Xavier Pellicer: Healthy Kitchen. Barcelona, Editorial Planeta 2021. 269 S., Hardcover, 27,95 Euro (in spanischer Sprache)

Zuerst wieder einmal eine Anmerkung zur Sprache. Das Buch ist ganz neu und ist erst einmal in spanischer Sprache erschienen. Ich bespreche es trotzdem, weil ich weiß, dass viele Interessierte auch fremdsprachige Bücher kaufen, weil sie vielleicht die Sprache nicht fließend sprechen, aber die Rezepte doch ziemlich gut verstehen. Und zusammen mit den Bildern gibt das dann durchaus eine klare Information. Der oben genannte Preis ist der Preis in Spanien. Das Buch ist online ohne weiteres zu bekommen und kostet dann etwa 35 Euro.

Foto: Xavier Pellicer © Thomas Ruhl
Xavier Pellicer ist gerade für viele seiner Kollegen und andere Spezialisten einer der besten Gemüseköche der Welt – wenn nicht der beste überhaupt. Ich habe hier auf www.eat-drink-think.de bereits im Januar 2017 ausführlich über einen Besuch bei ihm im „Celeri“ in Barcelona geschrieben. Sie finden in dem Text auch die biographischen Details. Ich habe während des Essens quasi vor dem Arbeitsplatz von Pellicer gesessen, was immer hochinteressant ist, weil ich jeden Handgriff verfolgen und üblicherweise auch einordnen kann. Pellicer hatte auch Zeit, mir parallel seine Gerichte und vor allem die Produkte zu erläutern. Anders als das meist der Fall ist, verfügen spanische Köche wie er über eine ganze Reihe von Lieferanten, die neben einer ganzen Reihe von bei uns wenig bekannten Produkten scheinbar „normale“ Produkte in einer so exzellenten Qualität produzieren, wie man das nicht für möglich hält.

Als ehemaliger Küchenchef von Drei-Sterne-Koch Santi Santamaria und dessen – wenn auch kurzfristiger – Nachfolger verfügt Pellicer über substantielle Kenntnisse der Spitzenküche, ist also kein Koch, der irgendwo aus einem eher „alternativen“ Lager kommt. Ich fand im „Celeri“ vor allem das Spiel zwischen den Gemüsegarungen, Olivenöl und Säure beeindruckend, das zu Resultaten führt, die man – man muss es leider so sagen – bei uns bisher quasi nicht findet. Die Küche ist eine Art Gemüseküche einer fortgeschrittenen Generation, die sich schon seit langer Zeit mit Gemüse beschäftigt und mittlerweile nicht nur präzisere Techniken, sondern auch ein komplett anderes aromatisches Verständnis entwickelt hat.

Das Buch
Passend zum Thema, das „gesunde Küche“ propagiert und auch etwas mit Ayurveda zu tun hat, ist dieses Buch kein Hochglanz-Feature für einen Koch und seine Kreationen, sondern „down to earth“, sachlich, informativ und den ganzen Ansatz von Xavier Pellicer betreffend. Wer sich für diese Gründung seiner Ideen interessiert, wird hier alles finden.
Zum Kapitel über die biodynamischen Grundlagen gehören hier auch die Grundzubereitungen, also diverse Öle, Essige und Fonds. Es gibt dann auch biographische Notizen und die Entwicklung von seinem „Celeri“ (das eher Tapas auf dem Programm stehen hatte) zum jetzigen Restaurant „Xavier Pellicer Healthy Kitchen“, in dem es auch wieder stärker im Gerichte geht, die keinerlei Einschränkungen in der Komplexität haben.

Schon bei einem der ersten Rezeptbilder wird klar, woher hier der Wind weht. Man sieht halbierte Artischocken, die auf der Schnittseite regelrecht verbrannt sind und mit weißem Romanesco gefüllt wurden. Wenig später wird ein Blumenkohlpüree in Richtung Essig und Salz gefahren – übrigens in einer Fassung für Vegetarier und einer „Versión omnivora“, also für Allesesser. Es wird schnell klar, dass Pellicer mit diesem, nach oben „offenen“ Konzept sein volles Leistungsvermögen realisieren kann. Auch die Entfernung von den oft so beliebig wirkenden Rezepten in Unmengen von vegetarisch oder vegan orientierten Büchern wird schnell deutlich. Sein Couscous ist eben nicht irgendeine Variante zwischen Nordafrika und vorderem Orient, sondern ein absolut individuell gedachtes Gebilde mit einem komplett anderen Geschmack, aber allen Vorteilen dieses kleinformatigen „Ragouts“. „Kohl, Trüffel, Salz“, heisst es wenig später – zum Abschluss des Kapitels über den Frühling. Es folgen Kapitel über Sommer, Herbst und Winter, unterbrochen von einem allgemeinen Kapitel über Gemüse, über das persönliche Verständnis der Küche von Pellicer, über das Equipment in der Küche (von offenem Feuer bis zu High-Tech natürlich), über die „Konstruktion meiner Gerichte“ und schließlich über Desserts, die hier natürlich ebenfalls deutlich andersartig sind.

Hier einige Impressionen. Seine „Auberginen nach Art eines Baba Ganoush mit konfierten Limonen“ sind eine komplex und grammgenau (!) aufgebaute, wunderbar elegante und variantenreiche Geschichte (zu der es auch wieder eine Omnivore-Fassung gibt). Die kleinen Kürbisse füllt er mit seiner Ratatouille-Version und begleitet sie mit Algenpesto und frittierten Algen – ein typischer Zugriff à la Pellicer, bei dem eine ungewöhnliche Kombination auch gleichzeitig für die Uminterpretation bekannter Aromen sorgt. Zwei Hummus-Versionen werden ausschließlich von Mikroelementen begleitet, eine Technik, die er auch beim Spargel und anderen Rezepten anwendet und die sein hoch entwickeltes sensorisches Verständnis zeigt. Der Spargel etwa wird als einzelne, dicke Stange Grünspargel serviert und von Algen begleitet. Ähnlich verfährt er dann auch mit Calcot, der berühmten (Lauch)zwiebel. Es gibt die Karotte als Einzelstück, als „Zanahoria a la brasa“, feinst geschmort und begleitet und immer wieder überraschend einfache Ansätze, die dann eine überraschend sinnvolle und raffinierte Weiterführung finden. In der Mischung aus Einfachheit, Interpretation und einer neu entstehenden Komplexität erkennt man sehr schnell und – vor allem beim detaillierten Studium der Rezepte – einen Kopf, der die Dinge anders sehen kann, der geschmackliche Nuancen und Perspektiven entdeckt, die andere einfach (noch) nicht sehen. Wenn man die Arbeit von Pellicer, der bei weitem nicht so pompös daherkommt wie etwa Alain Passard, mit der vieler Kollegen vergleicht, fällt auf, dass hier ein großes Vertrauen in die eigene Arbeit und ihre Qualität besteht. Es fällt im Vergleich zum Beispiel zu Passard auf, dass dieser aromatisch weit näher an der französischen Klassik steht, gar nicht so modern ist und eben vor allem das Fleisch weggelassen hat (um es einmal salopp zu formulieren).

Fazit
Auch wenn das Buch unprätentiös daherkommt und so wenig Inszenierung ist, hat der Inhalt enorme Dimensionen. Das Buch ist ein Muss für alle Köche, die in Zukunft nicht umhin kommen werden, im vegetarischen Fach große Fortschritte machen zu müssen. Die Anregung, die man hier bekommt – auch in der Spitzenküchen-tauglichen Präsentation – ist deshalb so wichtig, weil sie über den üblichen Massen-Vegetarismus weit hinausgeht. Pellicer hat das Zeug zum Vorbild für richtig gute Köche, nicht Ottolenghi oder Molcho oder wer auch immer.

Das Buch bekommt drei grüne BBB

Fotos © Carles Allende, abfotografiert von Jürgen Dollase

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