Wild mit Rüssel

Harald Rüssel: Wild, Wald, Genuss. Vom Kochen und Jagen. Dorling Kindersley Verlag, München 2021. 256 S., Hardcover, 34,95 Euro

Harald Rüssel von „Rüssel’s Landhaus“ in Naurath/Wald in der Nähe von Trier ist eigentlich kein umstrittener Koch, wird aber sehr unterschiedlich bewertet. Während er im „Feinschmecker“ mit 4,5 F zu einem engen Kreis von Spitzenrestaurants gehört, hat der Michelin nie mehr als einen Stern vergeben. Dass das angesichts eines recht deutlichen eigenen Stils (der sich allerdings vor allem im nicht sichtbaren, aromatischen Bereich niederschlägt) und der handwerklichen Qualität zu wenig ist, meinen sehr viele Beobachter. Wie dem auch sei: auch mit seinem zweiten Restaurant im Haus („Hasenpfeffer“) hat er bewiesen, dass er nicht nur Gourmetkoch ist, sondern auch andere Formate beherrscht und insofern auch bestens als Buchautor geeignet ist. Es gibt ein neues Wild-Kochbuch von dem passionierten Jäger, und es ist nicht das erste: schon 2012 gab es im Umschau-Verlag „Wild. 130 Rezepte für jeden Tag“. Auch bei seinem jetzigen Verlag gibt es schon ein Wild-Kochbuch, und zwar mit dem Titel „Wild. 200 junge Rezepte, natürlich aus dem Wald“ von 2020. Vielleicht ist das ja ein wenig im Corona-Nicht-Getümmel untergegangen.

Harald Rüssel und sein Verlag setzen auf eine Tendenz, die in den letzten Jahren immer deutlicher geworden ist. Während die industrielle Fleischerzeugung immer wieder wegen ihrer geringen Verbindung zur Natur in die Schlagzeilen gerät, verweisen die Jäger stärker auf ihre klassisch enge Verbindung zur Natur, auf die Natürlichkeit des Jagens, die natürliche Ernährung und Lebensweise des Wildes und selbstverständlich auch den Tod der Tiere, der von industrieller Schlachtung denkbar weit entfernt ist. All das schlägt sich in diesem Buch nieder und wird dort thematisiert. Andererseits gibt es heutzutage allerdings auch eine ganz andere, etwas merkwürdige Tendenz zu beobachten. Man könnte sie als „SUV, Jagdschein, weiblich“ bezeichnen, eine Art Schickimicki-Spielwiese, die den seriösen Vertretern der Jagd nicht so ganz gefallen dürfte. Davon hat dieses Buch allerdings nichts.

Das Buch
Harald Rüssel wirbt auch in diesem Buch wieder für das Wild, den Wald, die speziellen Genüsse die er bringt und zeigt unprätentiös und ohne Kitsch all das, was zum Thema gehört. Insofern sind dann auch die ersten rund 50 Seiten noch nicht den Rezepten gewidmet. Es geht um „Natur und Jagd“ in Kapiteln wie „Wildbret: gutes Fleisch“, „Kleines Hundewesen“, „Gedanken zum Wald“, „Wildbretschule“, „Brauchtum und Waidgerechtigkeit“ oder „Familie und Jagd“. Die „Wildbretschule – Teilstücke und ihre Verwendung“ etwa stellt die einzelnen üblicherweise gegessenen Stücke vor. Dabei fällt auf, dass etwa bei Rothirsch und Reh die Innereien gar nicht erwähnt werden. Ich habe im Verlauf der Jahre eine Menge von Wildinnereien gegessen (inklusive Hirschhirn und z.B. Lebern von sämtlichen Tieren), weil man mir demonstriert hat, dass in früheren Zeiten selbstverständlich auch beim Wild „Nose to Tail“ praktiziert wurde und nichts weggeworfen wurde. Bei Wildhase und -geflügel ist das anders, hier erwähnt Rüssel auch die Innereien. Bei diesem Thema hätte man also auch noch etwas weiter gehen können. Es muss ja nicht gerade Ducasse sein, der davon gesprochen hat, eine noch körperwarme Rehleber sei eine unvergleichliche Delikatesse

Es folgen die Rezepte in den Kapiteln Reh, Hirsch, Wildgeflügel, Wildschwein, Wildkaninchen und Wildhase. Danach „Wild grillen“, „Selber wursten“, „Suppen und Eintöpfe“ Desserts und Getränke“ und Grundrezepte und Beilagen. Hier nun zeigt sich die Stärke dieses Buches, die viel damit zu tun hat, dass Harald Rüssel eben schon lange mit diesem Thema befasst ist und weiß, wie man die absolute Eintönigkeit der bürgerlichen Wildküche (und auch erstaunlich vieler Gourmetrestaurants, denen zu Wild ebenfalls oft mehr oder weniger immer das Gleiche einfällt) überwindet. Dass er dabei nie die Süffigkeit verliert, sondern auf eine evident gut schmeckende Basis setzt, macht das Buch ausgesprochen nützlich. Dass die Rezepte dabei bisweilen etwas umfangreicher werden, grenzt den Kreis auf – sagen wir: erprobte PrivatköchInnen aufwärts ein. Hier einige Beispiele. Das erste Rezept ist ein „Rehfilet mit Mole, Ingwer-Couscous und Verbene-Jus“, wenig später kommt dann doch eine „Rehleber mit Kürbisstampf und Honig-Limetten-Jus“. Der Kürbisstampf, den man ja auch sehr einfach machen könnte, wird hier mit kleinen Kartoffelwürfeln als Bindung angereichert, es gibt Akazienhonig, Muskatnuss, Weißwein, Brühe, Schale und Saft einer Zitrone, gemörserte Korianderkörner und Rieslingessig dazu. Für Profis und Routiniers ist das alles keine Sache, ein probates Verfahren, in dem die diversen Zutaten nicht schwierig wirken. Für Novizen sind das sehr viele Zutaten. Hier merkt man eben, dass Rüssel Gourmetkoch ist und nicht unbedingt an Reduzierungen denkt. Eine Seite später sieht man eine Rehnuss leicht dampfend auf einer Art Tischgrill liegen – was im Rezepttext aber nicht vorgesehen ist… Aber das nur am Rande.
Dominant ist immer wieder eine leichte, feine Rustikalität wie etwa bei der „Hirschschulter mit Craftbier und Serviettenknödel“. Manchmal geht es ins etwas kreativere Fach wie beim „Wildschwein mit Blauschimmel-Risotto, Chicorée und Portwein-Ingwer-Jus“, manchmal trifft traditionelle Klassik auf moderne sensorische Kontraste wie etwa beim „Gefüllten Kaninchenrücken mit Gartentomatensalat“, manchmal ist die gesamte Begleitung klassisch wie bei den „Kaninchenkeulen mit Morcheln und Kartoffel-Erbsen-Risotto“. Ob Suppen oder Grundrezepte: man wird die angereicherte Handschrift Rüssels immer wieder finden, sie ist der rote Faden, der nicht unbedingt für puristische, sondern elaborierte Kreationen steht – mit einem klaren Schwerpunkt in klassischen Zubereitungen.

Fazit
Rüssel hat die Dinge im Griff und quasi eine eigene Wildküche entwickelt, die zu seiner kulinarischen Sozialisation und seiner Umgebung perfekt passt. Es ist das Buch eines Gourmetkochs, der seine Mittel so einsetzt, dass die Ergebnisse das auch schmecken lassen. Und weil er dies sehr konsequent tut, ist das Buch vor allem wegen der Süffigkeit der Rezepturen eine gute Quelle. Wer selber immer auf einem ähnlich differenzierten Niveau kocht, kann das zügig und mit viel Vergnügen übernehmen. Wer praktisch nicht so gut ist, wird etwas Arbeit haben. Es wäre jedenfalls ein großer Fortschritt, wenn sich aus dieser souveränen Sicht eine Verbesserung der bürgerlichen Küche ergeben würde und Wildgerichte übers ganze Jahr hinweg ein Thema würden.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Fotos © Anna Schneider neon Fotografie Studio / Dorling Kindersley Verlag

1 Gedanke zu „Wild mit Rüssel“

  1. Lieber Herr Dollase, vielen Dank.
    Vielen Dank für die Beschreibung meines neuen Kochbuches.
    In der Tat sind die Innereien in unserm Buch ein wenig zu kurz gekommen .
    Aber darüber müßte man mal ein Extra Buch schreiben. Für Liebhaber von Herz und Leber. Horrido , aus Naurath.
    In unseren Restaurants kommen diese Speziellen Leckereien gerne auf den Tisch , den nur Edelstücke rosa braten wäre zu einfach. Beste Grüße Harald Rüssel.

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