Peru – das südamerikanische Küchenwunder?

Wie aus heiterem Himmel wird ganz plötzlich in jedem Restaurant Ceviche serviert. Gleichzeitig wird Quinoa in Riegeln, Burgern, Reismischungen und unzähligen anderen Fertiggerichten angeboten. Zeitgleich wird die Weltrangliste der besten Restaurants von südamerikanischen Restaurants überflutet.

Federführend dabei die Restaurants aus Peru. Aber auch aus Argentinien und Chile hört man wundersame Geschichten über unvergleichlich hochwertige Küchenleistung. Schnell wurde die Phrase des „südamerikanischen Küchenwunders“ erfunden und gerne und breit allerorten wiederholt.

Wiederum zeitgleich stärkte sich das Selbstbewusstsein der deutschen Köche der gehobenen Küche über die wiederentdeckte Regionalität. Es war plötzlich nicht mehr altbacken, Rouladen und Grünkohl auf die Karte zu schreiben. Sie mussten nur gut sein und das Grundprodukt oder das Rezept sollten aus der Region stammen.

Tatsächlich hat sich Deutschland durch diesen Sinneswandel von einem weißen Fleck auf der internationalen Landkarte in einen, wenn auch noch nicht sehr hell leuchtenden, „Place to go“ verwandelt.

Place to go oder Küchenwunder
Hierbei müssen wir zwischen „Place to go“ und „Küchenwunder“ unterscheiden. „Place to go“ ist ein Insidertipp. Ein Platz, der für wenig Geld eine verdammt hohe Leistung und Qualität bringt. Das Küchenwunder hingegen ist anderweitig manifestiert. Man war noch nie da und wird auch nie dorthin fahren, aber die Foodprofis und Restaurantführer diese Welt bestätigen es und dann wird das wohl auch so sein.

Genau mit diesem Wissen und unter diesen Voraussetzungen starteten wir unsere Reise. Unser Ziel war es herauszufinden, was den Unterschied in Qualität und Service ausmacht, der begründet, dass Südamerika, in den Weltranglisten, soweit über Deutschland steht. In der vorgestern veröffentlichten Liste „The World’s 50 Best Restaurants“ zum Beispiel belegt Peru wiederum Top-Platzierungen mit dem „Central“, dem „Maido“ und dem „Astrid y Gastón“ auf den Plätzen sechs, sieben und 39. Sehr bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass das bestbewertete deutsche Restaurant, das Restaurant Tim Raue in Berlin auf  Platz 37 und das Zweithöchstbewertete (Vendôme, Bergisch Gladbach) auf Platz 66 in dieser Liste angesiedelt ist.

Um uns zu akklimatisieren, starteten wir unsere Reise in Brasilien um dann über Argentinien und Chile nach Peru zu gelangen. Als wir in Lima landeten, hatten wir bereits in 10 der 50 besten Restaurants Südamerikas gegessen und jedes Mal das große Menü bestellt. Wir aßen jedoch immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass das alles nur das Vorspiel zu dem wahren und wirklichen Küchenwunder ist, was sich ja fraglos in Lima in Peru zutragen soll. So hatten wir bereits Monate im Voraus und unter Zuhilfenahme aller unserer Kontakte in den drei oben genannten Restaurants an drei hintereinander folgenden Tagen jeweils einen Tisch reserviert.

Liegt es an den Rohstoffen?
Auf der Reise nach Peru durften wir schon lernen, dass die Rohstoffe sehr gut sind. Besonders der Fisch in Chile mit seiner ewig langen Küstenlinie und das Fleisch in Argentinien. Die Beilagenauswahl war jedoch überall sehr überschaubar. Eine hohe Konzentration lag auf Mais und Kartoffeln, die immer wieder und immer wieder anders in mehreren Gängen der Menüs serviert wurden.

Das erste Restaurant in Lima, das wir besuchten, war das Central, dessen Inhaber Virgilio Martínez der absolute Superstar unter den peruanischen Köchen ist. Vor dem Besuch in seinem Restaurant in Lima besuchten wir ihn aber noch in seinem Zweitrestaurant Mil in der Nähe von Cusco im peruanischen Hochland.

Oder liegt es an Kartoffeln und Mais?
Schon hier wurde uns klar, dass Virgilio Martínez kein Koch, sondern ein kochender Wissenschaftler ist, der vier oder fünf grundverschiedene Ebenen der Kulinarik unter einen Hut bringt. Zum einen die Regionalität, die für ihn das A und O ist, zum anderen die Altitude, also die Höhe über dem Meeresspiegel. Er ist fasziniert von den Eigenschaften ein und derselben Pflanze, die in unterschiedlicher Höhe angebaut werden. Da dort die Baumgrenze erst bei 4500 Metern liegt, hat er auch ausreichend Spielraum dafür. Das dritte ist die Vielfalt einer einzigen Pflanze. So gibt es in Peru tausende verschiedener Kartoffelsorten und abertausende Maissorten, die dann wiederum aus verschiedenen Anbauhöhen stammen. In seiner vierten Vorliebe, der Textur, entwickelt er unzählige Methoden für jedes Lebensmittel die perfekte Textur zu finden. Er demonstrierte das im Mil am Beispiel von Kartoffeln aus 1000 Metern und 3000 Metern Anbauhöhe in verschiedenen Texturen.

Virgilio Martínez
Virgilio Martínez, Central

Central vs. Vendôme
Das Ergebnis machte neugierig auf das bevorstehende Ereignis im Restaurant Central. Wir bekamen genau das, was wir erwartet hatten. Ein superregionales Menü, bei dem hinter jedem Gang die Anbauhöhe des Grundprodukts von -10 Metern für Muscheln bis 4100 Meter beim Schweinebauch eines Hochlandschweins. Die Konsistenz bei jedem Teller war zwar perfekt, aber sehr ernsthaft. Es war alles etwas rösch und etwas knusprig, was hervorragend zu den meisten passte, was aber zulasten der Geschmeidigkeit, der Saftigkeit und der Sinnlichkeit ging. Kurzum, es war schon sehr gut, hätte aber einen gleich bewerteten Kollegen, wie es hier in Deutschland Joachim Wissler aus dem Vendome wäre, turmhoch übertrumpfen müssen, um seinen Platz in der Weltrangliste zu rechtfertigen. Hat er aber nicht. Der Chef, Virgilo Martinez, hätte gegen das leichte und sinnliche Menü von Joachim Wissler keine Chance gehabt. Bei diesem Duell wäre er der Gewinner gewesen.

Mistuharau Tsumura, Maido
Mistuharau Tsumura, Maido

Maido vs. Tim Raue und Nagaya
Am nächsten Tag waren wir im Maido essen. Das „Maido“ ist auf der Weltrangliste auf Platz sieben, also einen Platz hinter dem „Central“, wird aber von anderen Restaurantführern vor dem „Central“ geführt und gilt deshalb als bestes Restaurant in Südamerika. Der Küchenchef Mitsuhara Tsumura ist, genau wie Yoshi Nagaya, der japanische Sternekoch aus Düsseldorf, ein Küchenchef mit japanischen Wurzeln, der sich entschieden hat, die Küche seines Aufenthaltslandes mit der japanischen Küche zu kombinieren. Deshalb muss auch hier der Vergleich erlaubt sein. Das Ergebnis ist, dass sich beide Küchenstile stark ähneln. Beides ist wahnsinnig gut, nur, in allen Bestandteilen ist Nagaya besser. Er richtet ein bisschen schöner an, er würzt etwas besser, er hat mehr Talent für die Haptik und das Produkt schmeckt besser.

Tim Raue kocht ebenfalls eine Euroasiatische Küche, hat jedoch keine ethnischen Wurzeln in Asien und dadurch eine Freiheit, die nicht durch irgendeine Tradition eingeengt wird. Das erlaubt ihm alle asiatischen Küchenrichtungen zu vermischen.  Für einen direkten Vergleich taugt das zwar nicht direkt, da hier der Vorteil auf Seiten von Tim Raue liegt, aber hier würde jeder, der auch nur einen Hauch Ahnung von Kulinarik hat bemerken, dass Tim Raue einfach in einer ganz anderen und um ein vielfaches höheren Liga spielt als das Maido. Hier hat Deutschland in beiden Vergleichen die Nase weit vorne.

Gastón Acurio mit einer Fischhändlerin
Gastón Acurio mit einer Fischhändlerin

Astrid y Gastón vs. Süllberg
Das dritte Restaurant heißt Astrid y Gaston und ist etwa so was wie eine kunstvolle Form des Süllberg in Hamburg. Also eine Ansammlung von Restaurants und Ballsälen, Konferenzräumen, Privat Dining-Rooms, Biergärten und Eventlocation unter einem Dach. Auch wenn es bei Astrid y Gastón etwas schöner und etwas kunstvoller und durch sehr hohen Personaleinsatz auch ein bisschen beflissener ist, wird bei einem Vergleich, der Süllberg als Gewinner dastehen. Der „Süllberg“ hat weniger Personal als das „Astrid y Gastón“. Es ist aber weitaus professioneller und effektiver. Im Astrid y Gastón wird sehr, sehr gut gekocht, aber die Auswahl der Grundprodukte ist auch hier übersichtlich. Im Süllberg hat man drei verschiedene Küchenkonzepte in den verschiedenen Räumlichkeiten. Von Sterneküche über Casual Dinner zur deftigen Hausmannskost. Jede dieser Karten alleine ist schon umfangreicher als das komplette Angebot von Astrid y Gastón, und jedes Gericht jeder Karte ist bis auf den Punkt genau zubereitet, wenn es serviert wird. An dieser Stelle würde ich ein Unentschieden mit leichten Vorteilen für Karlheinz Hauser und den Süllberg werten, denn der Charme der Gastgeber in Lima wiegt viele kleine Ungenauigkeiten dort, mehr als auf. Allerdings darf man hier nicht vergessen, dass Karlheinz Hauser und sein Süllberg in der Liste der „World’s 50 Best Restaurants“ weder unter den 50 Besten, noch auf den Plätzen 50–100 überhaupt eine Erwähnung findet.

Stay Home
Das Fazit hierzu ist, wenn Sie in Südamerika sind, gehen Sie in den tollen Restaurants essen. Sie werden nicht enttäuscht sein. Wenn Sie allerding den Plan haben, wegen dieser Restaurants nach Südamerika zu fliegen, dann bleiben Sie lieber hier und besuchen die ausgezeichneten Restaurants der innerdeutschen Restaurantführer. Sie werden in fast jedem Fall die bessere Küchenleistung zum günstigeren Preis bekommen. Wenn Sie jetzt bedenken, dass Sie damit 5000 Euro für Flug und Unterkunft gespart haben, können Sie das bis zum Jahresende jede Woche machen.

Wenn Sie jetzt, wie ich, den Grund suchen, warum Südamerika so weit vor Deutschland liegt, dann wird es wohl so sein, dass die Juroren, die in Deutschland abstimmen, deutsche Juroren sind, die sich niemals gegen den Codex verhalten würden und miteinander besprechen für wen man abstimmen soll, weil das natürlich diesen Kandidaten weit nach vorne spülen würde. Und in Südamerika, da ist halt Südamerika.

Und damit verbleibe ich, mit kulinarischen Grüßen

Ihr
Ralf Bos
(www.bosfood.de)

4 Gedanken zu „Peru – das südamerikanische Küchenwunder?“

  1. Lieber Herr Bos,

    vielen Dank für Ihre Anmerkungen. Das schöne an dieser Seite ist, dass man nicht nur die Beiträge der Experten kommentieren kann, sondern auch ein feedback bekommt. Stark.
    Da Sie sich offenbar an dem Begriff „grotesk“ gestoßen haben, ein paar Anmerkungen dazu meinerseits:
    Die sicherlich umfangreiche Expertise von Ihnen und Ihrer Reisegruppe wollte ich sicherlich nicht in Frage stellen. Und die prinzipiellen Probleme um die 50best Liste sind mir durchaus bewusst. Was mich an den meisten Kommentaren aber stört, die regelmäßig nach Erscheinen der 50best und entsprechend schlechtem Abschneiden deutscher Köche veröffentlicht werden, sind die immer gleichen Reaktionen: A) Bashing der Liste und B) Diskreditierung der besser Platzierten. Und das macht eben keinen Mut, wie mein Vorkommentator geschrieben hat, sondern das Gegenteil, daher vielleicht die etwas scharfe Formulierung „grotesk“. Es muss doch vielmehr gerade den Experten darum gehen, Defizite, die es eindeutig in der deutschen Spitzenküche gibt, zu benennen. Schauen Sie sich die Menüs an: Zu Beginn steht eine dessertsüße foie gras und danach kommen weitestgehend die üblichen Luxusprodukte mit internationalen Einsprengseln. Das man damit kein nennenswertes internationales Publikum zieht, geschweige denn auf irgendwelchen best-of Listen auf vorderen Plätzen erscheint, sollte einen daher nicht verwundern. Mal abgesehen davon: angesichts der über 100 3-Sterneköchen weltweit, entspricht ein Abstand von rund 60 Plätzen auch keinem „turmhohen“ Unterschied.
    Zu Ihren Vergleichen peruanische vs. deutsche Köche: Meiner Überzeugung nach sind die Grundvoraussetzungen, um auf einer solchen Liste ganz weit vorne zu erscheinen, ein weit überdurchschnittliches Maß an Kreativität, eine Vision und ein klarer regionaler Bezug (dies ist nicht nur eine Modeerscheinung, sondern ergibt sich zwangsläufig aus der Globalisierung, die auch die Spitzenküche erreicht hat). Da die von Ihnen benannten deutschen Köche diese Voraussetzungen bei all ihrem überragenden handwerklichen Können – sagen wir es einmal vorsichtig – nicht voll umfänglich erfüllen, sind für mich solche Vergleiche – speziell zwischen Wissler und Martinez – nicht zielführend, weil das hieße Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
    Ich hoffe, ich konnte meine Punkte einigermaßen klar machen und wünsche Ihnen weiterhin viel Vergnügen in deutschen Landen.
    Beste Grüße
    Marius Vantler

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  2. Mit Verlaub die angesprochenen Vergleiche machen keinen Mut, sondern sind grotesk. Der Erfolg der 50best Liste beruht im Wesentlichen darauf dass Authentizität, lokale Identität, Individualität und Kreativität als entscheidende Charakteristika für internationale Spitzenküche erkannt wurden. Das Guide Michelin Sytem, welches nur einen Teil der kulinarischen Landschaft abbildet wird als zu starr empfunden. Dementsprechend sind gerade deutsche Spitzenköche, denen es primär um Sternemaximierung geht, ins Hintertreffen geraten. Sie haben sich zunehmend selbst zu Franchisenehmern einer imaginären Guide Michelin Kette degradiert. Lokaler Bezug und Individualität bleiben so zumeist auf der Strecke. Andersherum führte offenbar gerade bei Köchen, die nicht diesem System unterliegen, die Unabhängigkeit zu einem höheren Maß an Kreativität.
    Ich konnte dies selbst beim Besuch im Quintonil in Mexiko City (Platz 11) feststellen. Dieses Restaurant ist bei weitem interessanter und sagt mir mehr über die kulinarische Identität des Landes als jedes deutsche Spitzenrestaurant. Und schon gar nicht solche die hierzulande primär asiatische Küche offerieren – so gut sie im einzelnen auch sein mögen. Daher mein Tipp: zahlen Sie den Flug und genießen sie ein einmaliges Geschmackserlebnis was Sie so hierzulande sicherlich nicht bekommen werden- übrigens anders als hier dargestellt zum in der Regel deutlich niedrigeren Preis.

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    • Hallo Herr Vantler,
      ich freue mich immer sehr, wenn Berichte gründlich gelesen, überdacht und kommentiert werden. Erstmal Danke dafür. Das Wort grotesk ist ihnen hier vielleicht ein wenig zu schnell über die Lippen gekommen, aber das scheint in dem Moment ihre Empfindung gewesen zu sein.
      In dem Bericht spiegelt sich die Meinung einer größeren Delegation von Foodprofis wieder. Insgesamt 45 Küchenchefs aus vier Ländern, Produktfachleute aus verschiedenen Richtungen, Winzer und weitere Fachleute, die eins gemeinsam haben: Sie sind und waren regelmäßig Gast in den Restaurants der gehobenen Gastronomie. Ich beziehe das grotesk also jetzt erstmal nicht auf meinen Bericht, sondern auf unsere kollektive Empfindung. Ich habe bei den Vergleichen keinesfalls die Fähigkeiten der besprochenen Köche geschmälert, sondern sie ausschließlich relativiert. Jorge Vallejo’s ist ein sehr guter Koch, wird es aber auch gegen einen Nils Henkel schwer haben, was nicht nur an den Fähigkeiten, sondern auch an den Rohstoffen liegen kann.
      Sternemaximierung ist im Augenblick auch nicht gerade in. Der Weg zur Regionalität ist da weitaus zeitgemäßer. Die 50 Besten sind sicher nicht auf Authentizität, lokale Identität, Individualität und Kreativität aufgebaut, sondern auf ganz andere Parameter, die an anderer Stelle schon genug besprochen wurden.
      Dennoch Danke für ihr Statement und weiterhin viele glückliche Momente in Südamerika. Ich bleibe jedoch dabei, essen kann man in Deutschland besser.
      Hochachtungsvoll
      Ralf Bos

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