La Chassagnette, Le Sambuc, Camargue

Hier nun mehr zu diesem enorm wichtigen und interessanten Restaurant. Während „La Chassagnette“ in Frankreich zu den bekanntesten Restaurants gehört, lässt die Rezeption der Arbeit von Jean-Luc Rabanel und seinem Nachfolger Arnaud Arnal bei uns immer noch zu wünschen übrig. In Frankreich gab es Zeiten, in denen dieses natürliche und bodenständige Restaurant so etwas wie der letzte Schrei war, der buchstäblich in jeder Deko- und Frauenzeitschrift auftauchte. Vielleicht hat diese Publizität ein wenig von der eigentlichen Bedeutung abgelenkt.

Man arbeitet im „La Chassagnette“ nun schon seit rund 20 Jahren an einer BIO-Küche mit weitgehend selbst gezogenen Pflanzen und mit einem konsequenten Bezug zur Region. Und weil man hier zu den Pionieren zählt und Köche in Frankreich allgemein nicht dazu neigen, sich allzu viel international zu orientieren, hat sich hier ein ganz eigener Geschmack mit einer ganz eigenen Kochtechnik entwickelt, die teilweise deutlich von dem abweicht, was bei uns oder auch in Skandinavien in diesem Fach gemacht wird. Bei der Durchsicht der Gerichte wird das sehr schnell deutlich.

Das Menü

Amuse 1
Mit einer Hippe von Buchweizen, Oliven und etwas Hummus beginnt das Menü komplett puristisch und unprätentiös. Die Qualität ist gut, aber nicht so, dass sie gleich auffällt. Wenn man ein wenig in der Gegend unterwegs ist, bekommt man einen Einstieg wie diesen recht häufig.

Amuse 2
Mit der Kollektion von Gemüsetempura ändert sich das Bild deutlich. Die Tempura-Schicht schmeckt sehr frisch und leicht und liefert nur einen Hauch von krosser Textur und Röstaromen zu den Gemüsestücken. Die wiederum fallen wegen ihrer tagesfrischen Präsenz durch die Ernte im eigenen Garten vor der Tür des „La Chassagnette“ sofort positiv auf.

Schmelzende Kohlrabi, wilde und kultivierte Kräuter, Jus von Kapuzinerkresse
Schon bei diesem ersten Gang denkt man unweigerlich über den Stil des Hauses nach und beginnt mit Vergleichen zu anderen Restaurants in diesem Fach. Arnaud Arnal arbeitet sehr direkt mit den Produkten und unterzieht sie keinen größeren Eingriffen. Die Zubereitungen sind also „kurz“ und ergeben einen eher puristischen Produktgeschmack. Eine „Finesse“ nach Art vieler Spitzenküche, bei der es vielleicht um „unergründliche“ Aromen etc. geht, wird man hier vergebens suchen. Insofern ist hier typisch, dass es zwar wg. Pürierens nicht nach Kohlrabi aussieht, aber ganz klar danach schmeckt – wobei hier natürlich auch die Blätter verarbeitet sind. Das Pürieren ist eine der wenigen Manipulationen, die man hier häufiger antrifft, wobei die jeweiligen Pürees aber so gut wie nie in irgendeine komplexe aromatische Form gebracht werden. Vor dem Hintergrund des Mixes aus Kohlrabi und Kräutern bilden sich die Kapuzinerkresse-Blüten und -Blätter erstaunlich prägnant ab.

Weißer Spargel und junger Lauch, roher und getrockneter Thunfisch, Condiment Zitrone-Petersilie
Auch die Würze kommt hier nicht aus dem Glas oder von Fonds, sondern in erster Linie direkt von anderen Produkten – wie in diesem Falle die Mischung Zitrone und Petersilie. Die Blätter werden normalerweise „aller et retour“ gegart, also sehr kurz in einer Pfanne mit Olivenöl etc. geschwenkt. Sie erhalten etwas Temperatur und einen Hauch von Garung an der Oberfläche, behalten aber ihren Biss und damit ihr Produktaroma. Der Thunfisch ist gut und wieder extrem frisch, aber nicht japanisch-artistisch in der Produktauswahl. Das Geschmacksbild ist vielseitig, bleibt aber strikt in einem rohen, sehr „grün“ schmeckenden Fach.

 
Taboulé von weichem Blumenkohl, Crevettes roses mit Ingwer und Gelbwurz
Die Titel der Gerichte sind bisweilen ein wenig anders, als es die Optik auf den ersten Blick zeigt. Die lokalen Crevetten schmecken ganz ausgezeichnet frisch, aber nicht so jodig, wie man das bisweilen in Spanien findet. Die Weiterarbeit mit dem Blumenkohl hin zu einem „Taboulé“ ist typisch für den Stil der Küche, der variiert, aber nicht transformiert. Ganz allgemein hat man den Eindruck, als ob Arnaud Arnal zum Finish noch einmal kurz in den Topf mit aktuellen Kräutern, Blüten oder Blättern greift und spontan ergänzt

Glasierte, weiche Lauchzwiebeln, Zuckerrübe und Seeteufel vom Grill
Dieses deutlich gegarter wirkende Gericht ist nicht so weit von rohem Geschmack entfernt, wie man das vielleicht glauben könnte. Bei dieser ersten Stufe der warmen Gerichte geht es noch sehr moderat zu. Alle gemüsigen Bestandteile sind zurückhaltend behandelt und weich. Sie bilden mit der vegetabilen Sauce den Hintergrund, der es ermöglicht, den nachhaltiger schmeckenden Fisch präzise und präsent wahrzunehmen. Das Finish kommt dann wieder von rohen Elementen. Die Zuckerrübe ist hier nicht wirklich zu identifizieren, sondern reiht sich unauffällig in den eher lauchig schmeckenden Zusammenhang ein. Der Seeteufel kommt zwar vom Grill, hat aber wenig Grillnoten und eher eine knappe Oberflächengarung.

Mit Karottenjus und Zitrusfrüchten gerösteter Pak Choi
Bei der zweiten Stufe der warmen Gerichte geht es an kräftig geschmorte und konfierte Gemüsearomen, die hier im Zusammenhang mit Zitrusfrüchten und Oliven ein sehr komplexes und sehr weit entwickelt wirkendes Geschmacksbild erzeugen. Die konfierten Karotten schmecken exzellent und deutlich anders als üblich, weil hier – siehe oben – mit der Aromatisierung von Gemüsen durch Gemüse gearbeitet wird, Es entsteht ein tiefgründiges, leicht herb-süßliches Bild von großer Qualität.

Gebratener lokaler Grünspargel, Taube aus der Region, Sauce Salmi mit schwarzem Sesam
Auch das Hauptgericht mit Fleisch hat eine erhebliche Qualität – entspricht aber nicht den Klischees, die sich offensichtlich in anderen Ländern rund um die Gemüseküche und/oder BIO-Küche etablieren. Das bevorzugte Feuer ist hier der Grill, der aber bei weitem nicht so fein eingesetzt wird, wie das etwa bei Björn Frantzen oder Marco Müller der Fall ist. Arnaud Arnal setzt eher auf die rustikaleren Aspekte, die er aber nicht überstrapaziert, sondern a point einsetzt. Man ahnt die Garung, bekommt aber nie zu viel. In Kombination mit einem Fleisch, das eher roh gehalten wird, ergibt sich eine Art animalische Note, die sehr überzeugend schmeckt. Dazu kommt eine expressiv und dunkel schmeckende Sauce, die die Taube noch animalischer schmecken lässt und wieder ein cru-cuit-Kontrast mit Teilen des Grünspargels und den Blättern. Es schmeckt eigenständig, ländlich, natürlich und durchaus kräftig. „BIO“ bedeutet hier also keineswegs eine „weichgespülte“ Aromatik.

Das „La Chassagnette“ ist übrigens auch in keiner Weise ein Spezialrestaurant für vegetarische oder gar vegane Spezialitäten. Diese Art der BIO-Küche denkt in Kategorien der Natürlichkeit der Produkte und der Zubereitungen, ist aber nicht weltanschaulich fixiert.

Granny Smith und Brunnenkresse
Dieses Dessert sieht wie Avantgarde aus, schmeckt aber tatsächlich genau so, wie es der Titel sagt. Durch die Verbindung mit der Brunnenkresse ergibt sich eine milde Süße und eine Steigerung des vegetabilen Aspektes.

Erfrischende Zitrusfrüchte mit Fougasse nach Art von Aigues Mortes
Ein einfaches, fast ländliches Dessert, bei dem die schöne Verbindung von Kuchen mit Zitrusfrüchten etwas ausgeweitet wird.

PS: „La Chassagnette“ muss wegen seiner Lage in der Camargue keine Winterpause machen. Man hat immer Gemüse und Kräuter. Insofern kann man dort im Prinzip zu jeder Jahreszeit essen.

3 Gedanken zu „La Chassagnette, Le Sambuc, Camargue“

  1. Sehr geehrter Herr Dollase,

    was bitte meinen Sie mit der Formulierung „Jean-Luc Rabanel und seinem Nachfolger Arnaud Arnal“ Herr Rabanel ist immer noch in seinem „Atelier“ in Arles tätig. Bei unserem letzten Besuch hat es nach wie vor wunderbar geschmeckt und Herr Rabanel erfreute sich bester Laune und Gesundheit.

    Freundliche Grüße und die besten Wünsche an das gesamte Eat Drink Think Team für das neue Jahrzehnt

    Jörn Dreier

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Jürgen Dollase Antworten abbrechen