Vorsicht! Inspiration! Jp McMahon: The Irish Cook Book. Phaidon Press, London und New York 2020. 432 S., geb., Hardcover mit Prägedruck, 45 Euro (in englischer Sprache)

Die Buchbesprechungen, die ich hier auf www.eat-drink-think.de regelmäßig mache, haben eine gewisse Prägung. So, wie das ganze Programm der Seite für besonders Interessierte vor und hinter dem Herd gedacht ist, beurteile ich Bücher nicht danach, ob sie für irgendeinen ganz entfernt am Kochen Interessierten ein schönes Geschenk wären, sondern danach, was sie für Leser mit größeren Vorkenntnissen bedeuten könnten. Und da ergeben sich dann deutlich andere Perspektiven, als das in „normalen“ Besprechungen an anderer Stelle (die meistens nur eine Art Vorstellung, aber nicht Besprechung sind) der Fall ist. Das „Irish Cook Book“ ist ein typischer Fall für Leser, die immer und jederzeit vor allem Freude an neuen Inspirationen haben, an den kleinen oder großen Türen, die sich öffnen, wenn man auf etwas trifft, das man in dieser Form kaum jemals oder noch nie gesehen hat.

Wichtige Voraussetzung für eine solche Buch-Qualität ist immer, dass die Autoren Profis sind, die etwas vom Kochen verstehen und vor allem im Sinn haben, die Rezepte auf einem hohen handwerklichen und konzeptionellen Niveau zu präsentieren. Das klingt selbstverständlich, ist es aber leider häufig nicht. Sehr viele Veröffentlichungen haben in erster Linie kommerzielle Gründe und schielen auf eine bestimme Zielgruppe, der man dann mit einer Art kulinarischen Populismus „nach dem Mund kocht“. Es sind übrigens auffallend viele Autorinnen, die so arbeiten, die irgendwie in einer Richtung etwas machen wollen, und dann zu dem verwegenen Schluss kommen, dass die Welt so etwas braucht. Nein, meistens braucht die Welt solche Bücher nicht, sondern nur eine bestimmte Zielgruppe, die ähnlich halb- oder fehlinformiert denkt, und die kein Interesse an maximaler Qualität und/oder Präzision hat.

Hier also nun ein Buch über die irische Küche, das wirklich eines über die irische Küche ist und kein touristischer Führer für Leute, die gerne nach Irland fahren und ein paar kulinarische Souvenirs mitbringen. Autor Jp McMahon ist Profi und z.B. auch Initiator eines Festivals zur Förderung der irischen Küche. In diesem fast schon lexikalischen Werk präsentiert er eine Unmenge von Dingen, die gerade in Zeiten einer größeren Offenheit für die Spezialitäten traditioneller Küchen von großem Interesse sind.

Das Buch
Zu Beginn steht eine kurze, klein gedruckte Geschichte der Ernährung in Irland und der lokalen Küche mit ihren unterschiedlichen Einflüssen. Dann geht es schon los, und zwar in einer etwas anderen Gliederung, als wir das normalerweise gewohnt sind. Es beginnt mit ‚Eier und Milchprodukte‘, gefolgt von Gemüse, Muscheln und Krustentiere, Süßwasserfisch, Salzwasserfisch, Geflügel, Wild, Wildschwein und Hausschwein, „Lamm, Schaf/Hammel und Ziege. Dann geht es an Rind, Brot, Scones und Cracker, Cakes, Gebäck, Bisquit und Desserts, Einlegen und Konservieren, Fonds, Saucen und Condiments, Drinks, Shrubs (essigsaure Fruchtgetränke etc.) und Sirup. Den Abschluss bildet eine umfangreiche (wieder sehr klein gedruckte) Liste von Wildpflanzen, Algen und Pilzen, technische Anmerkungen zu den Rezepten und eine Bibliographie.

Die Besonderheiten ergeben sich vor allem in den Abweichungen von „unserem“ Verständnis von Akkorden und Zubereitungen. Beim Lesen kann das schnell zu einer Vielfalt von Assoziationen führen – nicht unbedingt, um genau zu kopieren, sondern um Anregung für eigene Lösungen zu finden. Das beginnt zum Beispiel mit den ‚Schottischen Eiern‘, Eiern in einer Hülle aus Wurstmasse, die dann paniert und ausgebacken werden. Wie bei allen Rezepten gibt es kleine oder größere Erläuterungen, wieder klein gedruckt, als ob sie nicht so wichtig wären. Tatsächlich findet sich gerade dort ein wahrer Schatz von Details. Es geht darum, wie man seine eigene Buttermilch, Butter oder Joghurt macht und prompt um mit Torf geräucherte Butter. Der Blumenkohl wird in Milch pochiert und mit geräuchertem Schweinefett angebraten. Junger Lauch bekommt Seegrasbutter, und die Kohlrabi werden in Butter und Heu geröstet.

Es gibt einen Austern-Pie und natürlich auch Austern mit Whisky oder ‚Shellfish‘ mit Bier. Überhaupt bekommt man schnell den Eindruck, dass hier konsequent die typisch heimischen Aromen Eingang in die Küche finden – ein Effekt, der sich bei den deutschen Köchen erst ganz langsam und selten in der hier gezeigten Konsequenz einstellt. Vergleichsweise müsste sich ein kreativer Koch bei uns ganz konsequent mit den Aromen der Brauhaus-Kultur befassen und daraus eine feine, kreative Küche machen, die immer noch klar diese Wurzeln erkennen lässt. Bei McMahon hat man den Eindruck, als ob er eine Küche ansteuert, die einerseits eine sehr gute Verfeinerung hat, andererseits aber von den Traditionen nicht so weit abweicht, dass die Geschmacksbilder an Popularität verlieren. Und weil auch die skandinavische Avantgarde ab und an ein wenig durchscheint, kann man hier den Eindruck bekommen, als ob diese Lösung nicht weit vom Goldenen Schnitt der Gastronomie (um es einmal so zu nennen) entfernt ist.

Noch ein paar schöne Akkorde: Hühnerbrust mit Cidre-Creme und Wacholder, mit Austern gefülltes und geröstetes Huhn, junge Taube mit geräuchertem Speck, Feigen und Whisky, gepickelte Taube (nach einem Rezept von 1780), gesalzene Wildschweinkeule mit Honig und Wacholder, in Ale gekochter Schafskopf, Hammel mit Hauttang und Muscheln, oder über Torf-Feuer gekochtes Rindfleisch. Das ganze Buch ist voll von solchen und ähnlich klaren Alternativen, und selbst dann, wenn es zunächst nach einem eher konventionellen Rezept aussieht, sorgen oft kleine Abweichungen für deutlich andere Geschmacksbilder. Das gilt zum Beispiel auch für eine ganze Reihe von Grundzubereitungen und Saucen, wie etwa eine Holundersauce, Meerrettichsauce, eine Pilz-Whisky-Sauce oder ein Pilz-Ketchup.

Fazit
Das ‚Irish Cook Book‘ ist eine sehr empfehlenswerte Sammlung aus einer kulinarischen Kultur, die wir oft kaum kennen oder jemals als Quelle der Inspiration gesehen hätten. Der nordische Touch ist unübersehbar, der britische ebenfalls nicht weit. Die neue Offenheit vieler Leute in dieser Richtung macht ein solches Buch zu einer sehr nützlichen Sache. Vor allem aber gefällt die Stilistik dieser Küche, die nicht Avantgarde sein will, sondern die Schätze der regionalen Küche in ein aktuelles Bewusstsein bringt.

Wie üblich sind die englischsprachigen Phaidon-Bücher online leicht zu bekommen.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Fotos © Phaidon Press

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