Optimierung der Regionalküche: von unten oder von oben?

Die Lektüre von „Basque“, dem hochinteressanten Buch von Pascal Arcé vom Hotel und Restaurant „Arcé“ in St.-Étienne-de-Baigorry im französischen Teil des Baskenlandes, führt sehr schnell zu einer grundsätzlichen Frage. Vielleicht erinnern Sie sich an meine Rezension des Buchs „Alsace“ von Gérard Goetz. Ich habe mich über die ursprüngliche, durch und durch sinnliche Kraft der Rezepte gewundert, die manchmal wie aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen – jedenfalls einer Zeit, die weder Bedenken vor Kalorien, noch vor Butter, Sahne, Trüffeln und Foie gras hat. Das Buch hat heutzutage fast eine archaische Andersartigkeit, ohne dass an der ganzen Sache Irgendetwas verkrampft oder forciert wirkt. „Authentizität“ ist das Wort, das man damit verbindet, und es hat Gewicht, weil es mittlerweile auch wie ein kleiner Vorwurf in Richtung diverser Modernisierungen der Regionalküche wirkt, die von Leuten betrieben werden, die oft genug nur die Oberfläche sehen und die geschmacklichen (und auch psychologischen) Aspekte einfach nicht begreifen.
Diese Bearbeitungen „von außen“ führen dann schnell auch zu der Feststellung, dass es Optimierungen „von unten“ und solche „von oben“ gibt – gewachsene, optimierte Küchen aus traditionsreichen Häusern, die teilweise schon seit vielen Jahrzehnten existieren, und „Optimierungen“ oder Interpretationen von guten Köchen, die das Potential der Regionalküchen erkennen und ihre individuellen Varianten dazu entwickeln. Beide können sehr gut sein, aber man sollte vor allem die Optimierungen „von unten“ nicht unterbewerten, weil sie in der Regel sehr viel breitenwirksamer mit dem assoziativen Kontext arbeiten.

Hier erst einmal der Titel des Buches:

Pascal Arcé/Louis Laurent Grandadam (Fotos)/Pierrick Jégu (Texte): Basque. Une virée gastronomique entre mer et montagne. 100 recettes autour des produits du terroir. Éditions de La Martinière, Paris 2021. 408 S., geb., Hardcover, 45 Euro (in französischer Sprache)

Das Buch stammt übrigens aus dem gleichen Verlag wie das von Gérard Goetz. Man hat dort offensichtlich erkannt, wie wichtig – und vermutlich auch kommerziell sinnvoll – es ist, Institutionen der Regionalküche intensiv zu fördern. Glücklicherweise neigt man in Frankreich kaum jemals dazu, das Kulinarisch-Rustikale irgendwie volkstümlich zu inszenieren. Es scheint hier ganz selbstverständlich, dass die Bilder seriös und bodenständig sind, gleichzeitig aber auch immer voller Atmosphäre. Nur – diese Atmosphäre wird eben nicht inszeniert oder irgendwie verkitscht, sondern man beobachtet und berichtet. Die in Deutschland bisweilen anzutreffende Vollkitsch-Version regionaler Küche mit Begleitung von volkstümlicher Musik ist davon Welten entfernt.

 

Unter der Überschrift „La Maison Arcé – un ‚nulle part ailleurs‘“ (also etwa: einmalig, im Sinne von „so etwas gibt es sonst nirgendwo“ wird kurz über den Familienbetrieb berichtet, der seit 1864 existiert und viele Rezepte weitgehend unverändert durch die Zeiten gebracht hat. Sehen Sie sich einmal die Website an und vor allem die Speisekarte und erst recht die Preise für das Essen: se sind quasi so wie in jedem normalen Restaurant. Der Aufbau des Buches folgt unterschiedlichen Aspekten. Zuerst geht es um „Kalb, Kühe und Schweine“, ein Schwerpunkt in dieser fleischlastigen Region in den Bergen. Schon das erste Rezept, „Araignée de porc aux pignons de pin“ genannt, zeigt einen speziellen Cut, ein Fettgewebe zwischen Ober- und Unterschale, das flach geschnitten und nur sehr kurz gebraten wird. Die Kalbsnieren werden mit Spiegelei kombiniert, das gegrillte Rinderkotelett mit einem baskischen Blauschimmelkäse und die gegrillten Schweinsfüße mit gefüllten Chipirons. Blutwurst spielt oft eine Rolle, den Kalbskopf gibt es mit einer Vinaigrette nach Art der Sauce Gribiche und noch vom Vater des Chefs erfunden, es gibt Kohl mit Schweinsfuss-Füllung oder mit Pflaumen gefülltes Kaninchen plus grüne Bohnen und Bauchspeck. Das Bild ist klar und rustikal, die Rezepte sind kurz und setzen mehr auf gute Akkorde, die sich mit den typisch baskischen Grundaromen schnell erzeugen lassen.

Kapitel zwei hat den Titel „Brust oder Keule“, was uns zum Beispiel auch einmal wieder Drosseln bringt und allgemein einen eher rustikalen Zugriff auf das Geflügel. Es folgt „Zwischen zwei Wassern“, was das nicht sehr weit entfernte Meer und die Flüsse der Region meint. Auch hier sieht man konsequent einen Zugriff, der kräftige Aromen und gute Dosierung verbindet. Die Gambas kommen mit Schafskäse, es gibt frittierten Fisch nach spanischer Art, mit einer Eihülle wie in Norddeutschland, dann aber komplett anders weitergedacht. Der Seeteufel mit Bauchspeckhülle hat nur Grenailles mit gerösteter Schale als Begleitung, und natürlich gibt es auch Chorizo zum Fisch.

Es folgt eine kurze Gemüseabteilung und dann das Kapitel mit den Klassikern de Region. Txangurro ist dabei, die recht heftig zubereitete Meerspinne, gefüllte Piquillos, Huhn nach baskischer Art, Eintöpfe und die baskische Paella, die in etwa alles beinhaltet, was in dieser Gegend zur Verfügung steht. Der „Merlu Koskera“ etwa wird sicher gut schmecken, sieht in angerichteter Form irgendwie nach Verkehrsunfall aus… Zum Abschluss folgen Desserts und einige Tapas, die hier nicht mehr als kleine Snacks sind, eher wie in der einfachen Gastronomie und keineswegs weiter ausgebaut. Zwischen den Rezepten finden sich dann immer wieder Seiten mit Berichten zu Lieferanten, zu Produkten und zum Brauchtum der Gegend, also auch zum Beispiel zu Pelota und den diversen Volksfesten (das berühmte spanische Pamplona ist schließlich nicht weit entfernt.

Fazit
Auch dieses Buch macht – ähnlich wie das von Gérard Goetz – sehr viel Vergnügen, weil man bei der Lektüre in einen kulinarischen Modus kommen kann, der ebenso viel Appetit macht wie die kreative Phantasie anregt. An Goetz reicht es dennoch nicht ganz heran, weil dessen „Wucht“ kaum zu erreichen ist. Es ist für uns in Deutschland immer wieder erstaunlich, wie „gesund“ man in anderen Ländern mit der Regionalküche umgeht, und mit welcher Kraft sie sich durch die Zeiten gehalten hat. Diese hier von Pascal Arcé (der auch noch zu allem Überfluss geradezu schlank aussieht) ist sehr selbstbewußt und zeigt einfach keine Schwächen, wie sie – siehe oben – so schnell zu finden sind, wenn jemand versucht, Klassiker einer Region irgendwie „aufzupeppen“. Von der Moderne aus gesehen findet man hier klassisch-baskische Geschmacksbilder, die den eigenen Gedanken um neue Rezepte oder Inspirationen natürlich jederzeit eine ganze, breite Palette hinzufügen können. Für den Übertrag auf unsere eigene Regionalküche lernt man hier vor allem drei Dinge: gute Produkte einsetzen, Klarheit in allen Punkten anstreben und darauf vertrauen, dass man weder Teller-Dekorationen noch irgendwelche aromatischen „Dekorationen“ braucht, wenn man die Dinge wirklich auf den Punkt bringt.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

 

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