen“ können. Sie scheinen also über sekundäre Qualitäten zu verfügen (auch wenn gerne behauptet wird, es seien primäre).

Solche sekundären Merkmale finden sich auch in anderer Form. Man kann oft den Eindruck haben, dass diverse Posten, die von irgendeiner Seite aus vergeben werden, an Leute gehen, die „so aussehen als ob“. Dazu gibt es natürlich längst wissenschaftliche Untersuchungen mit dem Ergebnis, dass man gut oder für den Beruf passend aussehenden Leuten auch eher die Führungsfunktion zutraut. Auch hier muss man darauf hinweisen, dass – etwa in der Außenwirkung eines Postens – diese sekundäre Eignung zu einem strammen Teil als primäre gesehen werden kann.

Auch der Vergleich der Zahl von Spitzenköchen mit der Anzahl von Professoren kann noch etwas ausgeschmückt werden. Es trifft durchaus nicht immer zu, dass nur die Besten eines Faches Professoren werden oder gar Lehrstühle und Institute übertragen bekommen. Die schon erwähnte Uneinigkeit der Wissenschaften hat ihren Grund – gerade in den Geisteswissenschaften – in einer bestimmten Fachpolitik. Und da bekommt dann nicht selten in den Berufungsverfahren diejenige Person den Posten, die in ein bestimmtes Konzept, also zu einer bestimmten fachspezifischen Wissenschaftspolitik passt. Ich habe in früheren Zeiten als studentischer Vertreter schon einmal an einem solchen Verfahren teilgenommen und war schlicht und einfach entsetzt.

Um Spitzenkoch zu werden, muss man weder gut aussehen noch unbedingt über andere sekundäre Leistungsmerkmale verfügen. Hier zählt vor allem und immer wieder die Leistung im Fach (Ausnahmen bestätigen die Regel). Man wird nicht gewählt oder von Gremien bestimmt, und auch eine bestimmte kulinarischen Ausrichtung eines Arbeitgebers nützt wenig: ob klassisch oder modern – der kulinarische Professional „muss es einfach bringen“.

Warum mediale Starköche das Berufsbild aufweichen
Es mag mittlerweile für viele Köche höchst attraktiv sein, mit TV-Auftritten bekannt zu werden und direkt mit diesen Auftritten oder indirekt über eine bessere Auslastung ihrer Restaurants mehr Geld zu verdienen. Das Berufsbild des effektiv tätigen Professionals, dessen Leistungen evident sind und der höchstes Ansehen in der Gesellschaft verdient, wird durch diese Aktivitäten oft untergraben. Der Hauptgrund ist, dass für die verantwortlichen Redaktionen nicht die primären, sondern vor allem die sekundären Leistungsmerkmale zählen. Gesucht werden Leute, die im TV „gut rüberkommen“, und nicht unbedingt die Besten ihres Faches – vor allem auch deshalb, weil man die Inhalte nicht entlang professionaler Standards gestaltet, sondern kommerziell an die Nachfrage/die Einschaltquoten koppelt.

Insofern ist es oft logisch, dass TV-Köche vielleicht populär werden, aber von der Gemeinschaft der Professionals mehr oder weniger isoliert sind. Insofern wird auch verständlich, dass viele TV-Köche – sagen wir: dem Ansehen des Berufes und vor allem der besten Professionals nicht unbedingt nützen. Mit ihrer Betonung des Unterhaltsamen, aber inhaltlich/fachlich entleerten und entwerteten Kochens schaden sie letztlich dem Ansehen des Faches. Dass manche von ihnen dann vom unwissenden Publikum für große Professionals gehalten werden, ist – auch hier – die andere Seite. Die Gefährlichkeit solcher Entwicklungen entsteht letztlich dann, wenn die Definition des Faches mehr und mehr sekundären Merkmalen im weiteren Sinne überlassen wird. Dann wird aus Tim Mälzer der beste Koch und Drei-Sterne-Köche werden als Exzentriker oder Luxus- und Schickimicki-Vertreter in die Ecke gedrängt.

4 Gedanken zu „Die echten Professionals. Warum unsere besten Köche wesentlich mehr Achtung verdienen“

  1. Als ich das erste Mal (im wunderbaren Avignon) auf einer Speisekarte las „Mellieur Ouvrier de France“ hab ich gedacht: Mann ist das geil. „Hervorragender (besserer/bester) Handwerker Frankreichs“. Oder so. Und als ich wieder daheim war, in unserem kleinen, engen, grauen Land, habe ich versucht, mit Gesprächspartnern, Politikern, Handelskammern, etc. zu ergründen, ob sowas nicht auch hier möglich wäre. Hohles Lachen. Hier ist, im Gegensatz zu anderen Ländern, einfach jeder suspekt, der auf irgendetwas hierzulande stolz ist (etwa bestimmte Obstbrennereien im Schwarzwald, die Manufactum-Edition, einige Segelmachereien in Schilksee und so weiter). Der mit Abstand geilste Satz kam von einem MdB und an dem Abend habe ich mich in Köln betrunken: „Und wie wollen Sie den anderen erklären, dass die nicht ausgezeichnet werden?“ Erinnert mich an ein Radiointerview auf dem Weg in die wundervolle Fat Mermaid in Holland. Doyen der excellenten Uni Maastricht. „Zum ersten Mal hat eine deutsche Studentin den Preis der UnI für die beste Masterarbeit gewonnen. Wir freuen uns sehr. Sie kriegt alle ihre Studiengebühren ersetzt.“ WDR-Moderatorin: „Und was ist mit dem Zweiten und dem Dritten?“ „Nix. Wir zeichnen nur den ersten aus.“ „Aber…“. es hat die einen Schoass interessiert, wie die den ersten Preis gewonnen hat, Womit. Die hat sich fünf Minuten daran abgearbeitet, dass die dahinter nix kriegen, Ich finde das einen konstruktiven Beitrag zum Thema Elite.

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  2. Lieber Jürgen Dollase, Sie sprechen mir, wie so oft, aus der Seele. Ich habe übrigens noch nie einen aktuellen ***Sterne-Koch bzw. um es richtig auszudrücken, einen Küchenchef eines aktuellen ***Sterne-Restaurants in Deutschland in einer der üblichen Kochsendungen gesehen (außer bei Tim Mälzer). Mein kulinarischer, mediale Anti-Held ist der selige Helmut Thieltges, dem Sie, lieber Herr Dollase, eines der wenigen Interviews überhaupt abgewinnen konnten. Der hat die Zeit schlicht und ergreifend in seiner Küche verbracht und zwar mit überragendem Erfolg. Wir sollten all den Spitzenköchen hierzulande ein kulturelles Denkmal setzen und sollten lieber auf die verzichten, die sich sogar für manch billigste Werbung mit Unterstützung der Politik nicht zu schade sind.

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  3. danke!!! Absolut richtig und ebenso wichtig.

    Diese selbstgefälligen „Phantomköche “ sind furchtbar und die Menschen verlernen, was Kochen wirklich bedeutet….

    Meine Favoriten : Tim Mälzer
    Jamie Oliver
    Maria Groß
    Ralf Zacherl

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