Heiko Antoniewicz: Umami. Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2018. 160 S., geb., 49.90 Euro

Warnhinweis: Ich muss die Rezensionen dieses sehr guten Buches mit einem wichtigen Hinweis beginnen. Der Umami-Gehalt diverser Lebensmittel ist mit dafür verantwortlich, dass wir ihren Geschmack gut finden. Dies ist auch einer der wichtigsten Gründe dafür, dass viele italienische Gerichte und große Teile der asiatischen Küche weltweit gerne gegessen werden. Diese Glutamat-Wirkung ist natürlich der Nahrungsmittel-Industrie nicht verborgen geblieben und hat dazu geführt, dass sie viele ihrer Produkte stark mit Glutamat (i.w.S.) anreichert. Ganz unabhängig von den oft diskutierten Glutamat-Unverträglichkeiten hat dies aber auch noch ein weiteres Problem produziert, nämlich die Gewöhnung an stark gewürzte, oft von Glutamat gesättigte Geschmacksbilder. Dass diese Gewöhnung häufig an eine Abhängigkeit erinnert, kann man zum Beispiel daran erkennen, dass nicht so stark gewürzte Produkte von den betroffenen Menschen oft als fade und geschmacklich unattraktiv empfunden werden. Das bedeutet für die Küche, dass zum Beispiel produktnahe Rezepturen mit Elementen, die keinen hohen Umami-Anteil haben, kaum eine Chance haben, wirklich populär zu werden. Weil dies vor allem viele Gemüse sind, haben entsprechende Zubereitungen im Vergleich zu den Umami-gesättigten einen schlechten Stand. Dies kann nicht im Interesse von Leuten sein, die die Zukunft der Ernährung in mehr Sensibilität vor allem auch für nicht so stark gewürzte Produkte sehen. In diesem Buch wird das zumindest erwähnt. Es besteht also die Gefahr, dass ein unkritisches Verhalten und Arbeiten mit Umami langfristig-positive Ziele von Ernährung und Kochkunst aus dem Auge verliert. Dies will ich hier unbedingt erwähnen. Der intelligente Umgang mit Umami ist die eine Sache, und sie ist selbstverständlich hochinteressant. Das besinnungslose anreichern jedes Gerichtes mit Unmengen von Würze/Umami die andere. Dass auch ansonsten hervorragende Köche davon nicht befreit sind, konnte und kann ich leider immer wieder erleben. In der Abteilung „Gastronomie“ habe ich hier auf www.eat-drink-think.de das Problem unter dem Titel „Umami-Tsunami“ übrigens bereits ausführlich beschrieben.

Nun aber zu diesem sehr guten Buch aus der Hand von Heiko Antoniewicz, dem Koch, der in Deutschland absolut führend darin ist, Input in das System zu geben – vielleicht auch deshalb, weil er von der Arbeit in einem Restaurant „befreit“ ist. Antoniewicz hat die besondere Gabe, sich ganz unterschiedlichen Themen widmen zu können, zügig aufkommende Trends aufzunehmen und auf einem so hohen Niveau auszubauen, dass seine Ideen frühzeitig Einfluß und Verbreitung gewinnen.

Das Buch
Wie in den Büchern von Heiko Antoniewicz üblich, gibt es auch in „Umami“ einen soliden theoretischen Unterbau – zumindest was die Wahrnehmung und Wirkungsweise des „fünften“ Geschmacks angeht. Es gibt eine Einleitung von Antoniewicz zum Thema, dann eine weitere von Nikolai Wojtko über diverse Aspekte des Schmeckens und ein Gespräch mit dem Molekularbiologen Michael Podvinec zum Thema. Am Ende des Buches folgt ein Glossar und ein weiterer Text von Michael Podvinec mit dem Titel „Warum der fünfte Geschmack unserem Körper guttut.“ Das ist gut und hilfreich, geht aber vielleicht nicht ganz weit genug (siehe oben).

Der Rezeptteil ist glänzend. Die Rezepte sind nach 5 Stufen der „Umami-Intensität“ aufgebaut, vom „Geprasselten Kopfsalat mit Dosenmilch und Zwiebeln“ bis zur „Taube mit Shiitake-Pilzen und Kaki“.
Antoniewicz arbeitet immer an der Grenze zwischen traditioneller Kochkunst und Küchentechnik und kreativer Küche nebst aktuellen Kochtechniken und Zubereitungsformen. Diese „fortgeschriebene“ Kreativität hat den Vorteil, dass sie immer auch den assoziativen Kontext beim Esser anregt, ihn also nicht mit Produkten und Zubereitungen beschäftigt, die er nicht einordnen kann. So, wie das hier gemacht wird, ist es für avancierte Privatköche und Profis gleichermaßen nützlich und sinnvoll.

Es gibt also z.B. eine „Cheddarcreme mit Biercerealien und Chorizo-Chip“, „Gerösteten Brokkoli mit Carabinero und Galgant“, einen Kalbsrücken mit Kalbsjus (u.a. mit Tomatenserum aus Antoniewicz-Herstellung und Krustentierfond), getrockneten Tomaten und Okraschoten, „Geröstete Gerste mit Lammrücken und Malz“ oder die kräftige Kombination von „Rote Bete Tapioka, Jacobsmuscheln und Bottarga“, angereichert mit Dillspitzen, Minzeblättern, grüner Kapuzinerkresse, gerösteten Algenblättern und Joghurtchips. Aus der Abteilung mit der höchsten Umami-Stufe stammen z.B. „Aal, Selleire und Rindfleischextrakt (plus geröstete Cashewkerne und Bärlauchkapern, Paprikaschote, Kaffeeöl, Umamisalz und geröstetes Sesamöl) oder die „Fermentierte Reiscreme mit Miesmuscheln und Karotten.

Im Detail finden sich eine Menge asiatischer Produkte und Zubereitungen, weil es dort in Sachen Umami die komplexeste Tradition gibt. Kochtechnisch fällt nicht nur die Vielfalt der Techniken auf, sondern auch die Tatsache, dass die Zubereitungen oft erfreulich „kurz“ sind. Antoniewicz zehrt eben von Ideen und nicht davon, möglichst komplizierte Zubereitungen zu haben. Natürlich setzen sich die diversen „kurzen“ Einzelzubereitungen in der Summe dann auch wieder zu komplexen Strukturen zusammen. Die sensorische Vielfalt ist in der Regel hoch und – naturgemäß – die aromatische Sättigung auffallend hoch. Dass sich dennoch eine oft transparente Vielfalt ergibt, ist ein besonderer Verdienst dieses Buches: Antoniewicz „entzerrt“ die aromatische Dichte durch eine gute Textur- und Temperaturregie.

Fazit
Das Buch hat eine schöne, moderne Gestaltung mit gepolstertem Cover und guten Fotos und eben einen Inhalt der erfolgreich versucht, ein Maximum an Finesse rund um Umami zu realisieren. „Umami“ kann so eine wichtige Orientierung nicht nur für Leute werden, die sich einmal konsequent mit dem Thema befassen wollen, sondern auch eine Hilfe für diejenigen Köche, die ihre Menüs mit einem Übermaß an Umami von den Amuse Bouche bis zu den Desserts malträtieren und im Endeffekt die Gäste manchmal mit einem Gefühl verlassen, das man sonst nur an asiatischen Büffets zu beklagen hat. Heiko Antoniewicz bringt System in die Sache, und das auf einem sehr hohen Niveau.

Das Buch bekommt 3 grüne BBB

(Fotos: Tre Torri Verlag, © Thorsten kleine Holthaus)

2 Gedanken zu „Heiko Antoniewicz: Umami. Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2018. 160 S., geb., 49.90 Euro“

  1. Das die Köche nicht schüchtern sind im würzen ist ja ganz selbstverständlich,der Großteil ihres Restaurant Publikums ist im reiferen Alter,und im Alter nehmen die sinneswahrnehmungen ab,also muss die Speise natürlich gut und kräftig gewürzt sein für das reifere Publikum da die es sonst als fad wahrnehmen würden.

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