The Japanese Culinary Academy (Hrsg.): Introduction to Japanese Cuisine. Nature, History and Culture. Shuhari Initiative, Kyoto 2015. 216 S., geb., Hardcover. (ca. 49 Euro, in englischer Sprache)

Die Anzahl japanischer Kochbücher, die in andere Sprachen übersetzt werden, hält sich nach wie vor sehr in Grenzen. Die meisten Publikationen über japanische Küche, die bei uns kursieren, sind von AutorInnen geschrieben, die vielleicht vom Thema fasziniert sind, aber eben nur über eine Art gebrochenes Wissen verfügen, bei dem immer die Gefahr besteht, dass es an Authentizität und vor allem an Tiefe mangelt. Insofern konnte man über „Japon Gourmand“ von Laure Kié, das ich hier am 20.7.2020 vorgestellt habe, erst einmal sehr zufrieden sein, weil sich dort Einordnung und Bewertung weitgehend in Grenzen hielten, man aber wirklich Unmengen an Informationen aus dem täglichen kulinarischen Leben der Japaner bekam.

Dieses Buch nun stammt von der Japanese Culinary Academy, einer im Jahre 2004 gegründeten Einrichtung, die genau das zum Ziel hat, was man von einer solchen Akademie erwarten sollte, also mit diversen Aktivitäten inklusive Forschung das Verständnis für die japanische Küche weltweit zu verbessern und gleichzeitig im Innern für Stabilisierung und Weitergabe des Wissens über die japanische Esskultur zu sorgen. Diese Akademie ist also genau das, was wir in Deutschland nicht haben. Ich erinnere mich daran, dass die entsprechenden Versuche bei uns zu Beginn der 2000er Jahre („Deutsche Akademie für Kulinaristik“) ganz eindeutig daran scheiterten, dass sich Profis und professionell schlecht gebildete Theoretiker nicht unter einen Hut bringen ließen. Ich war selber im Vorstand und habe mich nach nicht sehr langer Zeit mit Grausen abgewandt. Wären die Ziele so ähnlich definiert und verfolgt, wie das in Japan bei dieser Akademie der Fall ist, hätte man jedenfalls eine ganz andere Grundlage.

Die „Introduction to Japanese Cuisine“ ist der erste von bisher 4 Bänden einer Reihe mit dem Titel “The Japanese Culinary Academy’s Complete Japanese Cuisine“. Band zwei hat den Titel „Muko-Ita: Cutting Techniques – Fish“ und stammt aus dem Jahre 2017. Band drei ist „Muko-Ita: Cutting Techniques – Seafood, Poultry & Vegetables“, ebenfalls von 2017. Band vier ist „Flavoring & Seasoning – Dashi, Umami and Fermented Food“ von 2018.

Das Buch
Obwohl dieser Band sehr viele Bilder hat und keineswegs textlastig wirkt, sollte man sich nicht täuschen lassen. Hier geht es sehr substantiell zu. Die Texte sind für europäische Verhältnisse außergewöhnlich komprimiert und enthalten oft sehr dichte Sachinformationen, ohne dabei komplett ins Wissenschaftliche abzuschweifen. Weil man sich bei den Bildern aber extrem viel Mühe gemacht hat, wirkt das Ganze gleichzeitig ausgesprochen unterhaltsam. Eines fällt allerdings sofort auf: mit Sushi-Bars und dem, was wir bei uns unter japanischer Küche verstehen, hat das eher wenig zu tun.

Das Vorwort des Präsidenten Murata Yoshihiro beginnt gleich ganz unmissverständlich. Er erinnert an eine Veranstaltung in Paris zu Beginn der 90er Jahre. Damals präsentierten japanische Spitzenköche im Saal eines Luxushotels den französischen Spitzen von Kochkunst und Gesellschaft echte japanische Spitzenküche. Die Köche hatten sich dazu auf rein gar nichts verlassen, sondern brachten buchstäblich alle Produkte aus Japan mit – sogar besonders weiches Wasser, das es so in Frankreich nicht gibt. Dieser konsequente Geist prägt auch die Arbeit der Academy und den Duktus des Buches.

Zuerst wird die Frage gestellt, was denn japanische Küche ist. Kapitel 1 widmet sich der Natur und dem Klima, Kapitel 2 der Geschichte und der Entwicklung, Kapitel 3 der künstlerischen Sorgfalt, Kapitel 4 bringt die „Essentials“, Kapitel 5 „Gerichte für saisonale Festlichkeiten“. Es folgen Aufsätze zur Diversität in der japanischen Küche, zum „Täglichen Essen mit Suppe und drei Gerichten“, zu den „Gesundheitlichen Vorteilen von japanischer Ernährung“ und zu „Traditionellen Gewichten und Maßeinheiten“. Den Abschluss bildet ein Kapitel über die Herstellung von Dashi, ein Kapitel mit Basisrezepten und den Rezepten des Buches und ein Glossar. Die Rezepte des Buches sind mit Monitor-Bildern ans Ende gerückt, um den unterhaltsamen und grafisch aufgelockerten Fluß von Text und Bildern nicht zu stören. Wichtig ist auch, dass jede Aussage zu den Themen quasi mit den entsprechenden Gerichten begonnen und begleitet wird.

Hier ein paar der Gerichte-Titel: „Sashimi Kanoko Sea Bream, Squid and Fatty Tuna“, „Edamame with sweet tofu Dressing in Chinese Lantern Flowers“, „Sweetfish Simmered in Sansho Pepper”, “Wild Vegetables in Tosazu Vinegar“, „Steamed Chicken with tonburi Seeds”, “Salt-Grilled Kobujime-Style Beef”, “Hassun in a Black Battel with Autumn Wildflowers”. Die Rezepturen sind so gehalten, dass man sie bei uns so einigermaßen nachkochen könnte, wobei Angaben über die spezielle Qualität der Zutaten in den Rezepten meist nicht enthalten sind. Wer die ganz guten Zutaten besitzt (es gibt sie ja mittlerweile zum Teil bei uns) und ein sehr gutes Verständnis japanischer Geschmacksbilder hat (Vorsicht! Wer hat das schon…), wird damit zurechtkommen. „Billigversionen“ mit handelsüblichen Materialien dürften zu völlig anderen Ergebnissen führen.

Wichtig ist auch noch der folgende Aspekt. Im Gegensatz zu den bei uns üblichen Rezeptsammlungen und in großem Gegensatz zur auch in Japan stark verbreiteten Imbiß-„kultur“ wird in diesem Buch der Bezug zur Religion, der Natur und den Festivitäten als Auslöser für die Kreation der ungeheuer sorgfältigen kulinarischen Ensembles hergestellt. Diese Sorgfalt ist eben keine rein kulinarische, sondern wird deshalb so expressiv, weil sie einem übergeordneten Zweck dient, für den man alles einsetzt, was man einsetzen kann. In vielen Kulturen ist das geopferte Essen für die Götter oft mit Abstand das Essen, das mit dem größten Aufwand hergestellt wird. Bezieht man diese Orientierung auch noch auf Feste im japanischen, sehr naturnah-magischen Sinne, wird so langsam klar werden, wieviel anders die Grundlegung der japanischen Küche im Vergleich zu unseren Verhältnissen ist und warum es so wichtig und wertvoll ist, diese Traditionen mit all ihrem Ausdruck und ihrem handwerklichen Können zu erhalten

Fazit
Das Buch ist eine Quelle der Inspiration, wie man sie ganz selten findet. Während wir in Europa dem kulinarischen Simplifizierungswahn verfallen sind, geht es hier um Anstrengungen, die uns teilweise völlig fremd geworden sind. Natürlich gilt nach wie vor, dass die größten Sushimeister und Co. sich für außerstande erklären, Rezepte ihrer Arbeit niederzuschreiben. Würde man diese Ebene auch noch in allen Details dazunehmen, würde das Buch keine „Einleitung“ mehr sein. Die weiteren Bände zeigen mit ihren detaillierten Themen an, wohin die Reise geht und gehen kann. Selbst Leute, die meinen, etwas von der japanischen Küche zu verstehen, dürften angesichts der Dichte dieser Informationen schwer beeindruckt sein.

Das Buch bekommt natürlich 3 grüne BBB

Fotos © Shuhari Initiative / Amazon

2 Gedanken zu „The Japanese Culinary Academy (Hrsg.): Introduction to Japanese Cuisine. Nature, History and Culture. Shuhari Initiative, Kyoto 2015. 216 S., geb., Hardcover. (ca. 49 Euro, in englischer Sprache)“

    • Hallo Herr Bögelsbacher,
      die vier Bücher sind alle vortrefflich und eine der besten Quellen die man finden kann.
      Ich finde den Band „Flavoring & Seasoning“ besonders empfehlenswert, gefolgt von den von Ihnen angesprochenen Band „Muko-Ita I“.
      Die Bücher sind z.B. beim omnipräsenten und mit „a“ beginnenden Online-Händler problemlos zu bestellen — dabei ist aber zu beachten, dass die dort genannte Reihenfolge der Bände (so waren sie in der Tat in den letzten Jahren erschienen) anders ist als am Anfang der Rezension genannt.

      Vielen Dank an Herrn Dollase für die vortreffliche Rezension und Zusammenfassung.
      Kulinarische Grüße,
      Fred Schneidereit (ChefsGuideJapan)

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