Soll es den Gästen schon vor dem Essen schlecht werden? Rezension eines Buches, das vielleicht gar nicht erscheinen sollte.

Cornelia Hellstern / Deutscher Hotel- und Gaststättenverband (Hrsg.): Die schönsten Restaurants & Bars. Callwey Verlag, München 2021. 280 S., geb., Hardcover, 59,95 Euro

Zu diesem nicht einfach zu rezensierenden Buch muss man verschiedene grundsätzliche Vorbemerkungen machen. Sie betreffen ein Problem, das oft gar nicht thematisiert wird und das geeignet ist, das eigentliche Hauptobjekt eines Restaurantbesuchs, also die Küche, zu beschädigen.

Vorab: Überprüfen Sie sich bitte einmal selber
Könnten Sie einmal kurz überlegen, wo Sie die besten Essen Ihres Lebens bekommen haben? Und dann: können Sie sich noch an die Inneneinrichtung erinnern? Könnten Sie den Stil benennen, oder vielleicht Details der Dekoration? Ich könnte das allgemein nur sehr begrenzt. In berühmten Restaurants wie etwa bei Ferran Adrià im „El Bulli“ sah es – zumindest im Gastraum – irgendwie noch ziemlich traditionell und einfach aus, bei den Roca-Brüdern weiß ich es nicht, im „Noma“ sah es ebenfalls eher einfach aus, obwohl dort schon die Spuren eines Innenarchitekten zu erkennen waren, Ducasse im Plaza Athenèe in Paris war der volle Design-Kitsch, bei Frentzén kann ich mich nicht erinnern usw. usf. Dass ich jemals irgendwie vom Interieur besonders beeindruckt war, ist selten vorgekommen, weil es mich – obwohl ich ansonsten ein großer Kunstfreund bin – im Zusammenhang mit Essen kaum interessiert. Oder, noch klarer: Wenn das Essen richtig gut ist, interessiert mich die Inneneinrichtung überhaupt nicht. Andererseits werde ich misstrauisch, wenn es irgendwo so aussieht, als wolle man mit allerlei optischem Beiwerk von der Qualität des Essens ablenken. Bei anderen Gästen scheint dieses Misstrauen übrigens teilweise noch wesentlich radikaler auszufallen.

Werk 8, Basel © Steven Kohl

Wie sich einmal ein berühmter Intellektueller beinahe weigerte, in einem berühmten Spitzenrestaurant zu essen.
Ich werde hier keine Namen nennen. Aber es gibt da Bemerkungen eines schon lange verstorbenen Intellektuellen und Publizisten, an die ich mich immer wieder erinnere. Er sprach angesichts der Inneneinrichtung eines deutschen Spitzenrestaurants davon, dass es ihm schwerfalle, hier überhaupt zu essen und dass er angesichts der überaus üppigen Gestaltung geradezu Alpträume bekomme. Was passiert bei solchen Erlebnissen? Es wird von vielen Restaurants unterschätzt, wie sehr sie mit ihrer Inneneinrichtung etwas signalisieren, dass regelmäßig ein Teil ihrer Gäste glatt ablehnt – zum Beispiel weil die Gäste die Inneneinrichtung für geschmacklosen Kitsch halten, weil sie sich von solchen optischen Signalen üblicherweise weit entfernt halten und sich niemals zu Hause eine solche Umgebung zumuten würden. Vielleicht würden sie sogar die Freundschaft zu Leuten abbrechen, wenn sie sie einmal in deren Haus besuchen und auf eine Inneneinrichtung treffen, die ihnen in ihren Augen signalisiert, dass diese Leute einfach keinen Geschmack haben. Und mit Leuten, die einfach keinen Geschmack haben, will man auch nicht unbedingt etwas zu tun haben.
Für mich als gelernter Künstler signalisieren viele Restaurant-Einrichtungen ein – sagen wir: wenig entwickeltes ästhetisches Verständnis.

Salon Sacher, Wien © Severin Wurmig

Die Corona-Krise bringt eine Renovierungswelle. Darauf muss man sich nicht unbedingt freuen.
In der AHGZ (dem Branchenblatt) und anderen Medien bekomme ich regelmäßig mit, dass die Corona-Pause von vielen Besitzern dazu benutzt wird, ihre Etablissements zu renovieren. Die Bilder, die man dazu liefert, wirken wohl nicht nur auf mich oft eher abschreckend, weil sich bei der Restaurant-Innenarchitektur offenbar ein gestalterischer Zweig entwickelt hat, der regelmäßig dazu neigt, modischen Nippes mit Modernität zu verwechseln. Insofern muss man befürchten, dass die Krise auch hier schwere Schäden anrichtet. Man wird sozusagen sehen, welche Eigentümer im Moment zuviel Zeit haben. Das vorliegende Buch bestärkt die Befürchtungen schon mal aufs Heftigste.

Fuji Yama, Nürnberg © Simeon Jahnke

Für die Qualität des Essens gibt es eine Menge von Kriterien. Bei der Inneneinrichtung wird es schwierig.
Für das Essen und die Beurteilung seiner Qualität haben sich über Jahrhunderte viele Kriterien entwickelt, die bis auf den heutigen Tag das Gerüst für eine Einordnung guten Essens liefern. Natürlich werden die Grenzen immer wieder auch strapaziert, natürlich kann man dazulernen, natürlich gibt es unterschiedliche Tendenzen und immer wieder Versuche, Neuland zu erreichen. Das ist alles kein Problem und typisch für die Entwicklung einer ästhetischen Form, die auf historisch entwickelten, handwerklichen Grundlagen steht. Bei der Inneneinrichtung, die in der Gastronomie nicht so sehr im öffentlichen Bewusstsein verankert ist wie das Essen und die schon immer darunter zu leiden hatte, dass es Extrembeispiele aus der Welt der Reichen und Geschmacklosen gibt, bei denen der Preis eines Gegenstandes seine ästhetische Qualität überlagert, ist es sehr viel schwieriger. Es herrscht Wildwuchs und das Diktat behaupteter Qualität. Und exakt das ist auch das Problem des Inhalts dieses Buches.

Hotelbar WunnersWat, Verl © Kathrin Reinkemeier

Das Buch
Insofern werde ich über die Inhalte des Buches nicht viel sagen und sagen können. Ausgangspunkt ist ein Wettbewerb, also nicht eine Sicht auf Teile und nicht auf das Ganze. Es gibt alle möglichen Interieurs, von denen ein großer Teil sehr forciert erscheint. Es scheint nicht um einen Raum für gutes Essen zu gehen, sondern um ein Bild, das man – natürlich immer ohne Gäste im Raum – als solches publiziert um irgendeine Zielgruppe anzusprechen. Diese Entfunktionalisierung oder Funktionsüberlagerung prägt eine große Zahl von Inneneinrichtungen. Die Mitglieder der Jury sind dann auch zum Teil – um einen Bild aus dem Handwerk zu benutzen – vom Fach, also wie die deutschen Bäcker, wenn sie einmal wieder sämtliche Brötchen ihrer Kollegen als besonders hochwertig einstufen. Dazu kommen auch Leute wie die immer unter starkem Neo-Schickimicki-Verdacht stehende „Salon“-Chefredakteurin Anne Petersen und natürlich die Dehoga-Chefs. Es würde mich nicht wundern, wenn in der Jury der saloppe Spruch existieren würde, dass die Gäste in einem Restaurant aus innenarchitektonischer Sicht eigentlich stören. Der Wunsch wird ihnen ja gerade erfüllt – möchte man durchaus zynisch dazu sagen.

Natürlich gibt es Beispiele, die sich in Grenzen halten oder auffallend gut und zurückhaltend sind und mitten in der Welt stehen, also Vergangenheit und Zukunft miteinander verknüpfen können und damit exakt das tun, was in den Köpfen der Gäste als assoziativer Kontext (den es ja auch außerhalb der Kochkunst gibt) entsteht. Es dominieren aber Lösungen, die in kurzer Zeit dated wirken werden und nicht darauf hoffen können, wie manch ein Design früherer Jahrzehnte (Tantris) die Zeiten als ganz spezielle, individuelle Lösung zu überdauern.

Fazit: Sollte man den Preis erst gar nicht vergeben?
Ich wäre dafür, einen solchen Preis gar nicht erst auszurufen, sondern lediglich existierende Interieurs zu bewerten. Ein Preis wie dieser richtet möglicherweise mehr Schaden als Nutzen an. Gelobt wird nur die neue Gestaltung, wo doch viele „alte“ Etablissements genau das sind, was viele Gäste in bester Erinnerung haben. Die Formulierung: „Die schönsten Restaurants und Bars“ ist also nicht korrekt. Dass sich die Erzeuger wie die Jury alles mögliche als Begründung für ihre Einschätzungen einreden, versteht sich von selber – sie sind eben in „Denken 2“ verhaftet (ich werde das demnächst einmal erläutern). Das Buch als solches (aber auch nur ganz eng als Publikation gesehen) ist gut und übersichtlich. Der Fehler liegt eben in der gravierenden Einseitigkeit der Grundaufstellung, die die Protagonisten – man ahnt es – natürlich als maximale Vielfalt interpretieren.

Ein Buch zum Ärgern, das man nicht dringend braucht – außer die InnenarchitektInnen, die dringend einen wichtigen Auftragszweig nicht verlieren wollen, oder als Gastronom, dem mal wieder irgendjemand eingeredet hat, dass ein umdekoriertes Restaurant die Bedeutung der Küche erhöhen könnte. Und – es gilt die Wette, dass eine Super-Küche sich auch ohne die Mitwirkung einer Firma für Innenarchitektur durchsetzen wird.

Das Buch bekommt ein rotes B

4 Gedanken zu „Soll es den Gästen schon vor dem Essen schlecht werden? Rezension eines Buches, das vielleicht gar nicht erscheinen sollte.“

  1. Sehr geehrter Herr Dollase,

    unabhängig von den konkreten Inhalten dieser Publikation lässt sich
    über Restaurantgestaltung wie über Essen sehr gut streiten. Dass diese auch einen Einfluss auf das Esserlebnis hat scheint erwiesen zu sein. Charles Spence hat mit Experimenten zu Farben, Licht, Musik etc. gezeigt, wie das gesamte „Drumherum“ auf das Essen einwirkt. Dieses Wissen wurde und wird von Köchen genutzt und wirkt sich konkret auf manche Speisen aus, wie z.B „Sound of the Sea“ von Heston Blumenthal.

    Ob eine Einrichtung gefällt ist das eine, interessanter ist, ob diese zu den servierten Speisen passt bzw. diese sinnvoll ergänzt. Ich erinnere mich bestens an mein Essen im Noma und auch an die Gestaltung des Restaurants. Das Noma ist ein gutes Beispiel für eine perfekte Inszenierung der Speisen. Die Werte der Küche zeigen sich im detailliert durchdachten Restaurant. Ob einem das interessiert oder nicht, die Wirkung sollte nicht unterschätzt und bei der Kritik ggf. auch beachtet werden. Wenn nordische Naturküche in einer Stadt mit gemäßigtem Klima serviert wird, spielt eine rustikale Einrichtung durchaus für das Erleben der Küche eine Rolle. Von Fellen oder handgefertigten Tellern ganz zu schweigen. Hier passt alles zusammen bis hin zum Anrichtestil. Ob das dann einfach aussieht ist zweitrangig – tatsächlich dürfte die Einrichtung sehr hochpreisig sein. Gerade das Noma steht beim Essen und der Einrichtung für einen neuen Luxus. „Spuren eines Innenarchitekten“? Hier haben verschiedene Designbüros und Handwerker intensive Arbeit geleistet. (Das gilt für das alte und das neue Noma). Aufwändiger und durchdachter dürften wenige andere Restaurants sein.

    Beim elBulli ergab sich ein spannender Kontrast. Das Restaurant bzw. die Küche hat sich organisch derart entwickelt und dennoch bildet die traditionelle und auch regionale Küche schon immer einen wichtigen Bezugspunkt zur experimentellen Küche Adriàs. Es war sicher kein Zufall, das Restaurant so zu belassen und die Wirkung bewusst gewollt.

    „Schlimmer“ und sicherlich weniger effektiv, weil nicht im Kontext der Küche entwickelt und entsprechend austauschbar, sind hingegen irgendwie moderne Einrichtungen, die leider in vielen Restaurants Standard geworden sind. Dann lieber Orte wie das alte Restaurant bei Bocuse, da passten Inhalt und Gestaltung ebenfalls bestens zusammen. Eine solche Zeitreise ist dann nicht nur kulinarisch interessant.

    Das Zusammenwirken verschiedenster Elemente, um ein Essen zu inszenieren ist jedenfalls ein spannendes Thema und auch nichts Neues. Das lässt sich vom Mittelalter bis heute beobachten auch in anderen Kulturkreisen. Die Kaiseki-Küche ist in dieser Hinsicht ebenfalls nur vermeintlich einfach.

    Beste Grüße

    Felix Bröcker

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    • Für mich ergeben sich daraus konkrete Fragen für die Restaurantkritik: Soll die Umgebung wirklich bewusst ausgeblendet werden? Oder wäre es angesichts der Wirkung auf Gäste, wie Sie selbst in ihrem Beispiel anführen, nicht sinnvoller darauf einzugehen.
      Genauso wie sich ein Gericht professionell „auseinandernehmen“ lässt, kann die Gesamtinszenierung betrachtet und analysiert werden. Das wäre doch ein Gewinn für Gäste und die Restaurantkritik insgesamt, wenn Wirkmechanismen aufgedeckt werden, die das Esserlebnis mitbestimmen.
      (Dieses Buch hilft da vermutlich wenig, aber eine Kritik über den Tellerrand könnte das leisten…)

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      • Sehr interessante Gedanken. Ich denke, je zwingender die kulinarischen Leistungen sind, desto weniger spielt die Inszenierung eine Rolle. So ergibt sich für das zu Recht erwähnte Noma die paradoxe Situation, dass der Beitrag der überaus wegweisenden Gesamtkonzeption eher nebensächlich erscheint. Umgekehrt spielt bei Restaurants, wo die kulinarischen Ergebnisse vielleicht noch nicht so zwingend sind, die Inszenierung eine deutlich größere Rolle. Nicht von ungefähr ist unter den regional ausgerichteten deutschen Restaurants das Nobelhart das mit dem größten Bekanntheitsgrad. Darüber hinaus sind in diesem Zusammenhang die Restaurants Albert Adria’s erwähnenswert, wo – insbesondere im Enigma mit seinem over the top Konzept – gezeigt wird, welchen enormen Einfluss die Inszenierung auf das kulinarische Erlebnis haben kann.

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  2. die Umgebung, in de ich esse, beeinflusst mich schon, mein Schönstes war der Paulysaal, den es leider coronabedingt nicht mehr geben wird. Auch Restaurant Tim Raue fand ich schön.,

    Am scheußlichsten waren handgetöpferte Teller im Forsthaus Strelitz, wo Messer und Gabel ein gruseliges , scharrendes

    Geräusch machten….

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