Vegetarisches für Fleischesser? Jamie Olivers neues Buch

Jamie Oliver: Veggies. Einfach Gemüse, einfach lecker. Dorling Kindersley-Verlag, München 2019. Gebunden, Hardcover, 312 S., 26,95 Euro

Das kann man sich durchaus auf der Zunge zergehen lassen: anlässlich der Veröffentlichung seines neuen „Veggies“ – Buches outet sich Jamie Oliver als unverbesserlicher Fleisch-Fan, der keinesfalls längere Zeit ohne Fleisch leben und essen könnte. Die Meldung dazu macht überall die Runde. Aber – was hat sie mit dem Buch zu tun? Qualifiziert er sich nicht mangels Interesse an der Sache mit einer solchen Aussage selber ab? Ganz im Gegenteil – man muss nur ein wenig um die Ecke denken.

Die gute Qualität des Buches (um das hier schon einmal vorwegzunehmen) hat damit zu tun, dass Oliver als Fleischesser ein Geschmacksbild liebt, das einen hohen süffigen Anteil hat, genauer: einen hohen Umami-Anteil. Wenn er sich nun mit vegetarischen Rezepten beschäftigt, ist er selbstverständlich auf der Suche nach einem Geschmacksbild, das ihm als Fleischesser gefällt und produziert damit auch im vegetarischen Bereich Gerichte, die sich deutlich von den oft spröden Rezepturen vieler vegetarischer Rezeptsammlungen unterscheiden. Es gibt eben nicht so viel Körner und Sprossen und Grünzeug, das ohne harmonisierenden Kontrapunkt auskommen muss und vielen Leuten einfach nicht wirklich gut schmeckt. Um das zu erreichen, fährt Oliver einen ganz klaren Kurs. Und so heißt es auch im Vorwort: „Dies ist ein großartiges Gemüsekochbuch, geschrieben von einem passionierten Fleischesser, der beim Geschmack keine Kompromisse macht.“

Das Buch
Es ist kein Wunder, dass Oliver mit dem Kapitel „Currys & Geschmortes“ beginnt und nicht etwa mit „Salaten“ – wie man das vielleicht erwarten könnte. Kapitel zwei handelt von „Pies, Aufläufen & Co.“, dann geht es an „Suppen & Sandwiches“, „Aus dem Ofen“, „Reis und Nudeln“ und „Pasta“. Erst dann kommen die Salate, und weitere Kapitel. Auf Seite 266 gibt es Tipps und Tricks zu diversen Produkten und Zubereitungen, dann etwas zur Ernährung insgesamt, gefolgt von einem Register, das nach den verwendeten Produkten geordnet ist. Wer also etwas mit Auberginen machen möchte, findet schnell die Rezepte dazu

Stilistisch geht es querbeet durch die Welt, wobei eine gewisse Betonung des mediterranen Bereichs schon kaum noch auffällt, weil sie bei Jamie Oliver immer eine große Rolle gespielt hat. Es wird schnell klar, auf welche Weise er bei vielen Rezepten Süffigkeit produziert. Oliver setzt viel auf Kohlehydrate (also etwa Brot und Pasta) und viel auf Umami-haltige Zutaten von Tomaten über Käse bis zu Pilzen, Nüssen und Hülsenfrüchten. Es sind jene Zutaten, die den Esser auch ansonsten bei Pizza und Pasta gerne einmal das Fleisch vergessen lassen. Sie sättigen, sie werden gerne in größeren Portionen gegessen, sie sind das ideale Material für den echten „Koma-Esser“, der sich beim Essen nicht dauernd selber beobachtet, sondern isst, bis es nicht mehr geht. Wir alle kennen das – unter anderem auch von der bürgerlichen Küche her.

Hier einige Beispielrezepte aus verschiedenen Abteilungen. Wenn es da heißt: „Schrebergarten-Auflauf – Wurzelgemüse, Steinpilze & knuspriger Rosmarin“ gibt es keinen modernistischen Gemüseteller mit einer Ansammlung von Rübchen, sondern u.a., auch Kartoffeln, Butter, Tomatenmark und Linsen dazu (siehe oben). Der „Super Schichtsandwich – Gegrilltes mediterranes Gemüse, frisches Minzdressing & schwarze Oliven“ besteht vor allem aus sehr viel Bauernbrot. Beim „Würzigen Karotten-Pfannkuchen – cremiges Hummus, knackiges Gemüse, Harissa & zerstossene Pistazien“ muss man nicht mit Unmengen von Gemüsetexturen rechnen, sondern mit einem dichten, weichen, natürlich süffigen Hintergrund von Pfannkuchen und Hummus, in den dann wieder eine ganze Reihe Umami-Elemente integriert sind. Einen solchen oder ähnlichen Hintergrund, der immer für eine „solide“ Grundlage sorgt, in die Gemüse etc. eingebunden sind, findet sich auch bei verschiedenen Pizza-Versionen, bei Tortillas, natürlich bei den diversen Pastagerichten oder auch bei Falafel. Noch einmal, ganz typisch: „Kartoffeln & Pilze al forno – Knoblauch, Schnittlauch, getrüffelte Eier, körniger Frischkäse & Parmesan“ – eine ganze Ansammlung der genannten Umami-haltigen Elemente.

Es schmeckt also und geht auch durchaus nicht ins südamerikanisch-fruchtig-säuerliche Fach oder in andere Richtungen, bei denen der Geschmack auffällig transparent wäre. Unter „es soll schmecken“ werden hier unbedingt mehrheitsfähige Gerichte verstanden, die von Hobbyköchen problemlos zu realisieren sind, aber eben durchaus ein klein wenig an Kenntnissen voraussetzen. Mit sehr guten Produkten und reflektierten und hier und da leicht individualisierten Proportionen sind die Rezepte auch durchaus in eine Fassung zu bringen, die für feinere Schmecker von Interesse werden. Es besteht zum Beispiel kein Grund,
warum man nicht den „Pithiviers Pie – knuspriger Blätterteig, Sellerie, Sauce mit Lauch & Blauschimmelkäse“ mit exzellenten Pilzen statt Mischpilzen, mit exzellentem Blauschimmelkäse und handgemachtem Blätterteig etc. in einen hervorragenden Zustand bringen sollte. Die Vorlagen jedenfalls sind häufig auch für solche Art von Optimierungen durch routinierte Privatköche geeignet.

Fazit
Ein überraschend sinnvolles und nützliches Buch von einem Koch, von dem man das vielleicht bei diesem Thema nicht erwartet hätte. Überraschend ist vor allem auch das Selbstbewusstsein, mit dem hier gegen einen oft anämischen vegetarisch-veganen Stil ein süffig-mehrheitsfähiger Stil gesetzt wird, der viele Gerneesser, die bei vegetarischen Gerichten nicht unbedingt zur Selbstkasteiung neigen, erfreuen wird. Der praktische Nutzwert ist hoch, das Anregungspotential dito. Da muss man schon in der Bewertung nicht zu kleinlich sein. Auch Kochbücher, die wirklich nützlich sind, haben eben ihren Rang.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Fotos © Dorling Kindersley-Verlag

1 Gedanke zu „Vegetarisches für Fleischesser? Jamie Olivers neues Buch“

  1. Sehr geehrter Herr Dollase,
    mit großem Gewinn lese ich regelmäßig Ihre Texte. Die Rezension zu Jamie Olivers „Veggie“-Kochbuch lässt mich allerdings ein wenig ratlos zurück. Grundsätzlich steht Jamie Oliver bei mir hoch im Kurs, sein Engagement für eine gesunde und abwechslungsreiche Schulverpflegung kann gar nicht genug gewürdigt werden.
    Die Rezepte in seinen Büchern bringen aus meiner Sicht auch durchaus eine gewisse neue Note in die oft eingestaubte Küche von Wenig- und/oder Alltagsköchen.
    Ich hätte jedoch nicht gedacht, dass ein Kochbuch, das in der Lage ist, den Komaesser zu erfreuen, bei Ihnen auf positive Resonanz stößt. Worin liegt denn nun der große Gewinn dieser Rezepte? Im Verzicht auf Fleisch, ist es das? Provokante Frage, die ich selbst nicht recht zu beantworten weiß: Ist Jamie Olivers Jagd nach dem süffigen Geschmack nicht das Geschwisterchen der Beyond-Meat-Burgerindustrie?
    Ihr überraschend wohlwollendes Fazit für Jamie Olivers neues Buch hat mich – der ich durchaus ein Fan des süffigen Geschmacks bin – ebenso irritiert wie Ihre Bewertung bei der Verkostung der „Boulets“ aus Lüttich.

    Viele Grüße
    Pauly

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