Der Koch und ich – Kapitel 3 Internatsessen

Internatsessen
Aufgrund meiner schulischen Leistungen riet der Dorfschullehrer, mich aufs Gymnasium zu schicken, aber das war fahrtechnisch und finanziell nicht zu lösen. Ich sollte also in das Gymnasium mit Internat nach Daun, noch tiefer in der Eifel, wo einst Vulkane tobten. Das kirchlich geprägte Internat nahm aber keine feindlichen Evangelischen auf, und so machte ich mich 1961 nach Bad Neuenahr auf, um im Staatlichen Aufbaugymnasium die Aufnahmeprüfung zu absolvieren, die ich wohl bestanden hatte, denn irgenwann kam ein Brief mit meiner Einberufung. Ich wurde in den Zug von Speicher/Eifel nach Bad Neuenahr gesetzt. 88 Bahnkilometer Vier Stunden Fahrzeit mit zweimal umsteigen. Zimmer 104 im alten Kronenhotel. Weitere 5 Schüler teilten sich ein Waschbecken, geduscht wurde Samstag. Es gab Saaldienst, auch wenn man mal wieder zu spät kam als Strafe. Der Saaldienst tischte auf und räumte ab. Ich lernte sehr schnell, dass niemand fragte ob ich dieses oder jenes essen wollte oder nicht. Entweder man aß den komischen Nudelsalat oder eben nicht, es blieb nie etwas übrig. Es gab aber durchaus diffus schmackhafte Gerichte, besonders am Samstag, wenn die gedrängte Wochenübersicht serviert wurde. Also nach was die Speisen so richtig schmeckten, war nicht zu definieren. Umami pur! Die gesamte Internatsgeschichte zu erzählen oder nieder zu schreiben würde ein ganzes Buch füllen und mein Freund Titus Dittmann hat schon wesentliche Bestandteile unserer Zeit dort beschrieben nämlich in seinem Buch „Brett für die Welt“ und dem Bericht ist nur wenig hinzuzufügen. Eine Zeit, die immer verklärter daher kommt und die alten Kumpels von damals dichten bei unseren Treffen immer noch etwas hinzu. In letzter Zeit lassen sie aber auch immer mehr weg, und ich entdecke diesen Trend auch bei mir. Deshalb schreibe ich Erinnerungen auf, bevor sie gänzlich verschwinden. Was aber frustrierend war, dass ich nur in den Ferien nach Haus fahren konnte. Viele meiner Zimmerkameraden fuhren fast jedes Wochenende heim und brachten immer Köstlichkeiten mit, an denen ich nur wenig partizipieren konnte. Oma schickt immer Pakete und packte im Frühsommer immer Erdbeeren in Plastikdosen. Deren Inhalt war dann meistens schon leicht angegoren, was ich ihr aber nicht verriet. Das Internats- und spätere Studentenessen war meistens zweckmäßig ok, ging so. Als Sportstudent mit Zehnkämpfermuckies waren Nudeln mit Zwiebeln und Maggi die richtigen Energielieferanten, neben den ausgiebigen Gelagen bis Morning Sun im Studentenheim in Bonn. Der Geschmack verfeinerte sich aber langsam in allen Sinnen, das Viel wich dem Auskosten. Nur das Schnellessen als Überlebensstrategie aus der Internatsära in Bad Neuenahr, ließ sich nur schwer beherrschen und ist auch heute noch Teil meines Genießens. Ich bin meistens als Erster fertig und weiß nicht, wie die anderen Mitgenießer es schaffen, so lange herum zu stochern. Sie beherrschen die Atomspaltung mit Messer und Gabel. Aber es gibt doch andere Ansprüche als die der wilden Zeit. Heute mag ich sie nicht, die fetten Plastikköche, die mit einem Tableau in der Hand und zugekniffenem Auge verkünden, dass gerade Schnitzeltag ist, für 6,95 €. Oder frische Schweineleber mit Röstzwiebeln anpreisen. Nicht die Gerichte stören meinen Blick, sondern die schmuddelige Reklame dafür. Auch die All you can eat Welle, die uns überschwappte. Diese Fett-Triefe aus den Mundwinkeln wird nur noch vom Rittermahl übertroffen, das die selbe Kundschaft bedient. Von diesen Veranstaltungen und Anmachungen sollte es Hunderte geben. Vermutlich gibt’s Tausende. Aber warum klage ich? Zur Zeit ist alles gastronomisch interessante Corona geopfert. Aber man kann immerhin wieder selbst in der Küche tätig werden. Vielleicht doch mal die verpönte Mehlschwitze oder mit etwas Milch dazu die Béchamelsauce auf guten Kartoffel. Alles zu fett, nichts für Diätler mit der Strenge des Verzichts um die Mundwinkel. Aber als Genießer weiß ich, dass sich Genuss nicht stringent an Menge orientiert. Nun gut, das höhnische Lachen der sprechenden Badezimmerwaage habe ich abgestellt.

Frank-Krajewsk
Foto © Claus Kuhlen

Freuen Sie sich nächsten Sonntag auf ein weiteres, neues Kapitel aus dem spannenden kulinarischem Leben von Frank Krajewski.

4 Gedanken zu „Der Koch und ich – Kapitel 3 Internatsessen“

  1. Als ebenfalls Ehemaliger eines Aufbaugymnasiums kann ich das gut nachvollziehen. Mit dem Abstand von 50 Jahren kann ich jetzt sagen, das Internatsessen war eigentlich gar nicht so übel, allerdings gab es ein paar Sachen, die wir richtig gehasst haben. Da waren zunächst die Kohlrouladen, von uns „apokalyptische Krautwickel“ getauft, und – ganz schlimm – die Butter beim Frühstück die von Vortag recycled war und dann mit Marmeladespuren der Vorgänger marmoriert war. Dieses Problem haben wir gelöst, indem von unserem Tisch immer einer früher aufstehen musste und ein frisches Stück abgreifen musste. Irgendwann wurde diese Aufbereitung dann aber der Hauswirtschafterin verboten, wer weiß, was sie dann mit der Butter angestellt hat. Das Getränk war eine Art Limonade, hergestellt aus einem Pulver namens „Moderna Zitrone“, weshalb ich beinahe meine, ehemalige ABGisten brauchen keine Impfung von Moderna, weil sie immer noch genügend von deren Stoff im Körper haben. Jahre später, in der Hotelfachschule, gab es keine Verpflegung, weshalb die Universität uns gestattete, am Mensaessen teilzunehmen. Das Mensaessen war extrem kohlenhydratlastig, was dazu führte, dass man gleich am Nachmittag wieder beim Bäcker um Kuchen oder Teilchen anstand.

    Antworten
    • Ja, dieses und andere obskure Gerträke gab es bei „uns“ auch. Es wure kolportiert, dass in dem Tee ein chemischer Stoff namens Hängolin bei gemischt sei, um sexuelle Aktivitäten zu inhibieren. Also daher die Vorsilbe „Häng“. Irre Zeiten. Es gab auch Panzerplatten, das waren irgendwelche Keksähnliche Gebilde aus Bundeswehrbeständen, die ohne Getränk nicht herunter zu bringen waren.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar