Lesen wie Gott in Frankreich

Bei der Frankfurter Buchmesse vom 11.–15. Oktober ist das besonders herausgestellte Gastland in diesem Jahr Frankreich. Ich persönlich freue mich schon auf eine Podiumsdiskussion mit Marc Haeberlin von der „Auberge de l’Ill“ auf dem Stand der Süddeutschen Zeitung. Hier in unserer Rubrik „Rezensionen“ möchte ich heute dringend daran erinnern, dass die französische Spitzenküche nach wie vor eine Menge zu bieten hat – auch wenn wir in Deutschland normalerweise wenig darüber erfahren und kaum jemals eines der vielen guten Bücher ins Deutsche übersetzt wird. Ich werde hier in Zukunft regelmäßig auch über die französischen Bücher berichten, die mittlerweile zumindest hin und wieder zweisprachig erscheinen. Heute geht es erst einmal um 7 der wichtigsten, besten und schönsten Bücher, die in der letzten Zeit erschienen sind und von denen der deutsche Leser üblicherweise nichts erfährt. Sie sind kulinarisch alle hochinteressant – egal, ob sie eher aus der klassischen oder der avantgardistischen Ecke stammen. Außerdem sind sie fast alle individuell und hochwertig gestaltet. Kochbücher von Spitzenköchen, die so „normal“ gestaltet sind, wie das hier zuletzt besprochene von Paul Stradner, gibt es in Frankreich quasi nicht.
Hier also die Liste mit ein paar Anmerkungen:

Kei KobayashiKei Kobayashi: Kei. Éditions Chêne 2016
In Frankreich gibt es jetzt eine ganze Reihe von meist aus Japan stammenden Köchen, die ihr Handwerk in den großen französischen Restaurants gelernt haben und die nun sozusagen zurückkommen und einen faszinierenden Stilmix aus japanischen und französischen Elementen anbieten. Kobayashis Restaurant ist in Paris, aber dieser Koch wird sich wohl schnell weiter ausbreiten – u.a. weil er das Zeug zum Popstar und zur Stil-Ikone hat. Wer das Buch sieht, wird sich die Augen reiben, mit welchem Engagement man hier auf einen so jungen Koch setzt.

Arnaud LallementArnaud Lallement/Louise Labourie: Emotions en Champagne. Éditions de La Martinière 2016
Der Drei Sterne-Koch vom Restaurant „L’Assiette Champenoise“ am Stadtrand von Reims gehört zum typisch französischen Großmeister-Nachwuchs. Die Gerichte sind luxuriös verfeinert, haben eine aufwändige Kochtechnik und am Ende meist Ergebnisse, wie wir sie in dieser Form außerhalb Frankreichs nicht finden. Mögliche Gründe dafür werde ich bei Gelegenheit einmal diskutieren. In diesem Buch geht es zur Hälfte um die Rezepte des Meisters, zur anderen Hälfte um die besten Champagner und ihre Produzenten.

Maxime et René MeilleurMaxime et René Meilleur: Les Meilleurs à La Bouitte. 3 Étoiles en Savoie. Glénat Èditions 2016
Das Restaurant „La Bouitte“ in den französischen Alpen gehört wahrscheinlich zu den französischen Drei Sterne-Adressen, die in Deutschland am wenigsten bekannt sind. Hier kochen Vater (René) und Sohn (Maxime) Meilleur, deren Name auch für das Wortspiel im Buchtitel verantwortlich ist. „Les Meilleurs à La Bouitte“ heißt übersetzt „Die Besten in La Bouitte“. Die alpine Küche hat in Frankreich spätestens seit Marc Veyrat einen hohen, ganz individuellen Stellenwert. Anders als Veyrat verbinden Vater und Sohn Meilleur Produktnähe und Regionalität mit einer eher klassischen Grundorientierung. Man findet großes Handwerk, das aber nie ins Dekorative abgleitet.

Alexandre GauthierAlexandre Gauthier: Alexandre Gauthier, cuisinier. La Grenouillère. Éditions de La Martinière 2014
Das einzige minimal ältere Buch dieser Liste möchte ich noch einmal erwähnen, weil es ein absolutes Muss für alle Hochinteressierten ist. Eine prachtvolle Ästhetik bei gleichzeitig maximaler Natürlichkeit durchzieht Alles, was Gauthier macht. Mittlerweile hat er ja auch einen zweiten Michelin-Stern bekommen, obwohl ihn viele Kenner (darunter eine ganze Reihe berühmter Kreativ-Kollegen) für einen der Allerbesten halten. So, wie hier im Norden Frankreichs Küche gedacht, gesehen und praktiziert wird, ist sie faszinierender als jede Großinszenierung in Pariser Palasthotels.

Eric Frechon Eric FrechonEric Frechon: Frechon. Éditions Solar 2016
Apropos „Palasthotels“. Ausgerechnet Eric Frechon, dessen Drei Sterne-Restaurant zum luxuriösen Hotel „Le Bristol“ gehört, hat neulich einmal gesagt, die Küche der Palasthotels hätte keine Zukunft mehr. Es fällt auf, dass sich Frechon in den letzten Jahren stark außerhalb der Luxusküche bewegt und mittlerweile verschiedene Etablissements im Brasseriebereich betreut (u.a. das „Lazare“ im gleichnamigen Bahnhof). In diesem Buch gibt es aber Palastküche pur, wie sie Frechon wie kaum ein anderer Koch in Paris beherrscht. Sie wirkt optisch manchmal etwas in die Jahre gekommen, weil man sich in diesen Sphären kaum jemals modisch-aktuell orientiert. Aber – sie schmeckt hervorragend, und der Weg zu diesem Geschmack ist den Rezepten präzise zu entnehmen.

Benallal Akrame Benallal AkrameBenallal Akrame: Instincts. Alain Ducasse Édition 2016
Wenn Alain Ducasse sich einmal nicht nur mit seinen eigenen Rezepten, nicht nur mit seinen Kochschulen oder seiner Serie „The Best Of“ beschäftigt, sondern sich mit einem großen Kochbuch bei einem jungen, aufstrebenden Koch engagiert, sagt das eine Menge. Der aus Algerien stammende Benallal Akrame ist einer der besten Kreativköche des Landes, der bei buchstäblichem jedem Rezept mit ungewöhnlichen Kombinationen aufwartet. Trotzdem hat man weder das Gefühl, einem Spanier, noch einem Südamerikaner und schon gar nicht einem Skandinavier bei der Arbeit zuzusehen. Will sagen: der Kern ist immer noch französisches Spitzenküchen-Verständnis, eine Art eingebundene Kreativität, die die Grundlagen des Faches nicht aus den Augen verliert – auch wenn es wahrlich oft so aussieht.

Alexandre CouillonAlexandre Couillon: Marine et végetale. Éditions de l’Épure 2016
Der aktuelle Koch des Jahres im wieder sehr interessanten französischen Gault Millau kocht im „La Marine“ auf der französischen Insel Noirmoutier. Sein Buch ist das kleinste und am wenigsten pompöse der genannten Bücher, aber es vermittelt ganz präzise und vor allem in vielen atmosphärischen Bildern exakt das glasklare Programm dieses zurückhaltenden Kochs. Ich werde dieses Buch später hier noch genauer vorstellen, weil es eine Art eigene französische Variante von radikaler Regionalität präsentiert, die man sich einmal genauer ansehen sollte.

Soweit diese kleine Liste, die Sie – gegebenenfalls – daran erinnern soll, was Sie möglicherweise verpassen können. Wer sich international einen Überblick verschaffen will, kann die Franzosen nie außen vor lassen – auch wenn sie in den „The World’s 50 Best Restaurants“ wegen des merkwürdigen Reglements nie so umfangreich vertreten sein können, wie sie es vielleicht verdient hätten.

2 Gedanken zu „Lesen wie Gott in Frankreich“

Schreibe einen Kommentar zu Walker Thebo Antworten abbrechen