Gute Küche, die in keinem Führer steht

Es gibt merkwürdigerweise eine Art von Küche, die quasi in keinem Restaurantführer auftaucht, obwohl sie in guten Fällen durchaus ein Thema für eine Erwähnung und/oder Bewertung wäre. Es ist eine Küche, die sehr viele Leute essen, oft in entspannter Lage und mit viel Vergnügen. Gemeint sind die Pensionsessen, wie sie vor allem in größeren Hotels für die „Hausgäste“ angeboten werden. Diese Menüs sind meist Teil der Halbpension und finden in der Regel abends statt. Viele Feriengäste nutzen das in diesen Häusern oft umfangreiche Frühstück, essen tagsüber wenig oder nichts und freuen sich dann auf mehrgängige Menüs am Abend.

Der „Kulinarische Ferientag“ im Hotel Bareiss
Im Hotel Bareiss in Baiersbronn gibt es eine ganze Reihe von Restaurants mit dem Drei Sterne-Gourmetrestaurant „Bareiss“ und Claus-Peter Lumpp an der Spitze. In diesem Hotel haben sich die Gäste – wie in vielen großen Ferienhotels – daran gewöhnt, im Haus zu essen. Bei ausgebuchtem Haus bedeutet das, dass deutlich über 200 Gäste versorgt werden müssen. Neben den wenigen Köchen im Gourmetrestaurant arbeitet eine große Anzahl anderer Köche für die weiteren Restaurants und das Pensionsessen. Verantwortlich für die Küche sind Küchendirektor Oliver Ruthardt und Küchenchef Oliver Steffensky, die bereits seit 20 bzw. 18 Jahren im Haus arbeiten. Diese Lage ist für diverse große Häuser typisch: es gibt eine Art kulinarischen „Maschinenraum“, in dem sich ein erhebliches fachliches Wissen und die Fähigkeit, allen möglichen Anforderungen gerecht zu werden, versammelt. Es gibt übrigens eine ganze Reihe von Fällen, in denen die Küchenchefs der Gourmetrestaurants aus diesem „Maschinenraum“ hervorgegangen sind. Auch Claus-Peter Lumpp hat ursprünglich dort angefangen. Ein weiterer typischer Fall ist zum Beispiel das „Baur au Lac“ in Zürich, in dem mit Daniel Humm („Eleven Madison Park“, New York,schon einmal bester Koch der Welt) und dem aktuellen „Pavillon“ – Chef Laurent Eperon (2 Sterne) zwei Spitzenköche in der Hotelküche begonnen haben.

Im Bareiss gibt es seit den Zeiten von Hermine Bareiss (der Gründerin des Hotels und Mutter von Hermann Bareiss) am Samstagabend für die Pensionsgäste ein „Galamenü“, das Teil der Halbpension ist und aus dem „Maschinenraum“, also der Hauptküche kommt. Hier die 7 Gänge am Abend meines Besuchs (bis auf ein Annanassorbet):

Das Bareiss Galamenü
Das Menü wird in den verschiedenen Restauranträumen des Hauses serviert. Zur Speisekarte gibt es auch (wie üblich als Extra) ein Getränkeangebot mit dem Schwerpunkt auf den Weinen der Bareiss-Edition (z.B. Weine von Wassmer, Diel, Bernhard Huber, Zeter, Salwey etc.), die auch glasweise ausgeschenkt werden), plus eine Reihe weiterer Weine. Natürlich ist es auch möglich, von der großen Weinkarte des Gourmetrestaurants zu bestellen. Sommelier Teoman Mezda berät gerne.

Pastrami vom Ikarimi-Lachs mit Fregola-Sarda und würziger Karottencreme
Ein Stück nach Pastrami-Art vorbereiteter Lachs mit einer Karottencreme, einer begrenzten Menge Fregola, etwas Grün und etwas Textur/Crumble in einer gut essbaren Größe. Das Hauptprodukt steht klar im Vordergrund, die Ergänzungen wirken entspannt und souverän. Die Tupfer sind von einer Mayonnaise mit etwas Piment d’Espelette und einer leichten Räuchernote, die eine weitere Interpretation liefert. Auch das schmeckt ausgewogen.

Essenz vom Perlhuhn mit Kerbelklößchen
Die Suppe ist klar und fein, hat aber kein Stück vom Perlhuhn. Es gibt Gemüse-Mikros, die Kerbelklöße und Morcheln. Die Klöße sind aromatisch gut, in der Textur aber vielleicht ein wenig fest. Im Zusammenhang ergibt sich aber dennoch ein zuverlässiges Bild.

Medaillon vom Seeteufel in Krustentiersauce mit Parmesanrisotto und Kresse
Nach der guten Vorspeise und der etwas zurückhaltenden Suppe war ich auf die Hauptgerichte sehr gespannt. Die Qualität, die dann auf den Tisch kam, war vielleicht nicht grundsätzlich unerwartet, überraschte dann aber doch. Was serviert wurde, ist genau jene Küche, von der viel geredet wird, die man aber auffällig selten antrifft. Ich habe immer wieder von so etwas als Wunschbild für eine weit verbreitete Küche geredet, also von einer Küche mit guten Produkten, guten Garzeiten, gut abgestimmter Würze und guten Proportionen, von der selbst Gourmets sagen würden, dass sie „lecker“ schmeckt. Hier nun ist sie, „verborgen“ in einem Pensionsmenü, das von echten Haudegen der Küche gemacht wird, die offensichtlich wissen, was sie tun und nicht versuchen, mit allerlei Dekoration und Drumherum, sondern mit einem sehr guten, wirklich mehrheitsfähigen Geschmack zu überzeugen.

Wieder geht es um ein klar herausgestelltes, gutes Produkt, das daran erinnert, dass diese großen Häuser wegen der Bedeutung ihrer Gastronomie immer gute Lieferanten haben. Der (gedämpfte) Fisch schmeckt exzellent, ein wenig wie Spitzenküche der 80er Jahre. Die Krustentiersauce hat eine schöne Würze und ergibt mit dem nicht zu fest gemachten Risotto einen süffigen Hintergrund. Die scheinbar locker über das Ganze geworfenen Kräuter machen das Geschmacksbild vertikal, frisch und präsent. Ein sehr gelungener Seeteufel-Teller.

Rosa Kalbsfilet mit frischen Pfifferlingen in Schnittlauchrahm und geschmälzten Serviettenknödeln
Beim Fleischgang geht es im Prinzip gleich genau so weiter. Auch hier entsteht ein gleichzeitig sehr süffiges, absolut mehrheitsfähiges Geschmacksbild auf der Basis eines guten Produktes, das vor allem gut gegart ist. Das Foto zeigt eine kräftige direkte Garung, die zu einer sehr gut schmeckenden Kruste führt und damit den Fleischgeschmack breiter macht als das etwa indirekt gegarte Stücke schaffen. Die Sauce zum Fleisch ist klassisch und hat einen Hauch Thymian. Die Pilze und ihre Sauce schmecken klar und deutlich nach Pfifferlingen, und die mild geschmälzte Serviettenknödelmasse bringt jene leicht rustikal-bodenständige Ergänzung, die für solche Gerichte immer sehr gut ist. Der Gang macht – genau wie der Seeteufel-Gang – viel Vergnügen.

Kleine Käseauswahl mit Bauernbrotcrouton und Apfelchutney
Eine kleine Auswahl zuverlässiger Käse, nicht vom Wagen, sondern als Teller serviert. Die Menge ist exakt so, dass man sie nach den vorherigen Gängen gut und mit Genuss essen kann. Die Ergänzungen bleiben so, dass sie den Käse nicht blockieren, sondern anreichern/begleiten.

Törtchen von Valrhona-Schokolade mit Erdbeeren und Schokoladencrumble
Ein überraschen gutes Törtchen, das zeigt, wie man auch in einer großen Küche Elemente auf den Tisch bringen kann, die ein sehr hohes Niveau haben. Die Mischung aus vorbereiteten und à la minute gefertigten Elementen muss eben stimmen. Ich tippe darauf, dass bei der Konzeption die Anwesenheit von Spitzen-Patissier Stefan Leitner eine gewisse Rolle gespielt hat. Das Törtchen schmeckt sehr fein und leicht, und harmoniert deshalb mit den Erdbeerzubereitungen ganz ausgezeichnet.

Man beendet das Menü mit Friandises und in einem Zustand, der entspannter scheint, als das oft in Gourmetrestaurants der Fall ist. Auch die Mengen- und Würzregie hat die Küche also offensichtlich im Griff.

Eine solche Küche sollten lernende Köche erst einmal beherrschen, bevor sie damit beginnen, internationale Stile nachzuahmen. Sie steht mit solchen Gerichten in der handwerklichen Tradition großer Küche, hält sich an klare kulinarische Regeln und schafft es, sie in größerer Stückzahl, zügig und in einem entspannten Fluss zu präsentieren.

4 Gedanken zu „Gute Küche, die in keinem Führer steht“

  1. Sehr geehrter Herr Dollasse,

    mit diesem Bericht sprechen Sie mir aus dem Herzen. Seit 1976 stehe ich in der Küche und arbeite heute, wie Sie es beschrieben haben, als Maschine. Aber als glückliche Maschine. Ich habe ca. 8 Jahre gebraucht um den Arbeitgeber zu finden, der mir die Möglichkeit gibt, mich kulinarisch zu verwirklichen, und frisch für unsere Hausgäste zu kochen. Schreiben Sie öfter über solche Köche, sie heben es verdient.

    Freundliche Grüße

    Peter K. Steiner

    Antworten
  2. Der letzte Absatz trifft den Nagel auf den Kopf – und das muss man leider in Frankreich genauso fordern. War die nasse Anna lecker ?
    Gruß!
    HS

    Antworten
  3. Lieber Herr Dollasse,

    vielen Dank für Ihren Streifzug durch die verschiedenen Restaurants des Bareiss hier und in der FAZ – ich hatte mich nach der Besprechung von Gourmetrestaurant und Dorfstube schon gefragt, ob auch noch von der „normalen“ Halbpension die Rede sein wird.

    Das Bild mit dem „Maschinenraum“ trifft es schon gut, was Häuser wie das Bareiss oder die Traube Tonbach täglich an hohen Gedeckzahlen in verblüffender Qualität zu leisten imstande sind.

    Eine kleine Ergänzung zur Leistungsfähigkeit solcher Maschinenräume noch: Das Bareisss als selbsterklärtes Familienhotel tut sich auch positiv hervor, was die Verpflegung der jungen Gäste und ihre Heranführung an hochqualitatives Essen angeht. Die Kinder wählen, wenn sie nicht ohnehin das „Erwachsenenessen“ bestellen, von einer Kinderkarte, die nichts gemein hat mit den unsäglichen Ausflügen nach „Friteusien“, die sich landauf landab als „Kindergerichte“ finden. Eine phänomenale Rinderbrühe, ein Cordon Bleu mit exzellentem Käse und Schinken, hochwertige Pasta. Ich habe mich dabei ertappt, immer auch bei meinen Kindern (3 und 6 Jahre) probieren zu wollen. Angebote wie dieses helfen, frühzeitig die Sinne für gutes Essen zu schärfen und die Kundschaft von (über-)morgen zu gewinnen.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar