Maison CF (Hrsg.): Refettorio. 37 Recettes Anti-Gaspi. Maison CF, Paris 2020, 220 S., Hardcover, Ganzleinen, 42 Euro (in französischer Sprache)

Ich möchte für dieses Buch und dieses Projekt einmal um Ihre ganz besondere Aufmerksamkeit bitten.

Koch-Weltstar Massimo Bottura von der „Osteria Francescana“ in Modena stammt aus einer kulturell gebildeten und aktiven Familie und hat selber vielfältige Interessen entwickelt. Vor allem aber hat er vor einigen Jahren mit seiner Frau eine Organisation namens „Food for Soul“ gegründet, die mittlerweile vier „Restaurants“ namens „Refettorio“ betreibt/initiiert hat. Ich habe das Wort „Restaurants“ absichtlich in Anführungszeichen gesetzt, weil es sich hier nicht um kommerzielle, sondern um wohltätige Einrichtungen handelt, in denen täglich für Bedürftige gekocht wird. Es gibt „Refettorios“ in Mailand (das war das erste, es heißt „Refettorio Ambrosiano“), in Rio de Janeiro, in London und seit 2018 auch in Paris. In diesem Buch geht es um das Refettorio in Paris, das sich in der Krypta der Kirche La Madeleine befindet.

Die erste Besonderheit ist, dass es sich um ein Projekt handelt, in das viele Spitzenköche eingebunden sind. In Paris gibt es jeden Abend 100 dreigängige Menüs. Seit der Eröffnung im März 2018 haben über 100 Gastköche mitgewirkt, ohne Honorar natürlich. Man kann sich über die Website des Refettorio dort bewerben – egal ob als Koch, der Rezeptideen liefert, als Koch, der eine zeitlang in der Küche arbeiten will, oder als sonstiger Unterstützer. Zur Eröffnung sind dort u.a. Alain Ducasse und Yannick Alléno angetreten. Mittlerweile ist die Liste der prominenten Mitwirkenden riesig. Sie reicht von Michel Troisgros über Jean-Francois Piège und Massimiliano Alajmo bis zum legendären Altmeister Olivier Roellinger aus Cancale. Mauro Colagreco war da, Pascal Barbot, Dominique Crenn aus Kalifornien und Daniel Humm aus New York. Die Liste ist unglaublich – verzeichnet allerdings keine deutsche Beteiligung.

Die nächste Besonderheit ist das, was dort kulinarisch passiert. Im Titel des Buches ist von „Anti-Gaspi“ die Rede, eine Abkürzung für „Anti-Gaspillage“, die Aktion gegen Verschwendung von Lebensmitteln durch nicht vollständige Nutzung oder durch Aussortieren aus optischen Gründen oder durch Wegwerfen wegen des oft unnötigen kurz ausgezeichneten Haltbarkeitsdatums. In den Refettorios wird mit diesem Material und diversen Spenden gekocht, und zwar nach Rezepturen, die die beteiligten Spitzenköche kreiert haben. Es handelt sich also nicht um eine „normale“ wohltätige Aktion, wie sie oft von Prominenten aus den üblichen Gründen gerne unterstützt wird (wobei man in der regel kurz auftaucht und dann wieder weg ist), sondern um eine Aktion, die von der Spitzenküche regelrecht getragen wird. Im Buch heißt es dazu:

„It offers a welcoming dinnertime food service to people in situations of social vulnerability, transforming surplus ingredients – that would otherwise be wasted – into delicious meals.”

Und, sehr wesentlich, O-Ton Bottura:
„Refettorio Paris is no a charity project, it’s a cultural one”.

So ist es. Es geht um eine kulinarische Kultur des Miteinander, die ganz anders strukturiert ist als die gerade bei uns noch so verbreiteten, einseitigen Klischees von „Luxusküche“ und „Luxusrestaurants“, die nie berücksichtigen, wie vielschichtig sich Esskultur entwickelt und dass die Köche häufig sehr viel bodenständiger sind, als dies in diesen Klischees vorgesehen ist.

Das Buch
Das Buch besteht im wesentlichen aus den Rezepten der Gerichte, die alle auf einem speziellen Teller mit dem Motiv darreichender Hände angerichtet sind. Dazu kommen Texte des jeweiligen Protagonisten – mal zu den Beweggründen, dann aber auch zu den jeweiligen Abläufen ihres Engagements und viele Bilder aus der Arbeit in der Küche. Die Wirkung dieser Gestaltung ist sehr gut, weil sie die KöchInnen in der Rolle zeigt, die sie auch sonst am häufigsten ausfüllen, nämlich bodenständige Arbeiter, die zwar weltberühmt sein mögen, in der Küche aber jeden Tag gefordert sind. Das läuft dann auch durchaus nicht bierernst und mit irgendeinem erhobenen Zeigefinger ab (und schon gar nicht irgendwie idelogisch). Man macht das, weil man es in vielerlei Beziehung für gut hält und findet, dass es eine gute Rolle für die besten Köche ist. Und – man muss das betonen – man arbeitet hier sehr gut zusammen.

Hier einige Rezept-Beispiele: Olivier Roellinger macht eine Bisque von Wollkrabben mit einem schönen Gewürzspiel. Sébastien Bras macht das, was auch mit einfachsten Zutaten immer einen sehr guten Effekt bringt, nämlich eine sensorisch aktivierte Variation – hier mit „Blumenkohl in allen seinen Zuständen, angesäuerte Crème und Apfel“. Von Romain Meder vom „Plaza Athénee“ (dem executive Chef von Ducasse) stammt „Lauch, Filets von Geflügel oder Makrele mit wachsweichen Eiern“. Ghislaine Arabian glänzt mit einem süffig aussehenden, gefüllten Kohl mit allen möglichen Fleischresten. Vom begnadeten Fischkoch Alexandre Couillon kommt dieses Mal eine „Crème von Kürbis und Endivien mit Trockenfrüchten“, von Michel und César Troisgros ein Putencurry „Refettorio“, das keineswegs irgendwie besonders verkürzt, sondern sehr gut elaboriert aussieht. Es geht hier eben nicht darum, möglichst einfach zu arbeiten, sondern aus einfachen Dingen etwas möglichst Gutes zu produzieren. Von Régis Marcon gibt es ein „Gratin von Broccoli und geräucherter Forelle mit Mandeln“. Bottura nimmt ein Rezept seiner Großmutter Ancella, nämlich Passatelli, minimalistisch aufgebaut wie viele seiner Pasta-Rezepte. Pascal Barbot kommt ganz radikal mit einer „Suppe von verbranntem Brot“, die mit Gemüse und Aromen erheblich an Kontur gewinnt. Selbst Pierre Hermé schafft es, sich unter diesen Umständen auf ein „Diplomate aux fruits“ zu konzentrieren, trickreich inszeniert, anders kann man das nicht sagen.

Fazit
Das Buch kann man natürlich überhaupt nicht irgendwie negativ sehen, weil der Anlass einfach grandios ist und überall auf der Welt Nachahmer finden sollte. Ganz davon abgesehen ist die kulinarische Aufgabe aber ebenfalls sehr interessant. Man muss in die Tiefe gehen, man muss Ideen haben und man muss davon wegkommen, dass „das Produkt der Star“ ist und dass es „ohne Spitzenprodukte keine Spitzenküche gibt“ – zumindest ein gutes Stück weit. Viele Köche sind der Meinung, dass man mit jedem einwandfreien Produkt, also auch den einfachsten und billigsten, gute Gerichte machen kann. Hier ist die Probe aufs Exempel, und sie fällt gut aus.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

P.S. Das Konzept erinnert mich ein wenig an mein „Monasterio“ – Konzept, das ich im Jahre 2014 in meinem Buch „Himmel und Erde“ ausführlich vorgestellt habe. Ich erwähne das hier nicht deshalb, weil es eine Konkurrenz wäre, sondern weil es in Richtung einer kulinarischen „Arte Povera“ gedacht ist, also extrem einfach und gut, aber ganz auf den Punkt, schmucklos angerichtet in schmucklos-zen-orientierter Atmosphäre. Auch bei „Monasterio“ ist der Hintergrund eine Anti-Verschwendung und vor allem eine Konzentration auf das Wesentliche in einer Form, die es bisher kaum irgendwo gibt.

Fotos © Maison CF, Paris

1 Gedanke zu „Maison CF (Hrsg.): Refettorio. 37 Recettes Anti-Gaspi. Maison CF, Paris 2020, 220 S., Hardcover, Ganzleinen, 42 Euro (in französischer Sprache)“

  1. Ich möchte als kleine Ergänzung nur auf das Buch „Il Pane è oro“ von Massimo Bottura & Friends verweisen (ISBN 978-88-6722-327-5), dass bereits 2017 erschienen ist, und dass das Konzept Konzept des ‚Refettori Ambrosiano‘ in Mailand dokumentier, bei dem zum ersten Mal 50 Sterne-Köche und Köchinnen aus der ganzen Welt (aber nicht aus Deutschland) jeweils einen Woche mit den Zutaten gekocht haben, was in Läden nicht mehr verkaufbar ist. Im Untertitel heißt es ‚Ingredienti ordinari per Piatti straordinari‘, und der Titel bezieht sich auf einen Satz der Mutter, die sagte Bot ist Gold, das wirft man nicht weg. Auch wenn es alt ist kann man damit noch etwas machen.

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