Nelson Müller und ein unnötiges Buch

Nelson Müller Heimatliebe Nelson Müller: Heimatliebe. Meine deutsche Küche. Dorling Kindersley Verlag, München 2019. 240 S., geb., 25,70 Euro

Nun kommt auch Nelson Müller mit einem Heimat-Kochbuch auf den Markt. Das Thema ist nicht neu. Normalerweise haben sich früher die Autoren in ihren Titeln aber immer auf „Deutsche Klassiker“ oder „Die besten deutschen Rezepte“ etc. beschränkt. Die Verknüpfung mit viel „Heimat“ (und ähnlichen Begriffen) kam erst später. Zum Beispiel bei:

– Birgit Hamm/Linn Schmidt: Heimweh-Küche. Lieblingsessen aus Omas Küche. Dorling Kindersley Verlag, München 2010

– Jörg Steinleitner: Heimat auf dem Teller. Heimische Produzenten – Ehrliche Produkte – Schmackhafte Rezepte. Culinaris Verlag, München 2012

– Tim Mälzer: Heimat. Kochbuch. Mosaik/Wilhelm Goldmann Verlag, München 2014

– ARD- Buffet: Heimatküche. ZS Verlag, München 2017

Es fällt sofort auf, dass ein Begriff wie „Regionalküche“ oder „Norddeutsche Küche“ im Vergleich zu „Heimatküche“ geradezu wissenschaftlich neutral wirkt und gut und eindeutig funktioniert. Es geht um die Küche, die sich aufgrund der vorhandenen Produkte in einer Gegend entwickelt hat, die zu den Traditionen einer Gegend zählt und insofern häufig eine feste Verankerung im kulinarischen Gedächtnis derer hat, die in dieser Region groß geworden sind – vorausgesetzt, bei ihnen wurde zu Hause auch so gekocht oder sie hatten über die Gastronomie Kontakt mit diesen Traditionen.

Die Verknüpfung mit „Heimat“ ist etwas anderes. Dazu hier ein Satz, den ich neulich auf einer Tafel in einem Devotionaliengeschäft im Wallfahrtsort Kevelaer am Niederrhein gelesen habe. Er lautet: „Zuhause ist kein Ort sondern ein Gefühl“. Man könnte für „Zuhause“ gut auch „Heimat“ einsetzen. Und weil sich dieses Gefühl natürlich dann auch überall einstellen kann, ist „Heimat“ überall und nirgends. Für den einen ein alter, einsam gelegener Bauernhof, für den anderen (…für sehr viele andere) die Großstadt mit Discountern und Ethno-Läden um die Ecke.
Natürlich kann man traditionelle deutsche Gerichte sinnvoll zusammenfassen, optimieren oder interpretieren – was auch immer. An sie aber den Begriff „Heimat“ zu pappen ist schlicht unlogisch und trägt nicht.

Warum macht man es trotzdem? Natürlich aus kommerziellen Gründen. Nelson Müller war auch schon vegetarisch unterwegs und ganz allgemein haben bekannte TV-Köche die Angewohnheit, sich in allen möglichen Bereichen käuflich zu machen. Das kennen wir seit langer Zeit. Authentisch sind sie dabei eher selten – auch wenn sie anlässlich der Vorstellung des jeweiligen Produktes regelmäßig einen solchen Eindruck erwecken. Sollte man also bei Nelson Müller schnell zur Tagesordnung übergehen und das Ganze einfach ignorieren? Nein. Dazu ist das Buch einfach zu schlecht.

Könnte ein Buch wie „Heimat“ nicht wenigstens ein gutes handwerkliches Niveau haben?
In diesem Müller-Buch gibt es viele handwerkliche Ungenauigkeiten, die es für einen Leser, der nicht selber automatisch Rezepte so korrigiert, wie er das für richtig hält, wenig sinnvoll machen. Man stolpert quasi bei jedem Rezept über zu ungenaue Informationen oder über eine Art von Küche, die viele Grundsätze der Kochkunst missachtet. Beim Spargelrezept etwa fehlt jede Angabe zur Dicke der Stangen. Wenn sie ungleichmäßig sind, garen sie ungleichmäßig schnell. Dazu gibt es keine Angaben zu einem Gartest, sondern nur die Angabe einer Kochzeit von „12–15 Minuten“. Dass Spargel in wenig Wasser sehr viel besser wird, weil nicht so viel Spargelaroma abhanden kommt, hat sich ebenfalls noch nicht bis zu Müller rumgesprochen. Die Garzeiten sind häufig ungenau. Der „Oberbayerische Seesaibling“ bekommt bei 70° „etwa 30 Minuten“ (als Filet). Es gibt kein Wort zum gewünschten Gargrad, der ja zwischen knapper Garung mit einer Kerntemperatur von knapp unter 40° bis zu völlig fest-durchgegart variieren könnte. Eine dicke Kräuterkruste mit krossen Bröseln auf den feinen Fisch zu geben, gehört eher ins Museum als in ein Buch, das den Anspruch hat, das Wissen eines Sternekochs für seine Varianten von „Heimatküche“ zu nutzen.

Gleichzeitig versucht Nelson Müller immer wieder, der „Heimatküche“ ihre Bodenständigkeit auszutreiben – sie also in einen Zustand zu versetzen, die mit der Tradition häufig wenig zu tun hat. Selbst das „Spargelcremesüppchen“ oder die „Holsteinische Kartoffelsuppe“ werden gründlich verkompliziert und entfernen sich dabei wg. allerlei Zutaten deutlich vom eigentlichen Produktgeschmack. Das erinnert ein wenig an „Essen wie Gott in Deutschland“, bei dem in den 80er Jahren die Köche voller Begeisterung über die neu erlernte französische Spitzenküche vielen deutschen Traditions-Rezepten komplett die kulinarische Seele entnommen haben. Ob die erinnerte „Heimatküche“ im Falle vom „Leipziger Allerlei“ wirklich etwas mit frischen (und teuren) Morcheln zu tun hat, darf man bezweifeln. Insofern kann man dann auch wieder Entwarnung geben: ein Schulterschluss der populistischen Art über den Begriff „Heimat“ ist hier nicht zu befürchten.

Fazit
Das Buch hat nicht nur ein unlogisches Konzept, sondern auch einen Inhalt, der bestenfalls für ein paar Hobbyköche mit enger Nelson Müller-Bindung von Interesse sein dürfte. Die immer noch bei weitem nicht wirklich umfassend reflektierte deutsche Regionalküche wird mit diesen Rezepten nicht weiterkommen, dazu sind sie oft zu sehr geschönt. Die Verknüpfung mit dem ja nun wirklich komplex besetzten Begriff „Heimat“ in diesem Buch ist weitestgehend unreflektiert und besetzt bestenfalls alte Klischees. Was ist mit den Millionen, die außer Pizza, Pasta und Burgern nie etwas anderes gegessen haben? Können sie über ein solches, offensichtlich an älteren Herrschaften gerichtetes Buch Geschmack an einer „Heimat“ finden, die nicht ihre ist? Es ist bedauerlich, dass Nelson Müller, der auch mit seinen TV-Tests bisweilen viel Unheil anrichtet, sich immer weiter in merkwürdigen Projekten verstrickt.

Das Buch bekommt 2 rote BB

Fotos © Dorling Kindersley

6 Gedanken zu „Nelson Müller und ein unnötiges Buch“

  1. Eine Kritik bleibt eine Kritik, ob sie dem Leser passt oder auch nicht. So wie Müller das Recht hat beliebige Bücher zu schreiben, so hat der Kritiker das Recht seine Meinung zu verlautbaren. Gefallen muss mir beides nicht.

    Sollte das Buch tatsächlich Ungenauigkeiten enthalten, so ist das mehr als ärgerlich. Für unerfahrene Hobbyköche hat der Spaß schnell ein Ende, wenn das dritte Gericht wieder nicht geklappt hat. Zudem finde ich Komplikationen im Rezept unsinnig, wenn sie keine deutlichen Qualitätssprünge bringen.

    Den Hinweis auf die Fernsehsendungen im Testformat kann ich nur unterstreichen. Die getroffenen Aussagen in diesen Sendungen sind komplett subjektiv und stiften daher Schaden, da die Beurteilung durch eine qualitative Einstufung vorgenommen wird. Nur eine Aussage kann daraus leider nicht abgeleitet werden. Wieviel schlechter sind zwei Sterne zu vier Sternen? Halb so gut oder gar nicht mehr gut. Das weiß keiner und es wird auch nicht verraten. Schade.

    Pluspunkt bleibt, dass Müller halt sympathisch ist und diese Sympathioe auch gut in den Vordergrund bringt – das reicht für ein Kochbuch leider nicht.

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  2. Nelson Müller schreibt ja von „Meine deutsche Küche“, also von seiner, dies sei hier eingeworfen.
    Lass fünf Köche einen Handkäs‘ mit Musik machen und jeder wird anders schmecken und jeder wird behaupten, das seiner der „ultimative“ Hessische Handkäs sei.
    Ich finde, da wird oft und viel „Haarspalterei“ betrieben, damit man auch hinterher eines in der Suppe findet.
    Wer schreibt denn nun das ultimative Heimatkochbuch?
    Ich hab auch noch eines im Regal „Meine bayerische Küche“ vom Alfons.

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  3. Nelson Müller schreibt ja von „Meine deutsche Küche“, also von seiner, dies sei hier eingeworfen.
    Lass fünf Köche einen Handkäs‘ mit Musik machen und jeder wird anders schmecken und jeder wird behaupten, das seiner der „ultimative“ Hessische Handkäs sei.
    Richtig ist, dass
    Ich finde, da wird oft und viel „Haarspalterei“ betrieben, damit man auch hinterher eines in der Suppe findet.
    Wer schreibt denn nun das ultimative Heimatkochbuch?
    Ich hab auch noch eines im Regal „Meine bayerische Küche“ vom Alfons.

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