Gilles Goujon: À Fontjoncouse…quelque part en Corbières. Éditions Glénat, Grenoble 2018. 240 S., geb. Hardcover 59 Euro (in französischer Sprache)

Gilles Goujon ist einer der ganz selten anzutreffenden Köche, die sich buchstäblich aus dem Nichts an die Spitze vorgearbeitet haben. Als er im Jahr 1992 ein Restaurant in einem winzigen südfranzösischen Dorf übernahm, waren dort schon mehrere Köche an mangelndem Zuspruch gescheitert. Auch ihm erging es vier Jahre lang nicht viel anders – obwohl er durchaus schon bei guten und bekannten Köchen (wie etwa Passédat senior in Marseille) gearbeitet hatte. Dann empfahl man ihm, doch am Wettbewerb zum „Meilleur Ouvrier de France“ teilzunehmen. Goujon gewann und wurde bekannt. Ein Jahr später (1997) kam der erste Stern, 2001 der zweite und schließlich 2010 der dritte. Goujon zählt sicherlich nicht zu jenen französischen Köchen, die in Deutschland sehr bekannt sind. Das mag auch an seinem Stil liegen, der definitiv sehr französisch ist und ein Geschmacksbild betrifft, das bei uns erst sehr langsam verstanden wird.

Das Buch
Man merkt dem Buch an, dass von einem Koch berichtet wird, der sehr stolz auf seine Entwicklung ist. So etwas kann man mit protzig und aufgeblähten Inszenierungen machen, aber auch so authentisch, dass niemand irritiert, sondern alle informiert werden. Dieses Buch beginnt zum Beispiel mit einem Vorwort von Gilles‘ Frau Marie-Christine. Das hat man auch nicht alle Tage. Und auch sie berichtet von den langen Jahren mit viel Arbeit und „Hektolitern von Schweiß“. Es geht also erst einmal um etliche Seiten mit schönen Bildern vom Restaurant und der Gegend und Texten zum Werdegang, zur Landschaft und ihren Produkten und der Philosophie dieser Küche, die wahrlich fest in ihrer Region, aber auch in einem bodenständigen Verständnis von gutem Geschmack verwurzelt ist.

Auf Seite 90 beginnen die Amuse Bouche, gefolgt von Vorspeisen, Fisch, Fleisch, Wild und Desserts. Es fällt sofort auf, dass man – trotz natürlich zu verlässig-professioneller Fotos – die Finesse dieser Küche nicht unbedingt auf den Bildern erkennt. Hier kocht man offensichtlich in erster Linie so, dass der Geschmack stimmt und kümmert sich dann anschließend darum, dass das auch noch einigermaßen gut angerichtet wird. Das sollte man bei der Lektüre und beim Nachdenken über die Bilder unbedingt beachten. Hier Beispiele aus dem Programm:

„Scheidemuscheln von ‚Charly dem Fischer‘, knapp à la plancha gebraten, Kräutercannelloni und Petits gris-Schnecken mit Anis, Emulsion ‚Aigo Boulido“ (Amuse Bouche)

„Salat vom Fasan, die Brust gebraten, die Keulen mit Nüssen, gebratene Pilze und Innereien“ (Vorspeise)

„Filet de Rouget Barbet, pomme bonne bouche fourrée d’une brandade à la cébe en ‘Bullinada” ecume de rouille au safran” (Fisch, hier einmal im Original)

„Lende von der Seezunge aus französischen Küstengewässern, Zesten von der Gilou-Zitrone von der Mas Bachés, weißer Camargue-Spargel von den Brüdern Puccini, Crumble à la Grenobloise, Butter von den Gräten und Fleischsaft“ (Fisch)

„Alle Stücke von der Ziege aus der Zucht meines Freundes Jean-Ba, Jus von Thymianblüten, Gratin von Bucatini“ (Fleisch)

„Geröstete Drossel, mit Innereien gefüllte Kartoffeln und Wacholderjus“ (Wild). Wörtlich: „Grive rôti sur sa rostido“: die Drosseln werden komplett, also ohne ausgenommen zu werden, gebraten und erst dann weiter zerteilt

„Gariguette und Mara des Bois – Erdbeeren mit confierten schwarzen Oliven, Sorbet von Thymianblüten und Honig-Madeleines“ (Dessert)

Es gibt in diesem Buch ein paar kleine Anklänge an modern-minimalistische Gerichte, die aber im Zusammenhang nicht wirklich wie das Kerngeschäft von Gilles Goujon wirken. Sein Kerngeschäft sind hauptsächlich Gerichte, die aus bodenständigen Aromen entwickelt sind und genau das machen, was die klassisch orientierte französische Küche immer gemacht hat, nämlich Produkte und Rezepte einer Region so zu optimieren, dass ihre Identität erhalten bleibt. Dieser Ansatz ist durchaus nicht altertümlich oder unmodern, sondern schlicht und einfach ein spezifischer und sehr wirkungsvoller Ansatz. Wer hier isst, bekommt den Geschmack der Gegend, und wer den Geschmack der Gegend kennt, wird voller Freude erleben, was in der absoluten Spitzenküche an Optimierung möglich ist. Wenn man so will, ist das exakt der Ansatz, den wir in Deutschland bisher nicht wirklich haben, weil nach wie vor die Spitzenküche keine Lösung für eine Optimierung unserer traditionellen Küche gefunden hat (oder nicht daran glaubt, dass so etwas möglich ist). Selbstverständlich baut Goujon immer wieder auch kleine zeitgenössische Elemente mit ein, hütet sich aber davor, im aromatischen Sektor den Boden zu verlieren.

Fazit
Wer nach Lösungen für ein Küche sucht, die gleichzeitig bodenständig und von großer Finesse ist, wird in diesem Buch sehr viele Anregungen finden. Gilles Goujon geht eben nicht in den Minimalismus (oder die manchmal auch zu findende Abstraktion) der Nova Regio – Küche, sondern bleibt strikt dort, wo kein Gast überlegen muss, wie er mit diesem Essen denn eigentlich zurechtkommt. Er betätigt sich auch nicht als „Weichspüler“, der Optimierung mit einer artistischen Finesse verwechselt, sondern bleibt ein Drei-Sterne-Koch, der Bodenständigkeit und einiges an Rustikalität für ganz normale Merkmale von Spitzenküche hält.

Weil sich der Innovationsgrad dieser Küche naturgemäß in Grenzen hält, bekommt das Buch zwei grüne BB

2 Gedanken zu „Gilles Goujon: À Fontjoncouse…quelque part en Corbières. Éditions Glénat, Grenoble 2018. 240 S., geb. Hardcover 59 Euro (in französischer Sprache)“

  1. Wunderbare Rezension!
    Wie man hört, lädt der Meister die Dorfbewohner einmal im Jahr zum mehrgängigen Menü ein. Allein das und die Weine von der Domaine des Deux Clés 1 avenue Saint Victor 11360 Fontjoncouse, sind die Überlegung wert dort seinen Lebensabend zu verbringen.

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