Heinz Winkler 1949 – 2022. Ein Nachruf

 

Mit dem Tod von Heinz Winkler haben nicht nur seine Familie und seine Mitarbeiter und Freunde einen großen Verlust erlitten. Die deutsche Kochkunst verliert mit ihm einen Teil ihres kulinarischen Gedächtnisses. Winkler ist einer der ganz wenigen noch aktiven Köche gewesen, der eine direkte Verbindung zu Geschmackbildern repräsentiert, die weit aus der Geschichte kommen. Er wusste, wie bestimmte Dinge schmecken können und müssen – ein Aspekt, der gerade für jüngere Köche unbedingt eine größere Rolle spielen solle. Bei ihm konnte man immer wieder erleben und studieren, wie klassische Geschmackbilder aussehen können, wenn sie von einem Koch realisiert werden, der weiß, wie sie auszusehen haben. – Ich selber nutze schon seit Jahrzehnten immer wieder zur Spargelzeit eines seiner Rezepte, das zeigt, welch wunderbare Akkorderfindungen ihm immer wieder gelungen sind: es ist die Kombination von Spargel, Orangenbutter, Garnelen, Estragon und Piment d’Espelette. In frühen Jahren habe ich von keinem Koch so viele Rezepte nachgekocht, wie von Heinz Winkler. Glücklicherweise habe ich ihm das auch schon erzählen können.

 Winkler wuchs als jüngstes von 11 Kindern einer Bergbauernfamilie auf. Dass er seine Mutter früh verloren hat, hat sicherlich wichtige Linien in Winklers Leben vorgezeichnet und seine Motivation nachhaltig bestimmt. Mit 14 Jahren (also 1963) begann er eine Kochlehre, was in damaligen Zeiten so ungefähr das Gegenteil von dem war, was man heute teilweise beobachten kann. Er musste extrem hart arbeiten, ohne dass auf die Uhr geschaut und die Arbeitszeit abgemessen wurde. Als er sich dann bis zum Alter von 28 Jahren weiter durch diverse große Hotelrestaurants gearbeitet hat, war die Lage ebenfalls noch komplett anders als heute. Winkler hat mir einmal eine wunderbare Sammlung alter Fotos aus dieser Zeit gezeigt, auf denen wirklich bizarre Schaustücke für große Tafeldekorationen zu sehen waren – aus Butter geschnitzte Adler auf Bergspitzen und ähnliche Dinge. Man glaubt es kaum, und fragt sich, welche Energien da in eigentlich unkulinarische Arbeiten gingen.

Zu dieser Zeit wurde dem jungen Heinz Winkler aber glasklar, dass er mit viel Engagement und harter Arbeit einen Weg gehen konnte, der für einen ganz erheblichen Aufstieg sorgen würde. Und dann kommt der zweite Teil seiner Erzählungen aus frühen Jahren. Sie sind davon bestimmt, wie sich langsam aber sicher der Virus der Spitzenküche bei ihm festsetzte. Ziel aller Wünsche war es erst einmal, die damals weltweit noch völlig unumstrittenen, berühmten französischen Kochstars zu erleben und von ihnen zu lernen. Winkler und einige Freunde gaben buchstäblich jeden Pfennig für Reisen nach Frankreich aus, aßen bei Bocuse und Co., schliefen nicht (und schon gar nicht in Hotels) und fuhren wieder zurück an ihre Arbeit. Das Alles blieb natürlich nicht ohne Folgen. Winkler arbeitete weiter hart an seinen Kenntnissen und Fertigkeiten und konnte die Zeit seiner immer aus eigenem Antrieb betriebenen Studien schließlich mit einem Jahr bei Paul Bocuse abschließen. Dass er 1978 als Nachfolger von Eckart Witzigmann ins damals schon berühmte „Tantris“ ging, hat unmittelbar mit dieser Arbeit zu tun. Bocuse und andere wussten längst, dass sich mit Heinz Winkler ein geniales Talent auf den Weg gemacht hatte.

 

 

Noch eine Kleinigkeit zum Thema Bocuse. Was in Deutschland immer noch nicht so recht bekannt ist, ist die enge Verbindung zwischen dem Großmeister und seinem hochtalentierten Schüler. Ein großer Teil dessen, was Bocuse in Deutschland erreicht hat (und er wurde in den 70er und frühe 80er Jahren hier sehr groß) entstand auf der Basis von Rezepten, die zu einem beträchtlichen Teil durch die Hand von Heinz Winkler gingen. Wer in Deutschland erschienene Bocuse-Bücher durchblättert und die Handschrift Winklers kennt, wird das sofort feststellen.

1981 erhielt Winkler im Tantris den dritten Michelin-Stern – parallel mit Herbert Schönberner vom „Goldenen Pflug“ in Köln war er nach Witzigmann erst der zweite Koch, der in Deutschland diese Ehrung erfuhr. Die Sterne kamen und gingen und kamen. Als er 1991 seine „Residenz“ in Aschau eröffnete, gab es erst einmal nur zwei, dann wieder drei, die dann nur zwei Jahre blieben, aber 2001 noch einmal für 7 Jahre wiederkamen. Winkler hat die Abstufungen, die ihn als einen Koch, der das Michelin-System alter Schule völlig verinnerlicht hat, schwer trafen, nie ganz verwunden, sich aber sozusagen in den Zuständen eingerichtet. Als selbstbewußter Koch, der er mittlerweile geworden war, hatte er bei den Führern neben Freunden auch immer kritische Begleiter. Seine Bewertungen, die sich dann gegen Ende seines Lebens deutlich von denen seiner Hochzeiten unterschieden, lassen Bewertungssysteme, bei denen für solche Kochlegenden keine Punkte und Sterne mehr vergeben werden, sondern in denen sie als „Legenden“ o.ä. gekennzeichnet werden, sehr verständlich erscheinen. Natürlich zählt immer die Momentaufnahme. Aber ob sie wirklich – siehe in der Einleitung – das Besondere vollständig erfasst, darf bezweifelt werden.

Ein ganz spezieller Punkt, den man aus seiner Biographie verstehen muss, war immer das Verhältnis zu dem, was er schon mal „Hotelköche“ nannte. Winkler war sehr stolz darauf, dass er für den Kauf und den Ausbau seiner „Residenz“ von der Bank eine Menge Geld bekommen hat, und das sozusagen nur wegen seiner Fähigkeiten und nicht wegen Eigenkapital oder sonstiger Sicherheiten. Als er den hohen Kredit schneller zurückzahlen konnte, als das vorgesehen war, war er besonders stolz darauf. „Hotelköche“ sind für ihn (und natürlich auch für andere selbstständige Köche) Köche, die nicht darauf achten müssen, dass sie mit ihrer Arbeit Geld verdienen. Bergeweise weiße Trüffel über eine Kastaniencreme geben – so einmal eines seiner Beispiele – konnte er sich unter wirtschaftlichen Aspekten nicht erlauben – während die „Hotelköche“ dafür gefeiert wurden.

Aber – lassen wir das. Ich habe bei Heinz Winkler oft hervorragend gegessen und dabei nicht nur erlebt, welche ganz spezielle Stimmung ein „Grande Maison“ mit zwei gefüllten Sälen haben kann, sondern vor allem immer das Gefühl gehabt, hier weiß jemand ganz genau, wie hervorragende Küche funktioniert, wie leicht sie sein muss, wie intensiv und wie entspannt. Heinz Winkler gehörte unbedingt zu den Köchen, die man besucht haben musste und die vor allem jeder junge Koch besuchen haben sollte. Ich habe viel über ihn geschrieben, es gab immer viel über ihn zu schreiben, erst recht dann, wenn man sich einmal in Ruhe mit ihm zurückzog und Gott und die kulinarische Welt einmal gründlich vorbeiziehen ließ. Seine Meinung war oft pointiert und oft anders als meine, aber das machte gar nichts, weil er zu den Leuten gehörte, bei denen man unbedingt genau zuhören sollte. Und – was seine Arbeit angeht, muss man sich einmal vorstellen, dass er fast 60 Jahre in der Küche gestanden hat, dass er ein Arbeitsleben hatte, das jede Kategorie sprengte und in dem die „Work-Life-Balance“ schon deshalb nicht existiere, weil Beides das Gleiche war.

Und wie das so ist, muss auch ich nach seinem plötzlichen Tod zerknirscht dastehen und mir Versäumnisse vorwerfen, ein Verschieben von Terminen, das leider übliche Verfahren. Ich wollte für eine Dokumentation der besten und wichtigsten Gerichte, die bei uns je entstanden sind, bei ihm ganz präzise Details seiner geschmacklichen und kochtechnischen Fähigkeiten erforschen und dokumentieren, so, wie man sie nur dokumentieren kann, wenn man in enger, persönlicher Zusammenarbeit das Entstehen kulinarischer Meisterwerke erforscht. Nicht zuletzt wollte ich ihm auch noch einmal sagen, für wie großartig ich seine Arbeit halte.

Heinz Winkler wird nun etwas Ruhe finden. Ich werde mich dafür einsetzen, dass seine Arbeit nicht nur in Erinnerung bleibt, sondern auch ihren verdienten Platz in der Geschichte der Kochkunst bekommt.

19 Gedanken zu „Heinz Winkler 1949 – 2022. Ein Nachruf“

  1. Ich finde es sehr respektvoll, dass sich auch zwei gestandene Sterneköche (Hans-Peter Wodarz und Stefan Neugebauer) für diesen Nachruf zum Tode von Heinz Winkler bei Jürgen Dollase bedanken. Wie würdevoll sowie voller Anerkennung und Demut sich gerade Stefan Neugebauer im Detail äußert imponiert mir sehr. Das bestätigt in der Tat den Ausnahmerang desjenigen, der nun von uns gegangen ist.

    Ruhe in Frieden, Heinz Winkler.

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  2. Lieber Herr Dollase
    Wir waren mit Heinz Winkler über 30 Jahre eng befreundet.Ihr Nachruf ist
    wunderbar geschrieben.
    Herzlichen Dank !
    Heinz und seine Küche werden uns sehr fehlen.
    Albert und Silvia

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  3. Danke für diesen großartigen Nachruf.
    Als seine Biografin habe ich mich intensiv mit seinem Lebenswerk auseinandergesetzt und als langjährige Genussfreundin mit seiner Küche und mit seiner Kochkunst. Es war mir seit vielen Jahren immer ein besonderes Vergnügen und ich hoffe, dass sein Vermächtnis nicht nur von Freunden sondern auch von der Presse in Ehren gehalten werden wird.

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  4. Lieber Herr Dollase,
    vielen Dank für die wunderschönen Worte über Heinz Winkler. Sicherlich wird er sie mit einem Augenzwinkern zur Kenntnis nehmen. Der Großmeister wird immer ein Vorbild sein und hoffentlich für viele junge Köche eine Inspirationsquelle bleiben. Gerade was Geschmacksbilder und das pointierte Abschmecken betrifft war er Weltklasse. Mit seiner Küche war es noch möglich 120 Gäste am Abend auf drei Sterne Niveau zu verwöhnen. Leider ist das heute sehr selten zu sehen, da viele Gerichte hierfür nicht konzipiert sind und im Gegensatz zur Winkler Küche sehr verkopft wirken. Ich freue mich sehr, das ich das in seiner Küche erleben durfte und wünsche der Familie viel Kraft und den festen Willen an Erinnerungen.
    Stefan Neugebauer mit einem lauten „oui Chef“

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  5. Wir sind tief berührt vom Tod des Heinz Winkler Danke für den großartigen Nachruf.Wir verbrachten viele Weihnachtsabende in der Residenz und die werden jetzt durch sein Ableben in unseren Erinnerungen tief verankert bleiben.Wir wünschen den ganzen Familienmitgliedern u der Crew viel Kraft dass sie sein Lebenswerk fortsetzen mögen

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  6. Herr Dollase, dieser Artikel hat den Nagel sehr auf den Kopf getroffen. Heinz Winkler war mein Onkel und ich habe das Qualitaetsverstaendnis und Business Ethics von Ihm gelernt. Er war zu jeder Zeit ein zuverlaessiger Geschaeftsmann mit allem was dazu gehoert. Ich erinnere mich noch gut als ich meine Lehre in Muenchen gemacht habe und bei meinen Servicefahrten im Hintereingang vom Tantris mein Gourmet-Baguette mit den besten Zutaten abgeholt habe…was immer er gemacht hatte war immer 100%…nachdem ich meinen Vater (den Bruder von Heinz Winkler) im July verloren hatte ist nun auch mein Onkel von uns gegangen.

    Alles Gute Heinz von Markus (BC Kanada)

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  7. Es ist mir eine Ehre, Heinz Winkler persönlich gekannt zu habe. Bei verschiedenen Gelegenheiten haben wir uns getroffen. Höhepunkt mit ihm eine einwöchige Reise in die Champagne in einer kleinen Gruppe vor 25 Jahren. Da ich als einziger französisch sprach, setzte mich Winkler immer bei den Essen an die Seite der Gutsbesitzer. Das war toll. Später auch in Aschau vorbeigegangen, wo wir, meine Frau und ich, immer Spass hatten und uns wohl fühlten. Konnten in den Vergangenen Jahren nicht mehr viel reisen, denn ich bin jetzt 87ig. Die Erinnerungen sind noch da und Heinz möge in Frieden ruhen.

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  8. Großartiger Sensibler „ Heinz Winkler Nachruf“ Lieber verehrter Jürgen Dollase ! Meine Hochachtung und Danke für einen Der Ganz Großen Köche , Gastro – Unternehmer. & Hoteliers ! Chapeau

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