Die Sache mit dem Eis, oder: Wie kulinarisch naiv dürfen öffentlich-rechtliche TV-Redakteure und Moderatoren sein?

Vor ein paar Tagen war es wieder soweit. In irgendeinem moderierten Magazin von ARD/ZDF gab es eine neue Folge einer Geschichte, die sich schon seit vielen Jahren durch solche Sendungen zieht. Man muss den Eindruck gewinnen, als ob in den Redaktionen eine Art Liste von Themen existiert, die man immer wieder regeneriert, weil sie immer „locker“ und zur Jahreszeit „passend“ sind. Das Problem ist nur, dass die Welt weitergeht, und die recycleten Themen aus der Mottenkiste mittlerweile Jahrzehnte hinter der Entwicklung zurück sind. Stellen Sie sich vor, jemand würde einen Bericht darüber machen, dass es da so ein komisches Gerät gäbe, mit dem man Bilder und Nachrichten um die Welt schicken könnte…

Es geht ums Eis, und es geht darum, dass immer wieder und mit leicht spöttischen Nebenbemerkungen über Eis berichtet wird, das mit Aromen gemacht wurde, die man anscheinend für reichlich überspannt und völlig an der Sache vorbeigehend hält. Der Jungmoderator in unserem Falle machte schon wieder eine entsprechende Anmoderation, in der zum Beispiel darauf hingewiesen wurde, dass man in Frankreich Eis mit Foie gras mache usw. Ins Bild trat eine Jungreporterin, die sogleich mit spöttischem Lächeln versicherte, das bei ihr und dem vorgestellten Eisgeschäft alles in Ordnung sei und wenig später bemerkte, hier gäbe es eine Art Ausbund an Kreativität zu besichtigen, weil nämlich das Eis zum Beispiel mit Spekulatius oder Stollenaromen usw. usf. gemacht werde (weitere Details sind bei mir nicht mehr angekommen…). Ich erinnere mich an andere Sendungen, in denen regelmäßig „herzhafte“ Aromen als Aromengeber für Eis (Speck und Co.) in den Rang von kulturellen Abstrusitäten erhoben wurden. Als neulich bei den „Husumer Krabbentagen“ ein Krabbeneis angeboten wurde, war das der Aufmacher diverser Zeitungen.

Es ist schlicht und einfach unfassbar, in welcher Art und Weise sich hier ein kulinarischer Informationsstand abbildet, der mit „hinterwäldlerisch“ noch harmlos beschrieben würde. Seit vielen Jahren ist es ein Standard der gehobenen Gastronomie, auch mit anderen Aromen als Erdbeere und Vanille Eis zu machen, weil man längst erkannt hat, wie wichtig und interessant die Arbeit mit der gekühlten Varianten eines Aromas ist. Seit mittlerweile gut 15 Jahren ist der Aggregatzustand „kalt“ sogar ein fester Bestandteil sensorisch durchdachter Kompositionen und jeder gute Koch weiß, wie erheblich dieser Zustand die geschmackliche Wahrnehmung beeinflussen kann. Die Kombination von kalt und warm etwa ermöglicht faszinierende Formen der zeitlichen Geschmacksverläufe, weil sie Durchblendungen von Aromen produziert.

Von all dem scheint in den öffentlich-rechtlichen Redaktionen noch nichts angekommen zu sein. Die Moderatoren und Reporter wirken in diesem Zusammenhang regelmäßig geradezu dümmlich – wie aus einer Welt stammend, in der nicht das existiert, was wirklich da ist, sondern nur das, was „ein gutes Thema ist“. Gibt es für dieses bizarre Verhalten Erklärungen? Hier die kurze Analyse von zwei Blickwinkeln.

Einschränkung der Wahrnehmung durch projektive Trivialität
Verkürzt gesprochen bedeutet projektive Trivialität in diesem Zusammenhang, dass man Dinge so naiv und verkürzt wahrnimmt, wie sie dem eigenen Wissensstand entsprechen. Während es in den Medien in vielen Bereichen ausgesprochene Fachleute gibt, die zu den besten der Republik gehören, ist das im kulinarischen Bereich oft nicht der Fall – und das häufiger im TV-Bereich als im Radio, weil sich im TV eher selten Sendeplätze finden, die auch einmal fundiertes Grundwissen vermitteln wollen. Das größte Ärgernis ist es, dass dieser Zustand die entsprechenden Radakteure / Moderatoren / Reporter scheinbar nicht weiter anficht. Sie haben keine Ahnung, aber es macht ihnen nichts – könnte man salopp sagen –, weil ja das von ihnen geschätzte Massenpublikum auch keine Ahnung hat. Dass die Redaktionen die kulinarische Entwicklung überhaupt nicht mitbekommen, oder – mindestens genau so problematisch – regelmäßig völlig falsch einschätzen, ist im Grunde ein Skandal, der ein ganz wesentlicher Grund für die nach wie vor mangelnde Wertschätzung für eine avancierte, historisch gewachsene Kochkunst ist. Ein Redakteur, der ähnlichen Unsinn im Bereich von Literatur, Kunst, Oper oder Theater von sich geben würde, wäre am Tag danach nicht mehr auf seinem Posten.

Einschränkung der Wahrnehmung durch Populismus
Es könnte natürlich auch sein, dass der Grund für die kulinarischen Abstrusitäten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen schlicht und einfach ein grenzenloser kulinarischer Populismus sind. Man meint, „die Leute“ würden die Sache mit dem Eis hoffnungslos eingeschränkt sehen und sieht sie dann selber auch so, weil man damit gut ankommt. Eine solche Haltung kennen wir mittlerweile unter dem Begriff „Populismus“, die verheerenden Folgen von „Populismus statt Bildung“ sehen wir weltweit. Sie haben das Potential, der gesamten Zivilisation schweren Schaden zuzufügen. In unserem scheinbar harmlosen Fall mit dem Eis bildet sich ein solches Verhalten ganz typisch ab.

Es könnte sich nun die Frage stellen, ob man tatsächlich populistisch motiviert ist oder nur so tut – ob man sich also mit Absicht in die Rolle des schwerwiegend uninformierten „Hinterwäldlers“ begibt, obwohl man es eigentlich besser weiß. Die Antwort auf diese Frage ist im Prinzip uninteressant, weil der Effekt der gleiche ist. Man muss allerdings vermuten, dass die zuständigen Redaktionen mittlerweile so „professionalisiert“ sind (wie man das in der internen Ausdeutung vermutlich sieht), dass sie nicht mehr mitbekommen, dass sie längst keine distanzierte, um sachgerechtes Wissen und seine Vermittlung bemühte Position mehr innehaben, sondern ein anderes Denken pflegen, das Alles und Jedes unter dem Aspekt der Nützlichkeit, der Einschaltquoten und natürlich des eigenen Fortkommens sieht.

Wie auch immer: Die Lage ist bei kulinarischen Themen in den öffentlich-rechtlichen Medien (bei den anderen will ich gar nicht erst anfangen) nach wie vor allzu häufig eine Katastrophe, die mit der Realität nicht übereinstimmt.

4 Gedanken zu „Die Sache mit dem Eis, oder: Wie kulinarisch naiv dürfen öffentlich-rechtliche TV-Redakteure und Moderatoren sein?“

  1. „Ein Redakteur, der ähnlichen Unsinn im Bereich von Literatur, Kunst, Oper oder Theater von sich geben würde, wäre am Tag danach nicht mehr auf seinem Posten.“
    Eben leider auch nicht.Gerade ein ähnliches Beispiel im NDR Fernsehen mit dem Moderator Herrn Baumgarten, naiv-simples Interview mit einem Hamburger Jungkoch (Klinker), das völlige Ahnungslosigkeit hinsichtlich vieler Bemühungen anderer Hamburger Köche offenbarte – genauso vor einem guten Jahr Verächtlichmachung eines Künstlers, der mit Steinen arbeitet und ihren Klängen – in eindrucksvoller Weise., durch den gleichen Mann. Hilflose Entschuldigung nach meiner Kritik ohne Veränderung des Stils.
    Gruß, H. Sudeck

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    • Wenn man an der Kernaussage des Artikels nichts kritisieren kann, stürzt man sich auf irgendwelche Halbsätze und skandalisiert diese. Sehr durchschaubares Manöver!

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