Die Weltköche zu Gast im Ikarus.

Martin Klein/Red Bull Media (Hrsg.): Die Weltköche zu Gast im Ikarus. Außergewöhnliche Rezepte und wegweisende Chefs im Porträt. Band 6. Pantauro/Benvenuto Publishing, Salzburg und München 2019. 320 S., geb., 49.95 Euro

Das Ikarus-Konzept geht weiter – mittlerweile seit 16 Jahren (begonnen 2003) und seit sechs Jahren von Trettl-Nachfolger Martin Klein betreut. Die Grundidee bleibt faszinierend – auch wenn die Reproduktion der Gerichte der Gastköche immer einen Hauch von Coverband hat. Dass die Reproduktionen grundsätzlich das Original nicht erreichen, ist dabei längst nicht ausgemacht: Die Küche im „Ikarus“ ist hochgradig professionell, und da kann es auch immer wieder passieren, dass die Reproduktionen sogar noch besser als das Original ausfallen …
Das Jahrbuch der Teilnehmer gehört mittlerweile zu den festen Größen der kulinarischen Publizistik und erinnert durchaus an das legendäre „Culinary Chronicle“ von Bruno Hausch.

Es bleibt allerdings immer wieder die Überlegung, was es mit der Auswahl der Köche auf sich hat. Die Zeiten, in denen sich bestimmte Köche buchstäblich aufdrängten, weil ihre Arbeit in aller Munde war, sind weitgehend vorbei. Es waren die Zeiten eines schnellen kreativen Outputs, eines Wettbewerbs um immer neue Ideen oder auch kulinarischer Gags. Im Moment geht es etwas gemäßigter, dafür aber auch zuverlässiger zu – so zumindest der Eindruck, den man bei der Lektüre gewinnen kann. Manche Kreative mit einer stark lokalen Prägung entziehen sich natürlich auch der zuverlässigen Reproduktion, andere Kreative zeigen kein Interesse an einem Auftritt in Salzburg. Solche Anmerkungen sollen aber die Leistungen im „Ikarus“ nicht schmälern, vielleicht aber dazu anregen, den Horizont noch ein wenig weiter zu öffnen. Man könnte ja auch einmal ein Bocuse-Menü machen oder die größten Rezepte aller Zeiten (in mehreren Folgen) oder zeigen, dass die Avantgarde von gestern in manchen Fällen auch heute noch Avantgarde wäre – etwa Olivier Roellinger oder ähnliche Fälle. Den Untertitel „aussergewöhnliche Köche und wegweisende Chefs“ brauchte man dafür noch nicht einmal zu ändern …

Das Buch als luxuriöses Feature
Es wird wohl kaum einen Koch geben, der nicht mit Freude in einem „Ikarus“ – Band vertreten wäre. Die Teilnahme an einer internationalen Übersicht ist die eine Sache. Die andere ist die schiere Größe und die Art der Inszenierung. Es gibt ein ganzseitiges Porträt (von der Seite). Gegenüber dann ein Pergament-Blatt mit Namen und Signatur, dann ganzseitig die Hände vor der Kochjacke. Es folgen sechs Seiten über das Restaurant, gefolgt von einem Lieblingsspruch des Kochs/der Köchin auf schwarzem Grund und ebenfalls ganzseitig…usw. usf. bis zu den meist fünf Rezepten auf 10 Seiten. Schindet man damit Platz? Nein, dieser Eindruck kommt nicht auf – eher der Eindruck, dass die Köche hier wie die großen Künstler ihres Faches dargestellt werden, die sie ja in der Realität auch sind. Es sieht gut aus und ist keine banale Inszenierung, wie das bisweilen bei TV-Köchen etc. zu finden ist. Dazu kommt natürlich, dass die Rezepte „State-of-the-Art“ des jeweiligen Protagonisten sind und insofern kompromisslos bei den Produkten wie beim Aufwand. Was die Rezepte allgemein angeht, muss man immer wieder darauf hinweisen, dass die ansonsten übliche Reduzierung auf Machbarkeit für vier Personen hier zwar ebenfalls stattfindet, durch die tatsächlich erfolgte Reproduktion durch das „Ikarus“-Team aber – sagen wir: realistischer wird.

Die Köche und ihre Rezepte
Den Anfang machen fünf Köche aus den Niederlanden in einem gemeinsamen Menü mit dem Titel „Best of Niederlande“, Jannis Brevet vom „Interscaldes“ in Kruiningen, Jacob Jan Boerma von „De Leest“ in Vaassen, Michel van der Kroft vom „Restaurant Kroft“ in Hoorn und das Duo Richard van Oostenbrugge und Thomas Groot vom „212“ in Amsterdam. Es folgen Julien Royer vom „Odette“ in Singapur, Norbert Niederkofler vom „St. Hubertus“ in St. Kassian/Südtirol, Fernando P. Arellano vom „Zaranda“ in Es Capdellà/Mallorca, Köchin Bee Satongun vom „Paste“ in Bangkok, Joachim Wissler vom „Vendôme“, Olivier Nasti vom „La Table d’Olivier Nasti“ in Kaysersberg/Elsass, Paul Cunningham vom „Henne Kirkeby Kro“ in Henne/Dänemark, Anthony Genovese vom „Il Pagliaccio“ in Rom, das „Ikarus Team“ unter Martin Klein, Christophe Hardiquest vom „Bon Bon“ in Brüssel und Hiroyasu Kawate vom „Florilège in Tokio.

Hier ein paar Eindrücke aus dem Programm: Taube mit Kampot-Pfeffer,Innereien-Espuma, Haselnüssen, Topinambur und schwarzem Knoblauch (Julien Royer), Rücken und Rippe vom Tauernlamm aromatisiert mit einem Heusirup-Senf, dazu Knollenziest und verbranntes Lauchöl (Norbert Niederkofler), Massaman-Lamm-Curry mit Durianfrucht, Thai-Kardamom und getrocknetem Kokosnuss-„Apfel“ (Bee Satongun), Räucheraal, Lauch, Orange, Hechtmousse (Olivier Nasti), Languste mit Kaffee-Lack auf der Basis von fermentierten Krustentieren, Kapernwasser, Leinsamencracker und Geräuchertes Rindermark-Öl (Anthony Genovese), Rehrücken mit Rote Bete-Heidelbeer-Püree, Rote Bete Consommé, rehydrierter Rote Bete und Mohnöl (Ikarus-Team), Artischocken, Kaffee, Alter Gouda (Christophe Hardiquest), Pony-Lende, grüner Pfeffer, Meerrettich-Kartoffeln und Tomaten-Mousseline (Christophe Hardiquest) und Makrele, Roquefort, Trüffel, Tofu von Hiroyasu Kawate.

Fazit
Auch dieser Jahresband gehört wieder in jede größere kulinarische Bibliothek. Das ist keine Frage. Warum ich zögere, drei Bs zu geben ist der Blick auf das Ganze. Vielleicht fehlen der Auswahl in diesem Jahr ein paar kreative Ausreißer, die auch einmal aufregen (in welcher Richtung auch immer) und das Konzept auffrischen. In diesem Band ist selbstverständlich alles gut und auf hohem Niveau und interessant. Der geniale Schub kann im Moment eher vom Konzept als von einer ehrenwerten Sammlung internationaler Köche kommen. Falls man aber irgendwie und irgendwo im „Ikarus“ den Gedanken hat, das Publikum eher mit gebremstem Schaum zu erfreuen, wäre es schön, wenn man die Bremsen wieder lösen würde.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Fotos © Hangar 7

2 Gedanken zu „Die Weltköche zu Gast im Ikarus.“

  1. Lieber Herr Schmitt, vielen Dank für die Erinnerung. Jetzt fällt mir das auch wieder ein…Es zeigt sich also, dass man im „Ikarus“ durchaus in diese Richtung denkt. Die Spanne zwischen Allem, was wirklich wichtig ist, müßte einfach grundsätzlich weiter auseinander gehen, damit der Eindruck vermieden wird, dass das Programm auf eine Art modernen Mainstream hinausläuft.

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