Sterneküche kann jeder!

Der Titel dieser Rezension ist heute einmal keine pointierte Zusammenfassung, sondern ganz einfach der Titel des zu besprechenden Buches. Und dieser Titel verweist natürlich auf ein Dauerthema, das weniger professionelle Köche als die vielen ambitionierten Privatköche betrifft. Sie werden ermutigt. Andererseits: wenn jeder Sterneküche kann, was sind dann die Sterne wert? Hier erst einmal die Fakten:

Benedikt Faust: Sterneküche kann jeder! Exzellent kochen ohne Schnickschnack. Gräfe und Unzer Verlag, München 2020. 192 S., geb., Hardcover, 22 Euro


Es gehört zu den Standards in deutschen Hobbyküchen, Esszimmern und Wohnzimmern, dass Irgendjemand gerne und gut kocht und es dann eines Tages heißt: Das ist ja Sterneküchen-Niveau! Es ist auch durchaus nicht selten, dass die gemeinten Privatköchinnen und -köche ihre eigenen Leistungen entsprechend einordnen und sich dann, wenn sie denn einmal wieder in einem Sternerestaurant essen, als Besserwisser allererster Güte aufspielen. Ich habe da von den Profis schon die abenteuerlichsten Geschichten gehört.

Wenn man die Formulierung „Sterneküche kann jeder“ genauer betrachtet, stellen sich verschiedene Fragen. Die erste ist, ob jeder normale Mensch im Prinzip dazu in der Lage wäre, eine Küche auf dem Niveau von Sterneküche zu realisieren – eine entsprechend sorgfältige Ausbildung vorausgesetzt. Diese Frage müsste man bejahen, weil nichts dagegen spricht, dass man die entsprechenden handwerklichen Fertigkeiten entwickelt. Die nächste Frage wäre die, ob jeder Mensch auch von seinen geschmacklichen Fähigkeiten in der Lage wäre, Sterneküche zu realisieren. Hier wird es schon schwieriger, weil nicht alle Menschen die gleichen körperlichen Voraussetzungen besitzen. Es gibt hypersensible (Feinst-)Schmecker und es gibt hyposensible Schmecker, die nicht in der Lage sind, feine Nuancen wahrzunehmen und immer starke Reize benötigen. Und gerade die könnten im geschmacklichen Sektor der Realisierung von guter Küche Probleme bekommen.

Aber auch die anderen, die normal oder besonders fein schmecken, müssen im geschmacklichen Bereich erst einmal bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Wer nicht weiß, wie Sterneküche wirklich schmeckt, wer also kaum eine Übersicht über die Leistungen guter Köche hat, kann da schnell Probleme mit der qualitativen Orientierung bekommen. Und es geht noch weiter. Wer zum Beispiel nicht in der Lage ist, die eigenen Küchenleistungen mit Distanz und kritisch zu beurteilen, wird schnell scheitern, weil er qualitative Mängel einfach nicht bemerkt. Und außerdem gilt immer: Was ist eigentlich Sterneküche? Reicht es, wenn die handwerklichen Grundlagen gut trainiert sind, oder muss noch etwas dazukommen, was nicht so ohne weiteres erlernbar ist, also etwa eine individuelle Auslegung/Interpretation, die einem Gericht das Besondere gibt? Wer also behauptet: „Sterneküche kann jeder!“, begibt sich auf ein ziemlich glattes Eis. Sehen wir uns also an, was Benedikt Faust daraus macht.

Das Buch
Der Amador-Schüler Benedikt Faust war Chef des „L’Etable“ in Bad Hersfeld und des Restaurants „Kuno 1408“ in Würzburger Hotel „Rebstock“ und hat dort eine sehr interessante, stark regional inspirierte Kreativköche gekocht. Seine Leistungen fand ich schon in Bad Hersfeld so interessant, dass ich ihn im Jahre 2010 zum „Aufsteiger des Jahres“ in der FAZ gewählt habe. Nach meinem Besuch in Würzburg war ich der Meinung, dass er mit noch etwas mehr Konsequenz noch ein ganzes Stück weiter kommen könnte. Mittlerweile ist er nicht mehr dort und widmet sich – wie viele seiner Kollegen – einem weitgespannten Feld kulinarischer Aktivitäten.

Das Buch hat zwar einen klassischen Ablauf mit „Amuse-Gueules“, Vorspeisen, Suppen, Zwischengängen, Hauptgerichten und Desserts, beginnt damit aber erst auf Seite 58. Vorher gibt es „Theorie“, und die beginnt mit einem kurzen Aufriss seiner eigenen Entwicklung. Dann geht es an das Konzept „Sterneküche kann jeder!“ und Benedikt Faust entwickelt eine Art Kurzkurs der wichtigsten Aspekte auf dem Weg zu einer guten Küche. Dieses Konzept unterscheidet sich deutlich von dem, was üblicherweise in Kochschulen für Hobbyköche aufgenommen wird. Faust fragt danach, was Geschmack ist und stellt wenig später dem Leser erst einmal – anhand einer Gurke – ein paar Fragen, die andeuten, dass er vor allem eine stärkere Sensibilisierung für das will, was geschmacklich passiert. Dann geht es um die „fünf großen Geschmacksbilder im Mund“ und um „Kombinationen und Aromen“. Im Abschnitt „Haltbar machen – mit maximalem Geschmack“ geht es um Techniken wie Vakuumieren, Einfrieren oder Trocknen (Beispiel: Gemüsebrühpulver). Dann folgen Kapitel über Kräuter und Gewürze, Fisch und Fleisch, alles eher knapp, aber nicht schlecht gerafft – sozusagen. Bei den „Besonderen Zutaten der Sterneküche“ erfährt der Leser etwas über Schwarze Nüsse, Panko, Wasabipaste, Öle, Sojasaucen, Ducca, Fonds und texturgebende Mittel. Die Liste des sinnvollen Equipments ist ebenfalls ein wenig anders als üblich und kurz vor den Rezepten geht es dann um „Anrichten und Dekorieren“, also das, was einen Laien mit am meisten beeindruckt.

Die Rezepte sind aus der Abteilung „kurz und effektiv“ und entsprechen in etwa dem, was man heutzutage zwischen modernen Bistros, Casual Fine Dining und Sterneküche trifft. Dabei fällt vor allem auf, dass in ihnen typische Elemente der Sterneküche eine Rolle spielen, also neben bestimmten Anrichteformen eine ausgeweitete Sensorik mit allerlei Temperauren und Texturen und den entsprechenden Kontrasten. Es geht um „Lachs, Kartoffel, Rettich“, „Krokette, Chili, Schmand“, einen dekorativen Kabeljau mit Sesam und Meerrettich in kompletter Vereinzelung der Elemente (was Laien so gut wie nie machen, sensorisch aber durchaus Sinn macht). Es folgen z.B. „Lachs, Litchi, Erdnuss“, „Scheurebe, Rind, Radieschen“, „Leberwurst, Mango, Blumenkohl“ oder „Kabeljau, Blumenkohl, Blutwurst“.  In der Regel schlägt Faust also Gerichte vor, die dem typischen Hobbykoch, der sich oft auf das Nachkochen von Rezepten konzentriert, nicht so ohne weiteres einfallen werden. Diese Form der Kreativität wird im Zusammenhang mit den Ausführungen im allgemeinen Teil aber durchaus verständlich und attraktiv auf dem Weg zu strukturierten Gerichten, wie sie eben für die Sterneküche am ehesten typisch sind. Handwerk und eine neue Struktur und das Fortschreiten in neue geschmackliche Welten und Erlebnisse sind das, was hier am Ende als wichtigster Eindruck bleibt.

Fazit
Das Buch kann man so machen – auch wenn es in seiner Kompaktheit dann doch teilweise etwas arg reduziert erscheint. Dass es sich nicht um die üblichen Sterneküchen-Behauptungen in vielen Büchern gerade populärer TV-Köche handelt, wird schnell klar. Während man dort eigentlich oft eher im Bereich der bürgerlichen Küche bleibt, ermutigt Faust erst einmal zu neuen Taten und geht davon aus, dass man mit Neuem als Privatkoch eher den Bogen zu einer gesteigerten Qualität schafft als mit der Wiederholung älterer Rezepturen. Das kann man so machen, dafür gibt es gute Gründe.

Wenn dieses Buch auf die richtigen Leser trifft, kann es sehr nützlich sein.

Das Buch bekommt ein grünes B

Fotos © Gräfe und Unzer Verlag

2 Gedanken zu „Sterneküche kann jeder!“

  1. Ich hatte mir das Buch gekauft, weil ich mich nach der Rezension trotz des mehrfachen „Kann man so machen“ als die richtige Zielgruppe angesprochen fühlte. Was mich aber vollkommen fassungslos machte – und das haben Sie verblüffender Weise in Ihrer Rezension mit keinem Wort erwähnt, wo ich doch mein Häuschen verwettet hätte, dass Sie bei diesem Thema durch die Decke gehen – war die doch sehr häufige Verwendung von Convinience Produkten der einfachsten Art (Instant-Kartoffelpürree, gekörnte Brühe, Fonds aus dem Glas etc.). Ich finde dieses Buch aus dem Grunde ärgerlich.

    Antworten
    • Lieber Herr Wassong, Sie haben Recht, das hätte ich kommentieren müssen. Andererseits ist der Autor da ganz auf der Seite vieler französischer Spitzenköche, die bei Fonds und Co. ebenfalls sehr undogmatisch vorgehen – zumindest in Büchern, die sie für Laien oder Hobbyköche schreiben.
      Was heute Convenience ist, müsste man aber ohnehin noch einmal neu definieren. Die gesammelten Sojasaucen, japanischen Fruchtessige, Dashi und Miso usw. usf. sind im Prinzip ja auch vor allem eine Variation der Maggi-Verwendung und kein Produkt, das man möglichst produktnah einsetzt. Da könnte man in deutschen Spitzenküchen mächtig aufräumen….
      Die Kommentare, Kritiken und Lösungen findet sich übrigens in meinem Buch „Pur, Präzise, Sinnlich“

      Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Jürgen Dollase Antworten abbrechen